Lehre lässt sich wunderbar mit Forschung verbinden

Erst das Informatik-Studium an der Universität Jena, dann die Promotion, anschließend eine Karriere in der Wirtschaft. Der berufliche Werdegang von Prof. Dr. Christina Kratsch verlief durchaus klassisch. Bis die Informatikerin nach acht Jahren ihre Tätigkeit als Data Scientist und Beraterin an den Nagel hängte und sich für eine Professur im Studiengang Ingenieurinformatik der HTW Berlin entschied. Künstliche Intelligenz und Software Engineering wurden ihre Schwerpunkte in Lehre und Forschung. Warum sie den Ruf an die Hochschule annahm und diese Entscheidung noch keine Sekunde bereut hat, erzählt sie im Interview.

Wie kamen Sie zur Professur an der HTW Berlin?

Prof. Dr. Christina Kratsch: Eine Headhunterin der HTW Berlin sprach mich an. Ich selbst hatte gar nicht vor, nach der Promotion noch einmal ins akademische System zurückzukehren. Doch die Recruiterin machte mich neugierig auf die Institution Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW). Vom HAW-Konzept hatte ich als Universitätsabsolventin offen gestanden keine genaue Vorstellung. Im Gespräch mit der Berufungskommission merkte ich zwar, dass die Erwartungshaltung sehr groß ist: nicht nur viel Lehre, sondern auch Forschung, außerdem Engagement in der akademischen Selbstverwaltung; dazu wurde in meinem Fall noch ein besonderes Engagement für ein konkretes KI-Projekt gewünscht. Doch ich gewann auch den Eindruck, dass ich die Freiheit haben würde, die Schwerpunkte selbst zu setzen. Das gab schlussendlich den Ausschlag, die Professur anzunehmen. Bei der Headhunterin habe ich mich später ausdrücklich bedankt. Von ihr kontaktiert zu werden, war einer der besten Momente meiner Berufsbiographie.

Was schätzen Sie besonders an Ihrer Tätigkeit?

Die einzigartige Verbindung von Forschung und Praxis. Ja, ich forsche weniger, als ich das von Universitäten her kenne; ich schreibe nicht ein Paper nach dem anderen und bin weit entfernt von eigenen wissenschaftlichen Revolutionen. Doch ich bin trotzdem nah dran an den aktuellen Themen der Künstlichen Intelligenz (KI). Denn ich integriere sie in Gestalt von unternehmensnahen Projekten in die Lehre, der Aufbau unseres Studiengangs ermöglicht das. Das ist eine Form von Forschung, die gut zu mir passt, weil ich den Einsatz von KI in Unternehmen nicht nur in der Theorie reflektiere, sondern auch in der Praxis überprüfe und dadurch vorantreiben kann. Wie Unternehmen ticken und was sie brauchen, weiß ich aus eigener Erfahrung. Das passt also vorzüglich zusammen.

Wie groß ist die Herausforderung durch die Lehre?

Tatsächlich hatte ich großen Respekt vor der hohen Lehrverpflichtung. 18 Stunden Lehre pro Woche, also 18 Semesterwochenstunden (SWS), sind eine ganze Menge, die können abschrecken. Aber das liegt womöglich an einem falschen Bild von Lehre. Unser Studiengang ist sehr stark projektorientiert. So stehe ich nicht 18 Stunden im Seminarraum und trage etwas vor. Vielmehr bearbeite ich gemeinsam mit den Studierenden spannende Forschungs- und Entwicklungsprojekte, tausche mich mit Forscher*innen und Unternehmer*innen aus, kann innovativ sein. Und habe doch noch Muße für die Theorie, finde Gelegenheit, spannende Vorträge zu besuchen etc. 

Fiel Ihnen der Einstieg in die Lehre schwer?

Anders als üblich fing ich im laufenden Semester an, quasi ein Speed-Start. Aber meine Kollegen waren so nett und hakten mich unter, nahmen mich in ihre Lehrveranstaltungen mit, halfen bei der Organisation. Das war phänomenal. Eine Lehrveranstaltung musste ich allerdings aus dem Stand konzipieren; damals wusste ich am Montag oft nicht, worüber ich am Dienstag spreche. Doch ein wenig Herausforderung muss ja sein! Grundsätzlich war ich das Sprechen als Data Science-Beraterin gewöhnt, habe auch schon immer gerne Vorträge gehalten und Workshops veranstaltet. Da war der Weg in didaktischer Hinsicht also nicht sehr weit.

Welchen Stellenwert hat die Ausbildung junger Menschen?

Ganz ehrlich: einen viel größeren Stellenwert als erwartet. Der Austausch mit Studierenden ist ungeheuer bereichernd. Ich mag es, wenn sie kritisch hinterfragen, inhaltlich vorankommen, Erfolge haben. Es macht auch richtig Spaß, dem akademischen Nachwuchs einen Weg in die Praxis zu ebnen und dadurch den wissenschaftlichen Stand der KI in die Unternehmen zu tragen. 

Entwickeln Sie auch den Studiengang weiter?

Das spielt sogar eine große Rolle. All meine Kollegen sind sehr engagiert, bei uns herrscht immer Aufbruchstimmung. Wir entwickeln beispielsweise stetig die KI-Werkstatt der HTW Berlin weiter. Das ist ein Ort, wo wir gemeinsam lehren, forschen und KI-Technologien auf aktuelle Praxisprobleme anwenden. Dort bauen wir viele Brücken zu Unternehmen.

Außerdem haben wir vor kurzem unseren neuen Master-Studiengang mit einem Track „Angewandte Forschung“ etabliert; das ist komplett ein projektbasiertes Studium, in dem Studierende ein großes Forschungsprojekt bearbeiten und dazu passende Module belegen.

Wie gestaltet sich Ihre heutige Work-Life-Balance?

Sagen wir mal so: In Stunden gerechnet, arbeite ich wohl nicht weniger als früher in der Wirtschaft. Aber weil ich komplett frei darin bin, die inhaltlichen Schwerpunkte zu setzen und mich zeitlich zu organisieren, fällt das Arbeiten leichter und macht vor allem viel mehr Spaß.