Thomas Henschel

Thomas Henschel

Erst der Quick-Check-Fragebogen, dann ein Legospiel, das Geschäftsführung und Beschäftigte für Risiken sensibilisiert, schließlich die Entwicklung von Stories, die eine anschauliche Vorstellung davon vermitteln, wie wichtig es ist, dass Unternehmen auf Krisen und Risiken nicht nur reagieren, sondern sich präventiv damit auseinandersetzen. Das ist der Dreischritt, den Prof. Dr. Thomas Henschel kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) empfiehlt. Weil KMU das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bilden und er ihre Resilienz stärken möchte, hat der Experte für internes Rechnungswesen mit dem Aufbau eines Kompetenz-Netzwerks zum Risiko-, Krisen- und Fehlermanagement begonnen. Dabei arbeitet er mit Wissenschaftler*innen aus dem In- und Ausland zusammen. Im Gespräch erzählt Prof. Dr. Henschel mehr über das in der Pandemie begonnene Projekt.

Warum wollen Sie KMU unterstützen?

Prof. Dr. Thomas Henschel: Den Anfang machte die Wirtschafts- und Finanzkrise, dann kam die Pandemie, schließlich der Ukraine-Krieg und in seinem Schlepptau die Energiekrise - kleine und mittelständische Unternehmen befinden sich seit mehr als drei Jahren ununterbrochen im Krisenmodus. Eine gewaltige Herausforderung, wenn Sie bedenken, dass viele vom Inhaber/der Inhaberin bzw. deren Familie geführt werden und wenig personelle Kapazitäten für ein professionelles Risiko- und Krisenmanagement haben. Das ist zumindest das Ergebnis meiner Langzeitstudie, bei der ich von 2020 bis 2021 insgesamt 750 KMU schriftlich befragt und 30 Interviews mit Geschäftsführer*innen geführt habe. Gleichzeitig sind KMU das Rückgrat der deutschen Wirtschaft und sie liegen mir persönlich am Herzen, seitdem ich vor vielen Jahren im Unternehmen Ernst und Young auch KMU geprüft habe, also Unternehmen mit bis zu 250 Vollzeitstellen und 50 Millionen Jahresumsatz.

Was ist das Ergebnis Ihrer Langzeitstudie?

Das Risiko- und Krisenmanagement der meisten KMU ist zu defensiv. Es fokussiert auf die Frage „Wie vermeiden wir Risiken, wie wehren wir sie ab?“ Oft begnügt man sich mit Notfallplänen für Serverausfälle oder dergleichen, viele der Pläne sind überdies älteren Datums und in der Belegschaft kaum bekannt. Risiken nur abzuwehren, greift aber zu kurz. KMU sind gut beraten, die Risiken immer auch als Chancen in den Blick zu nehmen, sich also präventiv damit zu beschäftigen. Das machen sie nicht hinreichend intensiv. Auch das war eine Erkenntnis meiner Befragung: Die Fähigkeit eines Unternehmens im Umgang mit Risiken ist wichtig für seinen Erfolg. Wer Risiken frühzeitig erkennt, weil er das Gefahrenpotenzial kontinuierlich analysiert, kann Unternehmenskrisen vermeiden, auch durch das Erkennen und Nutzen von Chancen.

Wie kann das Kompetenz-Netzwerk KMU helfen?

Wir geben KMU einige wenige, aber sinnvolle Tools an die Hand, die sie mit überschaubarem Aufwand nutzen können. Denn natürlich ist uns klar, dass Mittelständler kaum Zeit haben für die ausgiebige Lektüre von Fachliteratur.
Es geht los mit einem Quick-Check. Die webbasierte App befindet sich derzeit noch in der Testphase, bis Herbst sollte sie öffentlich zugänglich sein. Beim Quick-Check werden in rund 20 Minuten Strategie, Geschäftsfeld und Risikogefährdung abgefragt, außerdem Maßnahmen im Bereich Krisenmanagement. Das hilft den Unternehmen, die Qualität ihrer Systeme zu bewerten und Verbesserungspotenzial zu erkennen.

Dem Quick-Check folgt ein Spiel. Bei den Test-Workshops haben alle komisch gekuckt, doch ein sogenanntes Serious Game ist natürlich ein ernsthaftes Spiel, dessen Wirksamkeit in Bezug auf Verhaltensänderungen auch empirisch belegt ist. In unserem Fall bauen Geschäftsleitung und Mitarbeiter*innen gemeinsam mit Lego-Steinen Risikomodelle für die Bereiche Einkauf, Produktion, Verwaltung und Vertrieb, um diese dann gemeinsam zu analysieren. Dabei helfen strukturierte Fragen von unserer Seite. Diese Gespräche fördern die Risikosensibilität bei der Geschäftsleitung und bringen sie mit den Beschäftigten ins Gespräch. Deren Know-how wird erfahrungsgemäß zu wenig genutzt.

