„Hier ist der Kiezbote mit Ihren Päckchen“

„Guten Abend, hier ist der Kiezbote“. Der Türöffner wird gedrückt, Jonas durchquert zielstrebig den dunklen Innenhof, im Hinterhaus nimmt er immer zwei Treppenstufen auf einmal, in der 3. Etage hat die Kundin die Wohnungstür schon geöffnet. Sie erwartet zwei Päckchen und hat um eine Zustellung zwischen 18.00 und 20.00 Uhr gebeten. „Eine Lieferung auf den Punkt, genau dann, wenn Du zuhause bist“, verspricht der Kiezbote seit Juli 2020 in vier Zustellbezirken im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. 150 Interessierte ließen sich seitdem online für diese kundenfreundliche Dienstleistung registrieren, die noch bis März 2021 im Rahmen des Forschungsprojekts „Kundenorientierte Paketzustellung durch den Kiezboten“ (KOPKIB) unter Leitung von Prof. Dr. Stephan Seeck und im Verbund mit der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin erprobt wird.

Umwelt- und kundenfreundlich auf der letzten Meile

Die Idee des Logistikexperten, der im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen der HTW Berlin forscht und lehrt, ist ebenso einfach wie überzeugend: Alle Pakete und Päckchen, egal von welchem Dienstleister, werden in einem Mikrodepot im Kiez gesammelt – vorausgesetzt, die Empfänger_innen wünschen das. Die Zustellung auf der sogenannten letzten Meile übernimmt dann ein einziger Bote bzw eine einzige Botin. Dies geschieht erstens umweltfreundlich mit dem Lastenrad sowie zweitens kundenfreundlich zu der vom Adressaten gewünschten Uhrzeit. Auch Retouren kann man auf diesem Weg bequem loswerden.

Auch Retouren werden mitgenommen

Um eine solche Retoure muss sich Jonas als Nächstes kümmern. Routiniert lenkt er das elektrisch betriebene Lastenrad zur DHL-Paketstation in der Olbersstraße. Die Straßenverkehrsordnung gestattet ihm die Fahrt auf dem Radweg. „Doch das musste ich sogar schon einem Polizisten erklären“, erzählt der HTW-Student lächelnd, während er das Päckchen ins Fach legt und sich die Annahme per E-Mail bestätigen lässt. Dann schwingt er sich wieder auf den Sattel.

Wer mitmacht, ist mit dem Service zufrieden

„Wer die Leistungen der Kiezboten in Anspruch nimmt, ist sehr zufrieden“, zieht Prof. Dr. Stephan Seeck eine Zwischenbilanz. Trotz vieler Infostände und fleißiger Flyerverteilung seien das zwar weniger Menschen als erwartet, doch genügend, um wichtige Erfahrungen zu sammeln und über eine solide Datengrundlage für die wissenschaftliche Auswertung zu verfügen. Weniger glücklich ist er mit der Projekt-App. Die werde jedoch gerade weiterentwickelt. Zwar klappe die Kommunikation mit der Kundschaft, doch eigentlich sollte die App auch die Tourenplanung übernehmen. Diese Funktion werde dann voraussichtlich ab Januar 2021 hinzukommen.

Vier Kiezboten sind im Einsatz

Jonas hat den Weg zurück ins Kiezdepot auch ohne App gefunden. Dort checkt er die inzwischen eingegangenen Mails, plant die Tour für die nächsten Zeitfenster zwischen 19.00 und 21.00 Uhr sowie 20.00 und 22.00 Uhr, belädt das Lastenrad und prüft vorsichtshalber den Akku. Jonas und drei weitere studentische Hilfskräfte sind 20 Stunden pro Woche als Kiezboten tätig, einer davon im Depot, sodass Paketdienstleister die bestellte Ware dort jederzeit deponieren können. Elf Päckchen und Pakete liegen gerade im Regal. Die 20 Minuten bis zur zweiten Zustelltour nutzt Jonas für das Fach Strömungsmechanik. Schließlich stehen bald Klausuren in seinem Studiengang Fahrzeugtechnik an.

Registrierung noch bis März 2021 möglich

Noch können sich Interessierte in den Zustellbezirken 10589, 14059, 10585 und 10587 für die kostenlose Teilnahme am Pilotversuch registrieren lassen und die Leistungen der Kiezboten in Anspruch nehmen. Bis März 2021 werden diese von Montag bis Samstag unterwegs sein. Sie werden leichte Päckchen zustellen und 27 Kilogramm schwere Pakete mit Katzenstreu in die 5. Etage schleppen, neugierigen Fußgänger_innen die Technik der ins Auge fallenden Lastenräder erläutern und Aufklärung in Sachen Straßenverkehrsordnung betreiben. Anschließend werden die Erfahrungen und Erkenntnisse des Forschungsprojekts ausgewertet.

"Die Paketzustellung ist ein Zukunftstthema"

Prof. Dr. Seeck wäre kein Wissenschaftler, wenn er nicht schon Pläne für die Zeit danach hätte. „Die kundenfreundliche Paketzustellung ist ein Zukunftsthema“, ist er sicher. Das rasante Wachstum des Internet-Handels bringe vor allem in Städten ein stark ansteigendes Paketaufkommen mit sich. Große Berliner Wohnungsbaugenossenschaften hätten sich bereits bei ihm gemeldet, weil ihre geplanten Quartiere autofrei sein werden und es dafür neuer Lösungen für die Zustellung bedarf. „Und wer weiß, wie lange Autos angesichts des Klimawandels und der zwingend notwendigen CO2-Reduzierung überhaupt noch in Wohnstraßen fahren dürfen?“ fragt der Logistikexperte. In seinem nächsten Antrag auf ein Forschungsprojekt will er außerdem die vorletzte Meile in den Fokus rücken, also die Frage, wie die Pakete noch effizienter ins Mikrodepot kommen. Er hofft erneut auf eine finanzielle Förderung durch das Institut für Angewandte Forschung Berlin (IFAF Berlin).

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