Neue Narrative für die Menopause

Dass die weibliche Menopause mit Hitzewallungen einhergehen kann sowie mit Verstimmungen und größerer Reizbarkeit, ist bekannt. Die körperlichen und psychischen Symptome von Wechseljahren bei Frauen sind gut erforscht. Im Projekt „MenoSupport“ haben Prof. Dr. Sabine Nitsche und ihre wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Jennifer Ailed Chan de Avila noch eine dritte Dimension im Visier. Sie findet bis dato deutlich weniger Aufmerksamkeit. Das ist die emotionale oder auch sozio-affektive Ebene, auf der die Frauen nicht nur mit den besagten Begleiterscheinungen umgehen müssen, sondern auch mit gesellschaftlich konstruierten Narrativen. Sie führen dazu, dass Frauen in der Menopause Schwierigkeiten haben, mit ihrer sich verändernden sozialen Rolle umzugehen und ihren Platz in der Gesellschaft als Frau eines bestimmten Alters zu finden. Wie sie diesem Phänomen durch ein innovatives betriebliches Gesundheitsmanagementkonzept zu Leibe rücken möchte, erklärt Prof. Dr. Sabine Nitsche im Interview. Sie lehrt und forscht im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen (FB 4) und kooperiert in dem Projekt „MenoSupport“ mit Prof. Dr. Andrea Rumler von der HWR Berlin. Gefördert wird es vom Institut für Angewandte Forschung Berlin (IFAF Berlin).

Zum Einstieg bitte ein anschauliches Beispiel!

Prof. Dr. Sabine Nitsche: Gerne. Eine Freundin von mir arbeitet in der Modebranche. Sie litt stark unter Hitzewallungen, die natürlich auch bei Modeschauen auftraten. Der Schweiß floss in Strömen und sie sah dann regelmäßig aus wie ein begossener Pudel. Das alles war lästig genug. Erschwerend kam jedoch hinzu, dass sie sich in diesen Momenten mit ihren gerade einmal 53 Jahren sehr alt fühlte – was sie natürlich nicht war -, und verunsichert war über sich selbst und ihre Rolle in der Gesellschaft. Diese Empfindung spiegelt vielmehr die weit verbreitete gesellschaftliche Wahrnehmung von Frauen in der Menopause wider. Doch dieses Narrativ ist nicht zwingend, es lässt sich verändern und es gibt gute Gründe, es zu verändern.

Wie gehen Sie an das Thema ran?

Wir haben an der HTW Berlin eine umfangreiche Literaturanalyse gemacht und auf dieser Grundlage ein Konzept mit mehreren Dimensionen erarbeitet. Dieses Konzept füllen wir derzeit Schritt für Schritt mit Inhalten. Die Kolleginnen der HWR Berlin führten eine groß angelegte Befragung unter Frauen in und nach der Menopause durch. Außerdem haben wir Interviews und Workshops mit Expert*innen aus Wirtschaft, Gesellschaft und Medizin organisiert. Ziel der HTW Berlin ist die Entwicklung eines Modells für ein innovatives Betriebliches Gesundheitsmanagement, welches das Phänomen Menopause ganzheitlich integriert, also alle drei Dimensionen berücksichtigt: die körperliche, die psychologische und die sozio-affektive. Mit sozio-affektiver Ebene meinen wir die vorhin schon beschriebene Interaktion von individueller Empfindung und gesellschaftlicher Wahrnehmung. Ich komme aus der Psychologie, ehe ich mich dem Personalmanagement zugewandt habe, insofern weiß ich um die Bedeutung von arbeits- und organisationspsychologischen Faktoren in Unternehmen. Meine wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Jennifer Ailed Chan de Avila bringt wiederum die Perspektiven Gender und Genderpolitik in das Projekt ein.

Was wollen Sie erreichen?

