Stadt trifft Land und Menschen begegnen sich
Was passiert, wenn Berliner*innen mit türkischen oder iranischen Wurzeln ein Brandenburger Heimatmuseum besuchen und dort auf Einheimische treffen? Alle stellen überrascht fest, dass sich dörfliches Leben von Kulturkreis zu Kulturkreis nicht wesentlich unterscheidet, man also sehr viele Gemeinsamkeiten hat. Diese persönlichen Annäherungen blieben nicht die einzige im Projekt „Bühne frei für gutes Älterwerden in Stadt und Land“. Zwei Jahre lang erprobten Wissenschaftler*innen der HTW Berlin und der Alice-Salomon-Hochschule, wie sich Menschen aus Stadt und Land mit Museums- und Theaterformaten zusammenbringen lassen. Dabei gab es überraschende Erkenntnisse, lässt Prof. Dr. Oliver Rump die interdisziplinäre Zusammenarbeit Revue passieren. Der Wissenschaftler im Studiengang Museologie kooperierte mit Prof. Johanna Kaiser, einer Expertin für Soziale Kulturarbeit mit dem Schwerpunkt Theater an der Alice Salomon Hochschule Berlin. Die beiden Hochschulteams wurden vom Institut für Angewandte Forschung Berlin (IFAF Berlin) gefördert.
Ein ungewöhnliches Projekt für Sie, oder nicht?
Prof. Dr. Oliver Rump: Tatsächlich liegt meine Expertise im Bereich Museumsmanagement und -marketing. Mit soziokultureller Arbeit bzw. Forschung hatte ich bis dato wenig Berührung. Andererseits sind Ungleichheit, Ungerechtigkeit sowie kulturelle und soziale Nachhaltigkeit für mich als Wissenschaftler so etwas wie Lebensthemen, die ich seit vielen Jahren in Gestalt von Ausstellungen über Persönlichkeiten der Zeitgeschichte aufgreife. Zwei meiner Ausstellungen konnten für das Projekt fruchtbar gemacht werden. Auch inhaltlich vermochte ich anzuknüpfen, denn bei Menschen unterschiedlicher Herkunft in der Stadt und auf dem Land geht es immer auch um eine Form von sozialer Ungleichheit. Der Einsatz von theatralen Mitteln im Museum ist mir ebenfalls nicht neu; als Museumsdirektor habe ich früher mit einem russischen Avantgarde-Theater zusammengearbeitet, aber auch an der HTW Theateraufführungen zu „Tamara Bunke“ oder „Dean Reed“ mit verantwortet. Deshalb habe ich gerne zugesagt, als mich Johanna Kaiser fragte, ob wir das Projekt gemeinsam in Angriff nehmen wollen.
Worum ging es genau?
Wir wollten durch verschiedene theatrale und museale Formate, an denen sich alle aktiv beteiligen konnten, die Kommunikation und das gegenseitige Verständnis zwischen Menschen in der Stadt und auf dem Land fördern. Zielgruppe waren Frauen und Männer mit unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Alters. Das kreative Miteinander sollte die Lebensqualität stärken, einen Beitrag zum Gemeinwesen leisten und – ganz wichtig – auch Toleranz befördern und der gesellschaftlichen Spaltung entgegenwirken.
Was brachten Sie als Museumsexperte ein?
Zum einen haben wir eine Ausstellung von unten gemacht: Stadtmenschen und Landmenschen präsentierten ein Objekt, das für sie Bedeutung hatte bzw. sie an einen wichtigen Menschen erinnerte, und kamen darüber ins Gespräch. „AUSSTELLUNG machen wir selbst“, hieß das Motto an vier Tagen. Das funktionierte sehr gut.
Zum anderen erwiesen sich zwei meiner Wanderausstellungen zu Persönlichkeiten der Zeitgeschichte als wunderbare Türöffner. Es war eine der schönen Überraschungen im Projekt, dass Menschen mit sehr diverser Geschichte und Herkunft bei gemeinsamen Ausstellungsbesuchen miteinander in angeregte Gespräche kommen, sich annähern und besser kennenlernen.
Das galt sowohl für die schon ältere Ausstellung über Tamara Bunke, eine deutsch-argentinische Revolutionärin und Weggenossin von Che Guevara, als auch für meine neue Ausstellung über Werner Seelenbinder, einen deutschen Ringer und kommunistischen Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, der 1944 hingerichtet wurde. Während des Projekts wurde sie in der Neuköllner Helene-Nathan-Bibliothek gezeigt, derzeit ist sie im Seelower Landratsamt zu sehen.
Die Beteiligten haben beide Ausstellungen gemeinsam besucht, viele Anknüpfungspunkte gefunden, egal ob sie aus dem Osten oder Westen Deutschlands stammten, aus Kurdistan, der Türkei oder anderswoher.
Die gewünschte Annäherung ist also geglückt?
Immer wieder. Ich will ein weiteres Beispiel geben: Die Berliner Gruppe besuchte das Heimatmuseum in der Wasserburg Gerswalde, dessen Förderverein Projektpartner war; Gerswalde liegt in der Nähe von Templin. Viele Berliner*innen waren vorher noch nie in Brandenburg gewesen; ein türkischstämmiger Mann schaute völlig verzückt aus dem Fenster und sagte später, er habe gar nicht gewusst, dass Berlin so etwas Schönes in unmittelbarer Nähe bietet. Für die Bewohner*innen von Gerswalde wiederum waren die Besuche aufregend, weil sie selten Menschen mit Migrationsgeschichte kennenlernen, noch seltener Frauen mit Kopftüchern. Man war außerdem unsicher, ob sich die Gäste aus Berlin überhaupt für brandenburgische Regionalgeschichte interessieren. Und was passierte? Beim Gang durchs Museum und bei Gesprächen über die Exponate stellten alle Beteiligten überrascht fest, dass es erstaunlich viele Gemeinsamkeiten gibt zwischen dem Leben in einem brandenburgischen Dorf und dem in einem türkischen oder kurdischen Dorf. Diese Erkenntnis öffnet die Herzen auf beiden Seiten, die Distanz war überwunden und man begegnete einander auf einer völlig anderen Ebene.
Nehmen Sie Erkenntnisse in Ihre Museumsarbeit mit?
Ja, unbedingt. Drei möchte ich nennen. Erstens benötigt man einen warmen Kontakt, um ein Projekt in einem brandenburgischen Dorf auf den Weg zu bringen. In unserem Fall wurden die Brücken von den beiden wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen gebaut, die aus Brandenburg stammten. Sie brachten uns in Kontakt zur Kirchengemeinde, zur Feuerwehr, zu Heimatforschern etc. Zweitens: Ertragreiche Gespräche kommen besser zustande, wenn sich Menschen um das abendliche Lagerfeuer scharen als wenn sie nur einen gemeinsamen Tagesausflug absolvieren. Drittens darf Subjektivität in Ausstellungen durchaus eine größere Rolle spielen, als ich das bislang für mich zugelassen habe.
Wie geht das Projekt zu Ende?
Mit einer Abschlusstagung, zu der auch alle Beteiligten eingeladen sind. Die Praxispartner*innen werden die digitalen kulturellen Landkarten der Gemeinden Gerswalde und Steinhöfel präsentieren. Gezeigt wird außerdem die filmische Begleitforschung, die meine Kollegin Prof. Johanna Kaiser angestellt hat. Ich selbst werde einen Vortrag halten zum Thema „Museen zwischen Heimatstube und Community-Museum“.