Ilja-Valentin Sagvosdkin
Ilja-Valentin Sagvosdkin
Ilja-Valentin Sagvosdkin ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an der HTW Berlin. Er forscht zu Degrowth/Postwachstum, so etwa den Möglichkeiten einer nachhaltigen Industriepolitik und der medialen Debatte und der Narrative um das Gebäudeenergiegesetz.
An der HTW Berlin lehrt Sagvosdkin, der seinen Master an der Koblenzer Hochschule für Gesellschaftsgestaltung (hfgg) absolvierte, im Kurs „Umweltökonomie“ gemeinsam mit Prof. Dr. Barbara Praetorius. In einem Allgemeinwissenschaftlichen Ergänzungsmodul (AWE) zum Thema „Degrowth und Postwachstum im Kontext der Klimakrise“ bringt er Studierenden die Themen seiner Promotion näher.
Wie entstand die Idee für den Kurs "Degrowth und Postwachstum im Kontext der Klimakrise"?
Ich promoviere an der Schnittstelle von nachhaltiger Transformationsforschung und Degrowth/Postwachstum. Gemeinsam mit Prof. Praetorius lehre ich Umweltökonomie und aktuelle Themen der Nachhaltigkeits- und Umweltpolitik an der HTW Berlin. Das Thema Postwachstum kommt dort nur kurz vor. Deshalb hat sie vorgeschlagen: Wie wäre es, noch einen Kurs konkret zu deinen Promotionsthemen zu machen? Ich war sofort begeistert. Meine Beobachtung ist: In der Forschung passiert da gerade sehr viel, in öffentlichen Debatten spiegelt sich das aber kaum wider. Im Gegenteil: Es gibt viele Missverständnisse und Argumente, die am wissenschaftlichen Diskurs vorbeigehen. Umgekehrt ist der Diskurs manchmal recht abstrakt und natürlich kontrovers. Das didaktisch anschaulich zu machen, hat mich gereizt. Das Konzept hat auch den Lehrinnovationsfonds überzeugt. Mit der Förderung veranstalten wir zunächst ein AWE, letztlich soll das Konzept dann an geeigneter Stelle in die curriculare Lehre integriert werden. Das fügt sich natürlich gut in die Ziele der Hochschule, das Thema Nachhaltigkeit fest in der Lehre unserer Studiengänge zu integrieren.
Wie fördern Sie die aktive Beteiligung der Studierenden im Kurs und welche Methoden setzen Sie dabei ein?
Ich versuche, viel Abwechselung zu bieten: Neben klassischen Vorträgen setze ich auf die Zusammenarbeit in Kleingruppen mit Poster-Präsentationen, Textpatenschaften, Podiumsdiskussion und Gespräche. Wir hatten einen interaktiven Klima-Puzzle-Workshop mit Alexander Repenning, Co-Autor des Buches "Vom Ende der Klimakrise". Zwei weitere externe Gäste teilten ihr Wissen zum Thema Demokratisierung von Unternehmen. Das bietet neue Perspektiven und macht es insgesamt spannender, als wenn nur ich den Kurs leite. Mein Eindruck ist, dass die Studierenden auch stark durch die Nachhaltigkeitsinhalte motiviert sind. Es gibt sogar einige Teilnehmende, die den Kurs formal gar nicht machen müssten.
Welche Kompetenzen und Fähigkeiten sollen die Studierenden durch den Kurs entwickeln?
Mir geht es darum, differenziertes, kritisches Denken in Zusammenhängen zu üben. Damit möchte ich den Studierenden einen Weg aufzeigen, um ihr Spektrum an Zukunftsvorstellungen und Handlungsmöglichkeiten zu erweitern. Im Degrowth-Diskurs werden Selbstverständlichkeiten hinterfragt, Erkenntnisse über Disziplinen hinweg zu Transformationserzählungen verknüpft, konkrete Politikvorschläge gemacht, neue Unternehmensmodelle umgesetzt. Im Seminar diskutieren wir aber auch, wo Schwächen und blinde Flecken liegen. Was ist Utopie, was umsetzbar? Als Prüfung werden Essays geschrieben: es soll geübt werden, sich in Debatten einmischen zu können – wissenschaftlich, verständlich, dennoch mit Überzeugungskraft. Die Studierenden, die sehr gute Essays mit feministischen Perspektiven verfasst haben, werden dazu ermutigt, diese als Beitragsvorschlag für den efas Newsletter einzusenden.
Was hat Sie persönlich dazu bewegt, sich mit den Themen Degrowth und Postwachstum zu beschäftigen?
Mich bewegt die Frage, wie ein ökologischer Kollaps mit verheerenden Folgen verhindert werden kann. Positiv formuliert: Wie ist Wohlergehen innerhalb planetarer Grenzen möglich? Wie kommen wir dahin? Wer sich mit solchen Fragen befasst, stößt zwangsläufig auf Debatten um Degrowth, Postwachstum oder auf disziplinübergreifende Diskurse mit ähnlichen Begriffen wie Suffizienz oder Wellbeing Economy. Ich sehe es als Privileg, mich in Forschung und Lehre damit auseinandersetzen und etwas beitragen zu können.
Das Gespräch führte Matthias Sanner, HTW Berlin, Kommunikation
Fotos: HTW Berlin/Tobias Golla
Berlin, 12. Juli 2024