Treten Sie gerne ein, die Luft ist rein!
Luftqualität ist nicht nur ihr fachliches Spezialgebiet, sondern auch ihre Leidenschaft. Deshalb zögerte Prof. Dr.-Ing. Birgit Müller nicht lange, als sie gefragt wurde, ob sie die Non-Profit-Initiative „Clair Berlin“ wissenschaftlich begleiten möchte. Die Idee überzeugte und ihr imponierte, was die beiden IT-Experten Ulrich Schuster und Jan Weil seit September 2020 ohne irgendein kommerzielles Interesse auf die Beine gestellt haben.
Sensoren messen den Kohlendioxid-Gehalt
Weil sich SARS-CoV2-Viren auch über Aerosole verbreiten und diese Übertragung vor allem in geschlossenen Räumen eine große Gefahr darstellt, wollen die beiden ein dezentrales Netz von Sensoren aufbauen, das den CO2-Wert als Indikator für Luftqualität bzw. Luftaustausch misst und die dabei erhobenen Daten über eine digitale Plattform öffentlich zugänglich machen. Das Ziel: Die Sicherheit für Menschen erhöhen, die sich in öffentlichen Räumen aufhalten, also in Theatern und Konzertsälen, in Bibliotheken oder Wartezimmern von Arztpraxen. Das Konzept steht, die Plattform haben sie in vielen Stunden aufgebaut, demnächst startet die Testphase, Prof. Dr.-Ing. Birgit Müller wird sie wissenschaftlich begleiten.
Indikator für das Infektionsrisiko
Wie oft muss der CO2-Gehalt in der Luft gemessen werden und an wie vielen Stellen im Raum, wie viele Daten werden benötigt und wie aussagekräftig sind sie, was leisten die Sensoren? Das sind nur einige der Fragen, auf welche die HTW-Wissenschaftlerin im Studiengang Gebäudeenergie- und –informationstechnik (FB 1) Antworten suchen wird. Kohlendioxid steht im Fokus, weil dessen Konzentration schon seit Zeiten des Hygienikers Max Pettenkofer – von ihm stammt der bis heute gültige Wert von 1000 ppm, der in Innenräumen im Idealfall nicht überschritten wird - als guter Indikator für die Luftqualität bzw. den Luftaustausch gilt und sich in verschiedenen Studien auch im Kontext der SARS-CoV-2-Pandemie als Indikator für das Infektionsrisiko herauskristallisierte.
Entscheidend ist der regelmäßige Luftaustausch
Clair Berlin, inzwischen ein Projekt unter dem Dach des CityLab Berlin, möchte zusätzliche Parameter wie die Raumgröße und die Personenkapazität berücksichtigen, um so aktuelle Modelle des tatsächlichen Infektionsrisikos (s. u.) berücksichtigen zu können. „Das macht Sinn“, sagt auch Prof. Dr.-Ing. Müller. Sich ausschließlich an Quadratmeterzahlen zu orientieren und einer darauf abgestimmten Anzahl von Personen, hält sie nicht für angemessen. Entscheidend seien die Lüftung bzw. der Luftaustausch von geschlossenen Räumen, und der variiere stark. In einem Supermarkt gehe es außerdem ganz anders zu als in einer Bibliothek. Ziel von Clair Berlin ist es auf jeden Fall, eine Datengrundlage für konkretere Handlungsempfehlungen zu schaffen.
20 Sensoren für die Testphase
Die ersten 20 Sensoren für die Testphase sollen mithilfe von Sponsoring zusammenkommen. Prof. Dr.-Ing. Birgit Müller hat „ihr“ Forschungsbudget schon geprüft und will selbst fünf Exemplare erwerben. Zwei könnten in Räumen der Hochschule zum Einsatz kommen, die anderen in geeigneten Arztpraxen bzw. in einem Laden. „Ein paar Lieblingsrestaurants fielen ihr auch ein“, schmunzelt sie, „aber das macht derzeit ja wenig Sinn“. Allerdings ist es interessierten Betreiber_innen von öffentlichen Räumen schon jetzt möglich, sich auf der Webseite über eine Teilnahme an der Initiative und die Zusendung eines CO2-Sensors zu informieren.
Forschungsprojekt in Arbeit
Die erfahrene HTW-Wissenschaftlerin, auf deren Webseite mehr als ein Dutzend Forschungsprojekte gelistet sind, wird auch ihr wissenschaftliches Netzwerk nutzen und hat damit begonnen, die Konturen eines zu Clair Berlin passenden Forschungsprojekts zu entwickeln. „Ich will dem Team natürlich nicht die Idee klauen“, sagt sie, sondern dabei helfen, dass die Initiative eine finanziell auskömmliche Struktur bekommt und dadurch Zukunft hat.
Luftqualität wird ein Thema bleiben
Denn das Interesse an der Luftqualität in Räumen wird auch dann groß sein, wenn irgendwann ein Impfstoff gegen Corona zur Verfügung stehen wird, ist sich Prof. Dr.-Ing. Birgit Müller sicher. Sie denkt dabei unter anderem an die Fülle der Emissionen von Baustoffen Bodenbelägen und sonstigen Materialien, denen Menschen in geschlossenen Räumen ausgesetzt sind. Mit diesem Problem beschäftigt sie sich in einem ihrer aktuellen Forschungsprojekte.