Sie wollen es Menschen digital einfach machen

Sie wollen Angst nehmen, maßgeschneiderte Informationen bereitstellen und Perspektiven aufzeigen. „Wer das Stichwort BEM ins Internet eingibt, soll auf unserem Portal landen und dort alles finden, was er oder sie für die nächsten Schritte benötigt“, bringt Prof. Dr. Juliane Siegeris die Zielsetzung von „BEMpsy“ auf den Punkt. In dem Forschungsprojekt geht es um Menschen, die wegen einer psychischen Beeinträchtigung länger als sechs Wochen krank waren und denen laut Gesetz ein sogenanntes „Betriebliches Eingliederungsmanagement“ (BEM) angeboten werden muss. Eine für alle Beteiligten schwierige Situation: für die Betroffenen selbst, für Arbeitgeber, insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen, aber auch für andere Akteure wie Renten- und Unfallversicherungen, Reha-Träger und Krankenkassen, die Bundesagentur für Arbeit) oder Integrationsämter, um nur einige Beispiele zu nennen. „BEMpsy“ soll es ihnen „digital einfach machen“. Das ist der erklärte Anspruch, und man ist einem Jahr nach Projektbeginn auf einem guten Weg.

Videos, Grafiken und griffige Erklärungen

Für das in Entwicklung befindliche Portal haben sie schon viele Ideen zusammengetragen: Videos, in denen Betroffene erzählen, wie sie ein Betriebliches Eingliederungsmanagement für sich persönlich genutzt haben. Anschauliche Grafiken, die den recht komplexen BEM-Prozess visualisieren und die Rollen der Beteiligten darstellen. Griffige Erklärungen für die schwierigen Gesetztestexte und solide Informationen über Krankheitsbilder, aber auch Selbsttests für Betroffene, um die eigene Gefährdung einschätzen zu können.  

Ein wichtiges Ziel: den Betroffenen Angst nehmen

Dass tatsächlich großer Bedarf an Informationen besteht, begreift man spätestens dann, wenn man „BEM“ selbst googelt und einem Fragen ins Auge springen wie „Kann mir beim BEM-Gespräch gekündigt werden?“ oder in einem Beitrag „Die Tücken des betrieblichen Eingliederungsmanagements“ beschrieben werden. Dabei handelt es sich bei BEM um ein Gesprächsangebot an Beschäftigte, in dem geklärt werden soll, wie es nach der langen Krankheit nun weitergehen kann. „Wer in dieser Situation ein offizielles Schreiben seines Arbeitgebers aus dem Briefkasten fischt, wie es der Gesetzgeber vorschreibt, denkt doch sofort an Kündigung“, sagt Prof. Dr. Siegeris. Diese Angst müsse man den Betroffenen nehmen, ihnen über persönliche Geschichten eine Stimme und ein Gesicht geben, aber auch allen Beteiligten Informationen bereitstellen, die gut verständlich sind, trotzdem aber juristisch fundiert und vor allem hilfreich.

Die Nutzer_innen werden einbezogen

Doch woher wissen Wissenschaftler_innen, welche Informationen die Beteiligten eines BEM-Prozesses benötigen? User-Experience-Design ist der Fachausdruck für den Entwicklungsprozess, bei dem man sich von den Eindrücken und Erlebnissen der Nutzer_innen leiten lässt. Prof. Dr. Siegeris vermittelt die Methode in vielen Lehrveranstaltungen: „Wer ein gutes Produkt entwickeln möchte, denkt sich keine Lösung am Rechner aus und hofft, dass sie irgendwie passen wird. Sondern er oder sie versetzt sich in Betroffene hinein, begibt sich mit ihnen in einen engen Austausch und prüft in regelmäßigen Abstimmungsschleifen, ob tatsächlich ein Mehrwert entsteht“.

Interdisziplinäre Teamarbeit ist gefragt

Dafür ist interdisziplinäre Teamarbeit gefragt. Ehe sich Prof. Dr. Siegeris, ihr Fachkollege Prof. Dr. Jörn Freiheit, die UX-Designerin Brit Leissler und der Webentwickler Alexander Stanschus ans Werk machen konnten, hatten andere im Forschungsprojekt schon Vorarbeit geleistet. Der Arbeits- und Organisationspsychologe Prof. Dr. Jochen Prümper und seine wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Anika Melzer, Manuela Metzner und Kathrin Moreno Superlano führten ausführliche Interviews mit Betroffenen und machten Befragungen. Man traf sich erst in virtuellen Lern- und Experimentierräumen und später in Arbeitsgruppen, um sich über Probleme und Chancen von BEM auszutauschen, Erfahrungen einzubringen und Anforderungen zu formulieren. Betroffene sind dabei und Selbsthilfegruppen, aber auch Geschäftsführungen und Behördenchefs, Betriebs- und Personalräte diverser Branchen, Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Schwerbehindertenvertretungen, und natürlich die Wissenschaftler_innen der HTW Berlin. Sie alle „an einen Tisch“ zu bringen, war und ist dank Digitalisierung auch in Pandemiezeiten möglich, ja: sogar etwas einfacher geworden.

Wichtiger Projektpartner in Berlin

Wichtiger Projektpartner ist die in Berlin ansässige gemeinnützige GAW Gesellschaft für Arbeitsfähigkeit und Wohlbefinden, in deren Händen die Moderation der Arbeitsgruppen liegt. „Die wissen sehr gut, welche Ideen für die drei großen Zielgruppen Betroffene, Unternehmen sowie Netzwerkpartner besonders relevant sind“, hat Prof. Dr. Siegeris die Erfahrung gemacht.

Das Projekt endet, das Portal bleibt bestehen

Das Informatikteam der HTW Berlin wiederum wusste, wie man für eine sichere Infrastruktur sorgt. Weil bei BEMpsy auch sensible Daten ausgetauscht werden, holte man keinen externen Auftragnehmer ins Boot. „Alles wurde HTW-intern aufgesetzt“, betont Prof. Dr. Jörn Freiheit. Das fing im Januar 2021 mit dem Server für die Ablage sämtlicher Daten und dem Launch der Projektwebseite an, umfasste den Nachrichtenaustausch zwischen den Teams sowie den Projektkalender und geht seit Januar 2022 mit dem Aufbau des Portals weiter. Dieses Portal und seine Tools so zu konzipieren, dass alle Features nach Projektende von der GAW redaktionell moderiert und sorgfältig gepflegt werden können, haben die Wissenschaftler_innen der HTW Berlin fest im Blick. Denn es wäre fatal, wenn das Engagement von unzähligen Beteiligten und die Förderung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in Höhe von mehr als 2,3 Millionen Euro nicht nachhaltig investiert worden wären. Nicht zuletzt deshalb, weil der Informationsbedarf in Sachen Betriebliches Eingliederungsmanagement angesichts der in Pandemiezeiten vermehrt auftretenden psychischen Beeinträchtigungen eher wachsen wird.

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