Studium oder Ausbildung? Erst einmal ausprobieren!

Margaux stellte fest, dass sie Technik cool findet; Hendrik weiß nun ganz sicher, dass er im Bereich IT arbeiten will; Levi machte die Erfahrung, dass er auch herausfordernde Fächer bewältigen kann. „Die drei können beruflich nun ihren Weg gehen“, freut sich Nadine Köcher. Als Coachin und O ja!-Koordinatorin der HTW Berlin hat sie maßgeblich dazu beigetragen, gemeinsam mit dem Team der Handwerkskammer Berlin. „O ja!“ ist der knackig-kurze Titel für das „Orientierungsjahr Ausbildung Studium“, das Hochschule und Handwerkskammer seit 2020 anbieten. Der Name verrät, worum es dabei geht: Jungen Frauen und Männern, die „irgendetwas mit Technik“ machen wollen, bei der Entscheidung zu helfen, ob sie an einer Hochschule gut aufgehoben sind oder eine Ausbildung besser zu ihnen passt. „O ja!“ wird vom Bundesinstitut für Berufsbildung und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.

Zwei Semester fürs Hineinschnuppern

Die Idee des Orientierungsjahrs: Wer sich für Themen wie Umwelt, Energie, Digitalisierung und Technik interessiert, aber noch keine Vorstellung von den einschlägigen Studiengängen, Ausbildungsberufen und Karrierewegen hat, kann zwei Semester sowohl in die Hochschule als auch ins Handwerk hineinschnuppern. Nach einer maßgeschneiderten Einführungswoche für maximal 40 Teilnehmer*innen stehen an der HTW Berlin Lehrveranstaltungen in Programmierung, Mathematik, Physik, wissenschaftlichem Arbeiten und Englisch auf der Agenda, außerdem Praxisprojekte in Laboren der Hochschule, beispielsweise in der Doppelklimakammer, sowie in Werkstätten des Bildungs- und Technologiezentrums der Handwerkskammer Berlin. Für zwei sechswöchige Praktika geht es in Berliner Handwerksunternehmen.

Coaching und Begleitveranstaltungen

Bestandteil von „O ja!“ sind darüber hinaus ein individuelles Coaching sowie die eine oder andere Begleitveranstaltung. In jedem Semester empfängt Nadine Köcher beispielsweise zum persönlichen Gespräch. Wie läuft es, was macht Spaß, in welche Richtung könnte die berufliche Entwicklung gehen? „Ich kann niemandem Entscheidungen abnehmen“, sagt die 47-jährige. Aber eben doch Anregungen geben und Ängste nehmen. Und von ihrem eigenen Werdegang erzählen. Er ist ein gutes Beispiel dafür, dass man die Weichen für eine gelungene Berufsbiographie immer wieder neu stellen kann. Nadine Köcher startete mit einer Ausbildung zur Bauzeichnerin, machte danach Fachabitur, gehörte zu den ersten Studierenden der Internationalen Medieninformatik an der HTW Berlin, widmete sich danach der medienpädagogischen Betreuung von Projekten und entschied sich 2006, noch einen Masterabschluss in Europäischen Medienwissenschaften zu machen. Als Koordinatorin von „O ja!“ kehrte sie 2020 an die Hochschule zurück. „Bildung ist mein Thema“, sagt sie heute, speziell der Übergang von der Schule zum Beruf.

Den eigenen Weg finden

Für diesen Übergang gibt es nämlich kein Patentrezept, jeder und jede muss seinen eigenen Weg finden. Genau darum geht es in der Begleitveranstaltung „Bildungsgeschichten“. Gäste berichten von ihrem eigenen Werdegang. Seitdem 2020 die ersten Teilnehmer*innen aufgenommen wurden, wächst die Schar von Jahr zu Jahr. Sie kommen gerne an die HTW Berlin zurück, um von sich zu erzählen.

Mehr Frauen als in MINT-Fächern üblich

Die Altersspanne der Teilnehmer*innen ist mit 17 bis 35 Jahren bemerkenswert groß. Der eine kommt direkt von der Schule und ist unschlüssig, wie es weitergeht; die andere hat schon eine Ausbildung absolviert und weiß noch nicht, welcher Studiengang sinnvoll darauf aufbaut. Überrascht war Nadine Köcher, dass mit 30 Prozent deutlich mehr Frauen bei „O ja!“ dabei sind als in MINT-Studiengängen, aber auch in Ausbildungen im Handwerk üblich. In Interviews hat sie herausgefunden, dass sich Frauen im Gegensatz zu Männern ein Technikstudium häufig nicht zutrauen. „De facto sind sie in technischen Fächern meist sehr gut, bekommen bei uns die Bestätigung und starten dann im Studium richtig durch“, lächelt Nadine Köcher.

Mathe und Physik sind große Hürden

Weil es ohne Mathematik und Physik in technischen Studiengängen nicht geht, sind diese Fächer aber tatsächlich eine große Hürde. „Viele würden gerne ein MINT-Fach studieren, haben sogar eine passende Ausbildung, merken dann aber im Orientierungsjahr, dass ihre Kenntnisse in Mathematik und Physik trotz unserer vielfältigen Unterstützungsangebote für ein Studium einfach nicht reichen“, hat Nadine Köcher die Erfahrung gemacht. Einerseits schade; andererseits können die Teilnehmer*innen rechtzeitig nach Alternativen suchen. Ihnen und der HTW Berlin bleibt ein Studienabbruch erspart.

Wer studiert, bleibt an der HTW Berlin

Das Orientierungsjahr endet mit einem fröhlichen Fest, wie sich das gehört. Natürlich gibt es auch Teilnahmebescheinigungen oder Zertifikate. Wer sich im Anschluss an „O ja!“ für ein Studium entscheidet, wählt in der Regel einen Studiengang an der HTW Berlin. „Da ist bereits eine enge Bindung zur Hochschule entstanden“, sagt Nadine Köcher. Insofern sei „O ja!“ nicht nur ein nützliches Angebot zur beruflichen Orientierung, sondern auch intelligentes Studierendenmarketing. Das gelte vor allem für die Tatsache, dass mehr Frauen als üblich für technische Fächer begeistert werden können.

Verlängerung bis 2026

Diesem Umstand will Nadine Köcher einen eigenen Beitrag in der Abschlusspublikation des Verbundprojekts VerOnika widmen. An dem Papier wird gerade gearbeitet. Denn VerOnika und damit auch „O ja!“ ist nicht nur ein Modellprojekt, sondern auch ein Forschungsprojekt mit dem Auftrag, Orientierungsangebote im Bereich Studium und Ausbildung zu entwickeln und zu evaluieren. Enden sollte es eigentlich im September 2023. Doch soeben wurde die Förderung bis Ende 2026 bewilligt.

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