Wer investiert warum in Berlin und Brandenburg?

Warum hat sich der Automobilkonzern Tesla gerade in der Gemeinde Grünheide im Landkreis Oder-Spree angesiedelt? Welche Auswirkung hatte diese internationale Investition auf den Wirtschaftsstandort Berlin/Brandenburg? Und, sehr wichtig: Welche Strategien lassen sich aus dieser und anderen Entscheidungen internationaler Investoren für die Standortpolitik der Hauptstadtregion ableiten? Es sind spannende Fragen, die Prof. Dr. Florian Becker-Ritterspach (FB 3) und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Michael Ehring im Projekt „RAIBB“ angehen. Im Interview erläutern sie, wie sie dabei vorgehen und warum es gar nicht einfach ist, Antworten zu geben. Die beiden HTW-Wissenschaftler kooperieren im Projekt mit der HWR Berlin und werden vom Berliner Institut für Angewandte Forschung Berlin (IFAF Berlin) gefördert.

Warum ist die Rolle internationaler Investoren interessant?

Prof. Dr. Florian Becker-Ritterspach: Tatsächlich sind Berlin und Brandenburg diesbezüglich wenig erforscht. Wir wissen, dass die Hauptstadtregion seit geraumer Zeit von einem wachsenden Zustrom an internationalen Direktinvestitionen profitiert, aber in punkto Wirtschaftskraft im Vergleich mit anderen Bundesländern unterdurchschnittlich abschneidet.  Für die politische Ebene ist es wichtig, die Stellschrauben zu kennen. Ist die gegenwärtige Förderstruktur adäquat oder muss sie vielleicht modifiziert werden? Spielen Standortfaktoren und regionale Förderinstrumente unterschiedlicher Bundesländer klug zusammen? Für Neugründungen wird viel gemacht, aber dezidierte Unterstützung für Investitionen aus dem Ausland oder eine entsprechende Strategie gibt es derzeit nicht. Berlin hat zwar in Peking und New York Förderbüros, diese sind aber eher auf Startups ausgerichtet. 

Als Wissenschaftler haben wir natürlich auch ein Forschungsinteresse. Unser Projekt greift den Trend im Bereich International Business auf, die nationale Ebene zu verlassen und Makroregionen sowie Mikroregionen als Analyseeinheit in den Blick zu nehmen. Auch Global Cities geraten zunehmend in den Fokus. Denn in Weltstädten herrscht häufig ein Investitionsklima, das vom nationalen Gesamtbild abweicht. Berlin ist zwar noch keine Global City im eigentlichen Sinne der Definition, weist aber bereits einige einschlägige Merkmale auf.

Wie gehen Sie im Projekt vor?

Den Auftakt machte die quantitative Bestandsaufnahme der Kollegen an der HWR Berlin. Zu ihr gehörte unter anderem die Recherche, welche großen, internationalen Firmen nach Berlin gekommen sind und hier arbeiten bzw. produzieren. Und welche Unternehmen hier „nur“ ihr Headquarter aufgeschlagen haben, weil Berlin als Bundeshauptstadt ein guter Standort für Lobbyarbeit ist. Ergebnisse liegen vor, aber die müssen noch bereinigt, sprich: konsolidiert werden. Uns interessieren im Projekt jene Unternehmen, von deren Berliner Standort tatsächlich eine Geschäftstätigkeit ausgeht. Einige davon wollen wir an der HTW Berlin in Form von Fallstudien qualitativ untersuchen.

Welche Unternehmen stehen im Fokus?

Michael Ehring: Uns schweben 15, vielleicht auch 20 Fallstudien vor, um die strategischen Interessen der Unternehmen genauer kennenzulernen. Einige stehen schon fest, beispielsweise Tesla und Rolls-Royce in Brandenburg oder ASLM in Britz/Neukölln, wo Schlüsselkomponenten für Lithografiesysteme entwickelt und gefertigt werden. Auch Otis und Alstom kommen in Frage. Weitere werden hinzukommen, in Abhängigkeit von Umsätzen und Mitarbeiterzahlen. Hier benötigen wir immer konsolidierte Zahlen speziell für die Hauptstadtregion. Vielleicht nehmen wir außerdem noch ein Startup hinzu, ein Unternehmen der Finanztechnologie oder eines aus der inzwischen recht starken Kreativbranche.

Welches Feedback bekommen Sie bis dato?

Prof. Dr. Becker-Ritterspach: Wir haben schon einige Interviews geführt: mit Vertreterinnen und Vertretern von Kammern und Verbänden, verschiedenen Institutionen und Fördereinrichtungen, beispielsweise der Wirtschaftsförderung Brandenburg. Die Kontakte zu den Unternehmen herzustellen, gestaltet sich etwas schwieriger, aus verschiedenen Gründen. Führungskräfte in der Industrie haben natürlich viel um die Ohren, nicht jeder nimmt sich Zeit für wissenschaftliche Fragen. Der eine oder andere mag auch skeptisch sein, weil Interna nach Außen dringen könnten. Diese Befürchtung ist aber unberechtigt, wir sichern grundsätzlich Vertraulichkeit zu.

Michael Ehring: Unabhängig von den Erkenntnissen aus bilateralen Gesprächen ziehen wir für unsere Studie die Geschäftsberichte der Unternehmen heran, globale Rankings, diverse Statistiken, auch Presseberichterstattung und dergleichen.

Können Sie schon Vor- und Nachteile des Standorts Berlin benennen?

Internationale Unternehmen haben es recht leicht, hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach Berlin zu locken. Die Stadt wird durchaus kosmopolitisch wahrgenommen, Englisch als Lingua franca weithin akzeptiert. Berlin kann auch mit seiner exzellenten Wissenschaft punkten. Die Anbindung an den internationalen Flugverkehr ist zwar schlecht, die zentrale Lage in Europa hingegen günstig, die Nähe zu Polen ebenfalls ein Pluspunkt. Negativ wahrgenommen wird die Bürokratie, nicht nur in Berlin, sondern in Deutschland allgemein. Viele Klagen gibt es auch über die Schwerfälligkeit bei der Vergabe von Visa.

Welche Erkenntnisse wollen Sie gewinnen?

Wir wollen Erkenntnisse darüber gewinnen, wer von internationalen Investitionen profitiert, also ob und was genau sie Berlin und Brandenburg wirtschaftlich und sozial bringen. Dabei haben wir auch kleine und mittelständische Unternehmen im Blick, die bei Bedarf Kooperationsstrategien entwickeln können. Und wir wollen Handlungsempfehlungen geben, wie Standortbedingungen in der Hauptstadtregion für Auslandsinvestitionen verbessert werden können. Es gibt derzeit wenig Studien, die das beleuchten. Diese Lücke wollen wir gerne schließen.

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