Berlin – Istanbul

Istanbul

Die Physik-Professorin Sophie Kröger pflegt eine intensive Forschungsbeziehung mit ihren Kolleg_innen von der Universität Istanbul. Es ist eine von insgesamt drei türkischen Partner-Universitäten der HTW Berlin. Istanbul ist das Wissenschaftszentrum der Türkei. Sieben staatliche Universitäten und zahlreiche private Hochschulen sind hier zu Hause.

Frau Kröger, Sie kooperieren seit vielen Jahren mit Physiker_innen der Universität Istanbul. Wie kamen diese Beziehungen zustande?

Ein Istanbuler Physikerehepaar und ich, wir haben vor etwa 25 Jahren in der gleichen Arbeitsgruppe an der TU Berlin promoviert. Damals entstand eine Freundschaft, die bis heute hält, und die natürlich auch durch die gute fachliche Zusammenarbeit geprägt ist. Wir sehen uns jährlich mindestens ein Mal.

Woran forschen Sie und Ihre türkischen Kolleginnen und Kollegen?

Gemeinsam mit mit Kolleg_innen aus Paris, Graz, Riga und Gdansk untersuchen wir mittels Atomspektroskopie die Fein- und Hyperfeinstruktur sowie Isotopieverschiebungseffekte an atomaren Spektren. Um es einfacher auszudrücken: Wir produzieren Labordaten für Astro- und Plasmaphysiker_innen. Die Kollegen versuchen mit Hilfe dieser Daten zu erklären, woraus die Sterne bestehen. Wenn man das weiß, lassen sich so Theorien zur Entstehung des Universums entwickeln und prüfen.

Welche Bedeutung hat das, was in Istanbul auf diesem Gebiet erarbeitet wird, für die Forschenden in Deutschland?

Die University of Istanbul macht ehrgeizige Grundlagenforschung in der Atomphysik. Daran wirken auch viele der Absolvent_innen mit, die speziellen Fragen in ihren Promotionen nachgehen. Es gibt außerdem zurzeit nur wenige Universitäten weltweit, die sich mit laserspektroskopischen Untersuchungen von Atomen beschäftigen. Die Istanbuler Universität hat in den vergangenen Jahren in eine hervorragende Laser-Laborausstattung investiert, das kommt uns jetzt zugute.

In der Türkei wurden Hunderte Wissenschaftler_innen an Hochschulen entlassen oder sogar verhaftet, mutmaßlich aus politischen Gründen. Kennen Sie solche Fälle persönlich?

Nein, von den Kolleginnen und  Kollegen, die ich kenne, ist niemand direkt betroffen. Das kann natürlich daran liegen, dass Naturwissenschaften wie die Physik kaum Berührungspunkte mit der Politik haben und daran, dass meine dortigen Kolleginnen und Kollegen nicht politisch aktiv sind.

Wie gehen Ihre türkischen Kolleg_innen mit den gesellschaftlichen Entwicklungen in ihrer Heimat um? Wie schätzen sie ihre beruflichen Perspektiven ein?

Die Menschen in der Türkei, die ich erlebt habe, sind spürbar verunsichert. Untereinander wird viel diskutiert und die Debatten scheinen differenzierter und sachlicher zu sein als hier bei uns in Deutschland. Viele, die im Bereich der Bildung und Forschung arbeiten, fragen sich jetzt auch, welchen Stellenwert Wissenschaft in Zukunft haben wird und welches Budget die politisch Verantwortlichen dafür zur Verfügung stellen.

Wie, glauben Sie, wird sich das politische Geschehen in der Türkei auf die Zusammenarbeit zwischen den türkischen Wissenschaftler_innen und ihren Kollegen in Berlin, Seattle oder Moskau auswirken?

An der gegenseitigen Wertschätzung im Wissenschaftsbereich wird sich sicherlich nichts ändern, die internationale Zusammenarbeit geht auf die eine oder andere Weise ja weiter. Wenn aber die Reisefreiheit eingeschränkt werden sollte, dann wird das die Zusammenarbeit erschweren und über kurz oder lang auch die Forschungsfreiheit einschränken.

Auf der ganzen Welt werden Menschen am 22. April 2017 für die Freiheit von Wissenschaft und Forschung auf die Straße gehen. Auch in Deutschland beteiligen sich 14 Städte an den „Marches for Science“. Sie auch?

Ich finde, die Märsche sind eine wirklich gute Idee, um öffentlich zu machen, was aufgeklärte Menschen von der wissenschaftsfeindlichen Politik in etlichen Ländern der Welt halten. Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit sind fundamentale Errungenschaften von freiheitlich-demokratischen Gesellschaften. Es ist unfassbar, dass überhaupt daran gerüttelt wird! Ich wäre wirklich gern beim March for Science mit dabei. Aber leider werde ich gar nicht in Berlin sein, meine Pläne für diesen Tag habe ich schon vor langer Zeit gemacht. Ich hoffe, dass ich die Ziele der Initiatoren und Teilnehmenden auf andere Weise unterstützen kann.