Ein kurzer Blick auf den Blutzuckerwert

Eier in Senfsauce oder lieber Hirsepfanne mit Zucchini? Die mittägliche Entscheidung in der Kantine hat Folgen für den Körper. Einige sind sattsam bekannt, von anderen hat man immerhin gehört. Doch wie wäre es, wenn man die Wirkung des Essens in Echtzeit checken, also mit eigenen Augen sehen würde, wie der Blutzuckerwert in die Höhe schießt? 20 Studierende der HTW Berlin kamen in den Genuss dieser Erfahrung. Zwei Wochen lang verriet ihnen ein persönlicher Sensor, was Ernährung für ihre Glukosewerte bedeutet. Die Ergebnisse der Pilotstudie stellten Prof. Dr. Jan Wirsam und Kevin Röhl, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter an der HTW Berlin, in diesen Tagen vor. Mit dem darauf aufbauenden Forschungsprojekt wollen sie ein höher gestecktes Ziel erreichen.

Im Fokus: die Gesundheit der Beschäftigten

„Innovationsmanagement“ heißt die Lehrveranstaltung im 6. Semester, unter deren Dach Kevin Röhl die Studierenden an der Pilotstudie beteiligte. Denn um Innovation geht es, und zwar zugunsten des betrieblichen Gesundheitsmanagements. Letzteres gewinnt für Unternehmen seit einiger Zeit größere Bedeutung. „In diesem Zusammenhang ist die gastronomische Versorgung ein Hebel, den man ansetzen kann, um das Wohlbefinden der Beschäftigten zu steigern“, sagt Prof. Dr. Wirsam. Der Experte für Digitalisierung, Ernährung, Gesundheit und Innovationsmanagement betreut Kevin Röhl bei dessen Promotion.

Pilotstudie mit 20 Studierenden

Für die Pilotstudie wurden insgesamt 20 interessierte Studierende mit Glukose-Sensoren ausgestattet, die den Blutzuckergehalt ihm Unterhautfettgewerbe erfassten. Gleichzeitig nutzten die jungen Männer und Frauen eine von Kevin Röhl programmierte App namens „Meala“ für die Dokumentation ihrer Mittagsmahlzeiten in der Mensa. Nach jedem Essen genügte ein kurzer Blick auf das Smartphone, und die Beteiligten wussten, welche Sprünge der Glukosewert macht, wenn sie den Eiern in Senfsauce den Vorzug gaben und womöglich noch einen Ananasquark aßen, oder Gemüse mit Hirse wählten. „Die Studierenden waren total begeistert“, erzählt Kevin Röhl. Er hat ihre Eindrücke abgefragt und positive Rückmeldungen bekommen. Obwohl sich viele recht gut mit Ernährung auskannten, seien sie doch überrascht gewesen, dass beispielsweise auch die Reihenfolge, in der Speisen verzehrt werden, eine Rolle für den Blutzuckerwert spiele, oder dass sich leichte Bewegung nach dem Essen positiv auswirke.

Kennzahlen sollen Aussagen ermöglichen

Kevin Röhl selbst ist in diesen Fragen notgedrungen Fachmann. Den heute 32-jährigen zwang Diabetes vom Typ 1, schon als Kind den Kohlehydratgehalt seines Essens genau abzuschätzen. Das motivierte den Absolventen der Berliner Universität der Künste, die kostenlose App zu entwickeln – dafür bekam er Fördermittel von Stiftungen - und 2022 als wissenschaftlicher Mitarbeiter von Prof. Dr. Wirsam, in die Forschung zu dem Themenfeld einzusteigen. Schritt für Schritt wollen sie sich gemeinsam auf ein, wie sie einräumen, sehr ambitioniertes Ziel zuarbeiten: die Entwicklung eines Scoringmodells mit Kennzahlen, mit deren Hilfe Unternehmen Aussagen über die Ernährung ihrer Beschäftigten treffen und sich auch vergleichen können. „Einschlägige Informationen fehlen bis heute in den Nachhaltigkeitsberichten“, sagt Prof. Dr. Wirsam. Seines Erachtens ein Defizit, das es zu beheben gilt. Schließlich würden Mitarbeiter*innen von Führungskräften gerne als wichtigste Ressource des Unternehmens bezeichnet. Die Verpflegung dürfe man dabei nicht ausblenden.