Der dritte Schritt heißt Storytelling. Diese Methode ist wunderbar geeignet, auch schwierige Sachverhalte anschaulich zu transportieren, denn Storytelling ist die effektivste und authentischste Form der Kommunikation. Wir stellen das ausführlich in unserem gerade erschienenen Fachbuch vor, und zwar anhand von Unternehmen, die es geschafft haben, Krisen etwas abzugewinnen, aber auch von Unternehmen, die dies versäumt haben und deshalb scheiterten. Diese Stories bieten zwei Vorteile. Da wäre zunächst die Sensibilisierung der Mitarbeitenden und Führungskräfte anhand der Erfahrungen von anderen Unternehmen. Darüber hinaus vermitteln wir aber auch die Grundlagen für die Entwicklung eigener Stories, die dann im Unternehmen die Basis für eine gemeinsame Risiko- und Fehlerkultur bilden können.

Der Dreiklang aus dem Wissen über die Risikoneigung (durch unseren Quick-Check), die Erfassung komplexer Risiken (durch Lego Serious Play) und der Etablierung einer bewussten Risikokultur stellt sicher, dass die notwendigen Risikomanagementprozesse und -verfahren ganzheitlich umgesetzt und von den Mitarbeitenden und Führungskräften als relevant empfunden werden. Auf diese Art kann das Risikomanagement den gewünschten Beitrag zur Sicherung der organisationalen Resilienz leisten.

Wer gehört außer Ihnen zum Kompetenz-Netzwerk?

Auf Konferenzen habe ich Wissenschaftler*innen kennengelernt, die fachlich hervorragend passen: Die Wirtschaftspsychologin Prof. Dr. Ilka Heinze (Hochschule Fresenius), die auf Wissensmanagement spezialisierte Kollegin Prof. Dr. Susanne Durst (Reykjavik University), Prof. Dr. Börje Boers (Skövde University) als Experte für Familienunternehmen sowie Prof. Dr. Cristina Florio (Verona University), die sich dem Risikoberichtswesen auskennt. Mit der einen oder der anderen arbeite ich schon beinahe 20 Jahre zusammen.

Haben Sie auch den Nachwuchs im Blick?

Oh ja. Gemeinsam mit Ilka Heinze habe ich unter dem Dach der Summer School der HTW Berlin, an der potenzielle Existenzgründer*innen teilnehmen, Tagesworkshops zum Risikomanagement etabliert. Einige Startups, die erfolgreich gegründet haben, habe ich danach begleitet und mache mit ihnen quartalsweise Risikoworkshops.

Wie kommen die Angebote an?

Unsere erste Publikation wurde bereits 16.000 Mal abgerufen. Das hat mich sehr gefreut. Wir wollen noch eine Homepage einrichten, auf der man Online-Material downloaden und sich einen Überblick über Seminare verschaffen kann. Unser wichtigstes Anliegen ist es, Wissenschaft und Praxis zu verbinden und KMU für Chancen und Risiken zu sensibilisieren. Der wichtigste Motor sind dabei die Mitarbeiter*innen selbst, da braucht es keine teuren Tools und Simulationstechniken. Es geht einfach darum, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben.

Sie wollen noch Dankesworte loswerden?!

Ja, denn ohne Unterstützung ist angewandte Forschung nicht möglich. Ich danke den vielen KMU, die sich trotz Krisen Zeit für die Gespräche genommen haben. Unsere Vizepräsidentin für Forschung, Transfer und Wissenschaftskommunikation, Prof. Dr. Stefanie Molthagen-Schnöring, hat mich mit Unternehmenspartnern in Verbindung gebracht, die sich an der Finanzierung der Langzeitstudie beteiligten. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) hat das Projekt durch den Gastaufenthalt eines indonesischen Wissenschaftlers gefördert – eine echte Challenge in Pandemiezeiten. In diesem Zusammenhang haben mir der Dekan meines Fachbereichs, Prof. Dr. Peter Zaumseil, und alle Mitarbeiter*innen in der Fachbereichsverwaltung sehr geholfen. Auch die beiden Studentinnen Johanna Salzmann und Maria Stellmacher haben Dank verdient. Sie investierten im Rahmen ihres Praktikums viel Zeit, Leidenschaft und Energie in unsere Forschungsarbeiten.

Weiterführende Links

In der Buchreihe „Management for Professionals“ erschienen drei Bücher, die sich speziell an die Zielgruppe von Mitarbeitern in KMUs richten:

Thomas Henschel in seinem Büro
Buch Thomas Hentschel am Bücherregal
Thomas Henschel

Das Gespräch führte Gisela Hüttinger, HTW Berlin, Transfer- und Projektkommunikation
Fotos: HTW Berlin/Alexander Rentsch

Berlin, 28. April 2023