Birgit Severin & Kegham Djeghalian

Birgit Severin und Kegham Djeghalian

Seit Anfang 2020 unterstützt die HTW Berlin als eine von mehreren deutschen Hochschulen den Aufbau der German International University of Applied Sciences in Kairo (kurz GIU). An der Kooperation sind Wirtschafts-, Ingenieur-, Design- und Kultur-Studiengänge der HTW Berlin beteiligt. Birgit Severin und Kegham Djeghalian geben im Interview Einblicke in die Zusammenarbeit im Bereich Industrial Design und Modedesign.

Welchen Themen gilt Ihre größte Leidenschaft?

Birgit Severin: Ich erforsche die psychologische Dimension unserer Umwelt, mit dem Ziel, Prozesse, Objekte und Visionen für eine sozial gerechtere und nachhaltigere Gesellschaft zu gestalten. Dabei verlasse ich oft vorgefertigte Pfade. So unterstütze ich zum Beispiel Prof. Tania Singer im CoSocial-Projekt des Max-Planck-Instituts bei der Entwicklung von Kursmaterialien, welche die Wirkung achtsamkeitsbasierter mentaler Trainingsprogramme ergründet, um den pandemiebedingten emotionalen Stress zu verringern.

Kegham Djeghalian: Ich habe das große Glück, meine Leidenschaften Mode, Kunst und Pädagogik in meinem Beruf vereinen zu können. Klassische Musik ist eine weitere große Leidenschaft von mir, mit einer Vorliebe für Barockopern und Instrumentalmusik. Seit meiner Kindheit spiele ich Klavier (damals viel mehr als heute!). Ich habe einen recht vielfältigen kulturellen Hintergrund und habe schon an vielen Orten gelebt und bin an kulturellen Dialogen und Austausch sehr interessiert. Auch dies würde ich als eine Leidenschaft bezeichnen.

Was unterscheidet die GIU von einer deutschen oder ägyptischen Hochschule?

Kegham Djeghalian: Die German International University wurde im Rahmen eines offiziellen Kulturaustausches mit der primären Vision initiiert, deutsche Ansätze in der Wissenschaft, praxisorientierte Ausbildung und interdisziplinäre angewandte wissenschaftliche Hochschulphilosophie in den ägyptischen Kontext einzuführen. Ich glaube, dass diese Einrichtung nicht nur auf einen Kultur- und Wissensdialog mit Ägypten abzielt, sondern durch die Stellung Ägyptens im Nahosten und in Nordafrika auf die gesamte MENA-Region (MENA steht für "Middle East and North Africa"). Solche Investitionen und Bemühungen werden zwangsläufig eine Einrichtung mit einer anderen Denkweise hervorbringen, die danach strebt, im Bereich der Bildung und Wissensproduktion innovativ zu sein und als echter Impulsgeber für wissenschaftliche, technische, wirtschaftliche und kulturelle Verbesserungen und Innovationen zu wirken.

Wie blicken Sie auf Ihre baldige Lehrtätigkeit an der GIU?

Birgit Severin: Die GIU ist eine sehr junge Hochschule ohne lang bestehende Strukturen in Systemen und Köpfen, die oft wie unsichtbare Mauern wirken. Mich dieser Freiheit und der damit verbundenen Verantwortung zu stellen, blicke ich mit Erwartung entgegen. Mehr noch, das Wissen von den Sozialkompetenzen der Ägypter*innen lernen zu dürfen, erfüllt mich mit Dankbarkeit. Denn sich kultureller Denk- und Verhaltensmuster gewahr zu werden, bedeutet immer auch ein innerer Gewinn an Freiheit.

Was macht die deutsch-ägyptische Zusammenarbeit in Ihren Augen so interessant?