Glukosewerte allein genügen nicht

Wer die Ernährung der Beschäftigten in Nachhaltigkeitsberichten verankern will, darf sich natürlich nicht allein auf Glukosewerte stützen, auch wenn deren gesundheitliche Relevanz unstrittig ist und kein Ernährungsratgeber ohne einschlägige Empfehlungen auskommt. Schon bei der Pilotstudie berücksichtigte Kevin Röhl auch Informationen über den CO2-Fußabdruck sowie den Wasserverbrauch der jeweiligen Gerichte, die das Studierendenwerk mit seinen Speiseplänen zur Verfügung stellt. Denkbar wäre die Integration von weiteren Nährwerten wie beispielsweise Zucker, Salz und Fette. Je genauer, desto besser, sagt Kevin Röhl, gerade mit Blick auf ältere Zielgruppen und deren individuelle Gesundheitsvorsorge.

Kooperationspartner zeigen Interesse

Die zweiwöchige Pilotstudie war deshalb nur der erste Schritt, bei dem die Technologie getestet und praktische Erfahrungen gesammelt wurden. Während die letzten Auswertungen laufen, bemühen sich Kevin Röhl und Prof. Dr. Wirsam darum, weitere Kooperationspartner zu finden. Sie möchten die Zahl der Teilnehmer*innen deutlich erhöhen, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Damit stoßen sie einerseits auf sehr großes Interesse. „Wir haben bei der Zusammenstellung des Speiseplans bereits heute viele Aspekte im Blick“, meinte der Geschäftsführer der Betriebsgastronomie eines großen Unternehmens. Die Nährwerte wären eine perfekte Ergänzung. Schließlich wolle man den Gästen hohe Qualität bieten.

Aber es gibt auch Bedenken

Andere Unternehmen reagieren hingegen zögerlich. Da müssen erst einmal geeignete interne Informationskanäle identifiziert, Betriebsräte beteiligt, Betriebsärzte einbezogen und datenschutzrechtliche Aspekte geklärt werden. Die beiden Wissenschaftler haben dafür Verständnis. Sie machen das Projekt in Präsentationen transparent, schildern Erfahrungen, argumentieren mit größerer Zufriedenheit von gesundheitsinteressierten Beschäftigten. Inzwischen haben sie den nächsten Kooperationspartner gefunden, praktischerweise in Berlin.

Das erklärte Ziel: Ernährung transparenter gestalten

In Zusammenarbeit mit dem mittelständischen Unternehmen werden sie ihrem Ziel, die Ernährung von Mitarbeiter*innen transparenter zu gestalten, einen Schritt näherkommen. Dass dies positive Folgen hat, davon sind Prof. Dr. Wirsam und Kevin Röhl überzeugt. „Unser Projekt kann dazu beitragen, die individuelle Gesundheits- und Ernährungskompetenz zu verbessern, die Qualität der Betriebsgastronomie zu steigern, Diabetesfälle aufzudecken – Schätzungen zufolge leben deutschlandweit zwei Millionen Menschen mit der Krankheit, ohne es zu wissen - und dadurch Langzeitfolgen vermeiden. Das Projekt könne aber auch den Unternehmen helfen, Beschäftige an sich zu binden, weil sich diese wertgeschätzt fühlen. „Die tägliche Ernährung auch am Arbeitsplatz ist schließlich ein wichtiger Baustein für unser Wohlbefinden“, sagt Prof. Dr. Wirsam.

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