Wir wollen die Reflexion in Unternehmen in Gang bringen und Anregungen geben. Mit unserem Konzept sollen sie überprüfen können, wo sie mit ihrem Betrieblichen Gesundheitsmanagement stehen, wo sie Handlungsbedarf haben und in welchem Bereich sie geeignete Maßnahmen speziell für Frauen entwickeln können. Gerade die dritte Dimension, die sozio-affektive Ebene, wird derzeit kaum berücksichtigt. Doch das beginnt sich zu ändern, wie wir im Mai 2023 auf einer großen Konferenz zum Thema Menopause in Florenz gemerkt haben. Noch wird die Debatte stark von medizinischen Aspekten dominiert, doch sie öffnet sich zunehmend für interdisziplinäre Fragestellungen, wie wir sie im Projekt adressieren. Übrigens berücksichtigen wir alle Dimensionen, die sich auf das Erleben der Wechseljahre auswirken. Also das Alter einer Person, ihr kultureller, wirtschaftlicher und ethnischer Hintergrund, ihre sexuelle Identität, ihre medizinische Vorgeschichte. Auch Unterschiede in der Arbeitssituation fließen ein, sprich: die Art der Arbeit, Voll- oder Teilzeitbeschäftigung, Schichtarbeit usw.

Wie relevant ist das Thema in volkswirtschaftlicher Hinsicht?

Es gibt verschiedene "Business Case"-Zahlen, die das wirtschaftliche Gewicht des Problems zu verdeutlichen versuchen. Symptome wie Hitzewallungen, Schlafstörungen und Konzentrationsprobleme beeinflussen nicht selten die Karriereentscheidungen der Frauen. Das kann dazu führen, dass sie Beförderungen ausschlagen, Stunden reduzieren oder frühzeitig in Rente gehen. In Zeiten des akuten Fachkräftemangels ist das volkswirtschaftlich alles andere als wünschenswert. Die traurige Wahrheit ist aber, dass diese Zahlen nicht die zusätzliche Arbeit und Anstrengung widerspiegeln, die Frauen leisten, um ihr Arbeitsleben nicht zu beeinträchtigen. Die "wahren Kosten" der Menopause sind also höher und werden von den Frauen selbst getragen. Auch dies unterstreicht die Bedeutung von Angeboten im Betrieblichen Gesundheitsmanagement. 

Kann man mit BGM auch Narrative verändern?

Selbstverständlich können Unternehmen an ihrer Organisationskultur arbeiten. Das tun sie ja auch fortwährend. Nehmen Sie das Beispiel Diversity, also den Anspruch, gesellschaftlich gesetzte Unterschiede wie Alter, Hautfarbe, Geschlecht, ethnische Herkunft, Religion und Weltanschauung, sexuelle Orientierungen, Behinderungen und Beeinträchtigungen zu integrieren. Vor ein paar Jahren sprach noch kaum jemand über Diversity, inzwischen kann man fast den Eindruck gewinnen, es handele sich um ein Marketinginstrument. Aber die Arbeit an Narrativen ist tatsächlich ein langfristiger Prozess, schließlich sind sie tief in der Gesellschaft verankert. Wir können Unternehmen auch nicht mit konkreten Empfehlungen kommen, das wäre zu einfach. Sie können aber durch unser Konzept ins Nachdenken kommen und sich fragen, ob sie für Frauen in der Menopause schon etwas tun bzw. wenn nicht, was sie anbieten können.

Welche neuen Narrative könnte man entwickeln?

Wir wollen dafür sensibilisieren, dass es die Menopause schlechthin nicht gibt. Es handelt sich vielmehr um einen Prozess, der von Person zu Person und sogar bei ein und derselben Person im Laufe der Zeit variiert. Jede durchläuft in dieser Zeit ihre eigene emotionale Journey. Unser Konzept zielt darauf ab, den "Körper", den "Geist" und die "Seele" der Menopause im Zusammenhang mit der Arbeit zu betrachten und zu berücksichtigen. Eine Botschaft könnte lauten: Gesellschaft und Wirtschaft brauchen diese Frauen auf allen Ebenen, weil sie viel Erfahrung mitbringen. Sie haben Wertschätzung verdient. Über neue Narrative kann man auf jeden Fall zu einem Wahrnehmungs- und Bewusstseinswandel beitragen.

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