Impulse für Nachhaltigkeit und Klima-Management

Die Corona-Pandemie hätte vollauf genügt, um die Zusammenarbeit der Beteiligten im Projekt CLIMAN beim Start zu erschweren. Doch es kam noch schlimmer. Belarus ging bald nach dem Kick-off-Meeting als Projektpartner verloren, weil dort Massenproteste mit Gewalt niedergeschlagen wurden und die Europäische Union (EU) sämtliche Beziehungen einfror. Übrig blieben Georgien und die Ukraine, in der seit Februar 2021 ein brutaler Krieg tobt. „Ich hatte noch kein Kooperationsprojekt, das so heftig von der Zeitgeschichte gebeutelt wurde und wird“, sagt Prof. Dr. Mirko Barz. Das hält ihn und seine Kolleg*innen Prof. Dr. Aßnakech Laß-Seyoum, Prof. Dr. Petra Bittrich und Prof. Dr. Florian Koch aber nicht davon ab, die beiden Partnerländer beim Kompetenzaufbau in den Bereichen Nachhaltigkeit und Klimamanagement zu unterstützen. Das Projekt CLIMAN wird von der EU im Rahmen des Programms „Erasmus+“ gefördert.

Erfahrungsaustausch und Fachvorträge

Wenn, wie demnächst ein Schulungsprogramm in Lviw ansteht, könnte man anders als zu Pandemiezeiten zwar wieder reisen, doch derzeit ist sowohl Prof. Dr. Barz als auch seinen  Kolleg*innen ein Aufenthalt in der Westukraine zu unsicher. Sie halten ihre Fachvorträge lieber im virtuellen Raum und stehen dort für den Erfahrungsaustausch zur Verfügung. Denn das ist die Idee von CLIMAN: Hochschulen, die schon länger Studiengänge im Bereich Regenerative Energien und Nachhaltigkeit anbieten, ergo über einschlägige, Expertise, Erfahrung und Infrastruktur verfügen, geben den georgischen und ukrainischen Universitäten Impulse, auf dass sich diese ihrerseits zu Forschungszentren im Bereich des Klimamanagements entwickeln. Sie könnten, so der konzeptionelle Ansatz, die besten europäischen Praktiken in punkto Vorbeugung, Anpassung und Abschwächung der Folgen des Klimawandels übernehmen und dadurch die Anforderungen der globalen Klimaregulierung schneller erfüllen.

Partnerhochschulen aus ganz Europa

„Capacity Building in Higher Education” heißt das bei “Erasmus+”. An dem Transfer von Know-how sind bei CLIMAN außer der HTW Berlin auch Partneruniversitäten aus Holland, Italien, Litauen und Lettland beteiligt. Es werden Vorträge gehalten und Einblicke hinter die Kulissen gewährt; Länderdelegationen besuchen sich gegenseitig und bekommen bei der gastgebenden Hochschule nicht nur theoretischen Input, sondern auch die Gelegenheit, die Infrastruktur in Gestalt von Laboren zu testen, so geschehen zuletzt bei einer Workshop-Woche zum Thema „Nachhaltigkeit und Klimaschutz im Mobilitätssektor“ an der HTW Berlin im März 2022.

Vier HTW-Wissenschaftler*innen wirken mit

Prof. Dr. Barz bringt in das Projekt CLIMAN in erster Linie seine Expertise im Bereich Bioenergie ein. Er hat an der Hochschule weitere fachlich passende Kolleg*innen mit ins Boot geholt: Prof. Dr. Aßnakech Laß-Seyoum mit ihrem Spezialwissen rund um Regenerativen Wasserstoff, Prof. Dr. Petra Bittrich, ausgewiesen in den Themen Thermodynamik und Energietechnik (sie ist inzwischen in den Ruhestand gegangen), sowie den Immobilienwirtschaftler Prof. Dr. Florian Koch, mit dem die Social Development Goals und Nachhaltigkeit in Städten ins Spiel kamen.

Das Engagement macht viel Spaß

Der Blick über Ländergrenzen hinweg und der fachliche Austausch machen allen Beteiligten Spaß, auch wenn CLIMAN den Akteur*innen der HTW Berlin wenig ökonomische Anreize bietet. Eher im Gegenteil: Wenn sie sie sich für einen wissenschaftlichen Austausch auf die Reise begeben oder im virtuellen Raum aufhalten, bleibt das eigene Tagesgeschäft liegen. Doch Prof. Dr. Barz schätzt die Aufmerksamkeit, mit der Vorträge wahrgenommen werden. Das Interesse sei de facto größer als in herkömmlichen Lehrveranstaltungen. „Und wenn ein Labor-Experiment nicht im ersten Anlauf klappt, wiederholen die Teilnehmer*innen den Versuch, wenn es sein muss auch am späten Abend“, freut er sich. Das Projekt biete außerdem die Möglichkeit, das eigene Netzwerk zu erweitern und die HTW Berlin als vertrauenswürdigen Partner auf internationaler Ebene zu etablieren. Das komme möglichen Folgeprojekten zugute, auch beim EU-Programm HORIZON.

Kontakte zu den Menschen sind bereichernd

Last but not least: die sozialen Kontakte zu Menschen anderer Länder und Kulturkreise. Sie spielen bei der internationalen Zusammenarbeit eine besondere Rolle. Prof. Dr. Barz merkte z. B. schon früh, dass sich in Belarus ein politischer Umbruch abzeichnete. Ein Uni-Präsident wurde abgesetzt, eine Hochschule verlor ihre Selbstständigkeit, ein Fachkollege sogar seinen Job. „Der dann spätere Abbruch des Projekts hat die belarussischen Kolleg*innen schwer getroffen“, erinnert er sich. Sie hätten liebend gerne weitergearbeitet. Was aus ihnen geworden ist, fragt er sich immer wieder.

Ein Projektende in Frieden?

Auch die Bilder von kriegszerstörten ukrainischen Städten sieht der HTW-Wissenschaftler mit anderen Augen. Hat er sich doch in manchen Gebäuden, die inzwischen Raketen zum Opfer gefallen sind, schon selbst zu Besuchen aufgehalten. Ganz zu schweigen von der ukrainischen Umweltwissenschaftlerin, der die Flucht mit den Eltern, aber ohne Ehemann gelungen war, und die lange tatkräftig von Berlin aus im Projekt mitarbeitete. Sie hatte sogar einen Lehrauftrag an der HTW Berlin inne. Mit ihr teilte Prof. Dr. Barz mehrere Monate pragmatisch sein Büro. Inzwischen ist sie trotz Krieg in die Ukraine zurückgekehrt, der Familie zuliebe. Die Lehrveranstaltung hat Prof. Dr. Barz kurzerhand selbst übernommen. „So habe ich wieder etwas Neues dazugelernt“, gewinnt er der Entwicklung eine positive Seite ab. Und wünscht sich wie seine Kolleg*innen nichts so sehr, wie das Projekt CLIMAN im Frieden beenden zu können. Der Antrag auf Verlängerung um ein Jahr wurde bereits bewilligt und als Ersatz für die ausgeschlossenen belarussischen Partner wurden neue Partner aus der Ukraine mit ins Boot genommen.