Kegham Djeghalian: Unsere Hauptbemühungen als Akademiker*innen und Praktiker*innen bestehen darin, durch diese Kooperation neue Ansätze für die Entwicklung von Lehrplänen zu finden und über alternative moderne Designpraktiken und Bildungsansätze nachzudenken. Wir versuchen, über das hinauszugehen, womit wir beide in unserem Wissen, unserer Praxis und unserer Pädagogik vertraut sind. Fragen, die wir in dieser Zusammenarbeit direkt und indirekt zu beantworten versuchen: Wie kann man die Designausbildung dezentralisieren und die geokulturelle Besonderheit Ägyptens in Bezug auf sein deutsches Pendant im Speziellen oder den westlichen Kontext im Allgemeinen anerkennen? Was sind die Anforderungen der heutigen Designindustrie und wie können wir mit der damit verbundenen Problematik umgehen?

Mit wem würden Sie gerne mal einen Kaffee (an der HTW Berlin) trinken?

Birgit Severin: Mit den zwei ägyptischen Schwestern Sarah und Deena Mousa. Sie sind die Gründerinnen des ägyptischen Startups „Shamsina“,, das Solar-Warmwasserbereiter für einkommensschwache Gemeinden herstellt.  Für mich sind Sie ein Vorbild junger, stärker ägyptischer Frauen, die einen wirklichen Beitrag zu gesellschaftlichen Veränderungen leisten. Gerne würde ich bei einem Kaffee mehr über sie und ihre Visionen erfahren.

Kegham Djehalian: Ich hatte das Glück, mit drei sehr außergewöhnlichen und inspirierenden Modeprofessorinnen an der HTW Kaffee zu trinken, jede auf ihre eigene Art und Weise: Anke Schröder, Grit Seymour und Johanna Michel. Ich war überrascht, wie reibungslos und bereichernd unser Austausch war, und das macht Lust auf einen weiteren Dialog und eine Zusammenarbeit mit ihnen. Ein weiterer Professor der HTW Berlin, der für mich während meiner gesamten Kunst- und Modekarriere immer ein Vorbild und eine Inspiration war, ist Professor Hussein Chalayan. Leider war er während meines Aufenthalts nicht in Berlin, aber ich hoffe, dass wir uns bei meinen zukünftigen Besuchen an der Hochschule noch öfter begegnen werden. Natürlich habe ich bereits viele Kaffees mit meinen Kolleg*innen Prof. Katrin Hinz, Prof. Horst Fetzer und Bianca Koczan getrunken, dank derer dieses Projekt möglich ist.

 

 

Birgit Severin und Kegham Djeghalian

Nach ihrem Psychologie- und Designstudium gründete Birgit Severin im Jahr 2013 “studio b severin”. Die konzeptuellen Arbeiten wurden weltweit in Museen und auf Biennalen gezeigt. Seit 2015 unterrichtet sie an diversen Hochschulen, u.a. an der HTW Berlin, der German University in Cairo, GIU AS und der Kunsthochschule Berlin Weißensee. Ab September 2022 wird sie als Professorin an der GIU in Kairo wirken.

Kegham Djeghalian  hat Bildende Kunst und Mode in Kairo, London und Paris studiert.  Im Laufe seiner Karriere hat er sich auf Modebilder und Art Direction spezialisiert und mit verschiedenen Designer*innen und Modehäusern wie Kenzo und Hermès zusammengearbeitet. Kegham Djeghalian engagiert sich vielseitig, unter anderem war er Gastdozent an seiner Alma Mater, dem L'Institut Francais de la Mode (IFM), wo er für zwei Jahre zum pädagogischen Leiter des Masterstudiengangs "Image Design in Fashion" ernannt wurde. Außerdem ist er seit 2016 Fakultätsmitglied an der Pariser Kunsthochschule (PCA), wo er zusammen mit einigen Kolleg*innen ein Masterprogramm für Modefilm und -fotografie entwickelt hat. Im April 2021 lehrte er als Gastdozent an der GIU; im Februar 2022 wurde er zum Professor für Modedesign ernannt.

Kegham Djeghalian Birgit Severin

Die Fragen stellte Hannah Weißbrodt, Team Kommunikation
Fotos: HTW Berlin/Alexander Rentsch

Berlin, 19. August 2022