Ulrike Richter
Ulrike Richter
Dr. Ulrike Richter engagiert sich seit 2015 für die Gleichberechtigung an der HTW Berlin, zunächst als Referentin und erste Stellvertreterin der hauptberuflichen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten, seit Dezember 2023 als Nachfolgerin derselben. Wie sie ihr Amt versteht und welche Schwerpunkte sie während ihrer sechsjährigen Amtszeit setzt, erläutert sie im Interview.
Lange Zeit gab es an der HTW Berlin eine Frauenbeauftragte. Sie haben jetzt das Amt der hauptberuflichen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten inne. Warum war diese Aufgabenerweiterung nötig?
Um Gleichstellung zu erreichen, sind die Belange und die Interessenvertretung von Frauen als strukturell benachteiligte Gruppe zentral. Deshalb ist das Amt der Frauenbeauftragten so wichtig. Aber diese Amtsbezeichnung beschreibt unser Tun nicht vollumfänglich. Wir gestalten nämlich die Kultur, die Strukturen und Prozesse im Sinne einer „Hochschule für alle“. Davon haben alle etwas, unabhängig von Geschlechtszugehörigkeit, sozialer Herkunft, Migrationsgeschichte, Lebensalter und anderen Merkmalen. Die Amtsbezeichnung wurde mit dem neuen Berliner Hochschulgesetz 2022 erweitert und damit kann ich mich sehr gut identifizieren.
Was interessiert Sie besonders an Ihrer Arbeit?
Zentral war und ist für mich, die macht- wie geschlechterpolitischen Spielregeln des Wissenschaftsbetriebes zu begreifen, um zum einen Menschen, die das Hochschulsystem marginalisiert bzw. diskriminiert, zu ermächtigen und zum anderen Prozesse und Strukturen mit zu erschaffen, welche helfen, Benachteiligungen abzubauen bzw. Privilegien für alle zu etablieren. Besonders intensiv arbeite ich seit Jahren an den Themen ‚Entgeltgerechtigkeit‘ und ‚Prävention sexualisierter Gewalt‘. Ich freue mich sehr darauf, in den sechs Jahren meiner Amtszeit die Zusammenarbeit, die ich bereits mit vielen Hochschulangehörigen pflege, zu vertiefen und neue Verbündete für die Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsarbeit zu gewinnen. Angesichts der antifeministischen, demokratiefeindlichen und autoritären Tendenzen in unserer Gesellschaft ist mir dieses vernetzte Arbeiten umso wichtiger.
Was ist Ihnen in diesem Jahr besonders wichtig?
2024 feiert die HTW Berlin ihr 30-jähriges Bestehen. Mir ist es wichtig, die Lebensleistungen jener Mitarbeiter*innen sichtbar zu machen und zu würdigen, die zu DDR-Zeiten in einer der fünf Vorgängereinrichtungen der Hochschule tätig gewesen sind. Denn als gebürtige Karl-Marx-Städterin halte ich Gerechtigkeit und Gemeinsinn für ein hohes Gut. Es verleiht mir Lebenssinn und verbindet mich mit Gleichgesinnten. Die politischen Umbrüche 1989/90 habe ich als Heranwachsende erlebt. Diese Erfahrungen sind elementar für die Ziele, die ich in meiner Arbeit verfolge.
Am 1. April wird Ihr Referat von „Frauenförderung & Gleichstellung“ in „Gleichstellung & Antidiskriminierung“ umbenannt. Wie macht sich das in Ihren Aktivitäten bemerkbar?
Unser Referat gibt seit etlichen Jahren entscheidende Impulse, um die Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsarbeit unserer Hochschule produktiv aufeinander zu beziehen und nicht in Konkurrenz zueinander treten zu lassen, insbesondere nicht um Ressourcen. Die Grundlagen hierfür haben wir bereits 2018 gelegt. Damals wurde unter Mitwirkung vieler Hochschulangehöriger die Antidiskriminierungsrichtlinie ausgearbeitet. Anfang dieses Jahres hat die Hochschulleitung für die Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsarbeit der HTW Berlin zwei weitere Dauerstellen geschaffen. Wir haben nun noch günstigere Voraussetzungen für unser Wirken. Beispielsweise werden wir den Bekanntheitsgrad der Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsarbeit unserer Hochschule erhöhen. Insbesondere müssen wir internationale Studierende besser als bisher erreichen. Auch werden wir mit den Projektzuständigen ausloten, wie wir unsere Themen mit den laufenden und geplanten Aktivitäten im Handlungsfeld ‚Nachhaltigkeit‘ wirkungsvoll verknüpfen können.
Was bedeutet für Sie Diversität?
Diversität bedeutet für mich, den Umstand anzuerkennen, dass die Menschen sehr unterschiedliche Erfahrungshintergründe in ihr Studium bzw. ihre Arbeit einbringen. Die Unterschiede ebenso wie die Gemeinsamkeiten gelten zu lassen und mit ihnen konstruktiv umzugehen, halte ich für elementar für ein gutes Miteinander. Ambiguitätstoleranz sehe ich als eine Schlüsselkompetenz. Sie zu verfeinern, kann eine Herausforderung sein, wie ich aus eigenem Erleben bzw. gelegentlichem Scheitern weiß.
Welchen beruflichen Hintergrund bringen Sie mit?
Ich habe in Stuttgart Raumausstatterin gelernt, diesen Beruf aber nur kurz ausgeübt und mich von der handwerklichen Gestaltung ästhetischer Räume auf die politische Gestaltung sozial gerechter Räume verlegt. Ich habe Kultur- und Politikwissenschaft sowie Gender Studies in Tübingen und Berlin studiert und in Marburg in der Organisationssoziologie promoviert. Danach war ich u.a. als Organisationsberaterin, Lehrbuchautorin und Trainerin tätig. Ende 2015 kam ich an die HTW Berlin.
Wenn Sie einen Tag lang die Möglichkeit hätten, in einem anderen Jahrzehnt zu leben, wo würden Sie landen und warum?
Ich habe ein ausgeprägtes Faible für die Scheibenwelt. Die hat Terry Pratchett erfunden und in seinen witzigen, warmherzigen wie hintersinnigen Büchern ausgemalt. Wenn ich für einen Tag woanders landen könnte, dann nicht in einem anderen Jahrzehnt, sondern in Pratchetts Universum. Um mit den Feministinnen Oma Wetterwachs, Nanny Ogg und Magrat Knoblauch Tee zu trinken und zu lachen.
Fotos: HTW Berlin/Alexander Rentsch
Berlin, 4. März 2024