Expedition Nano: Textilien zum Greifen nah

Textilien „begreifen“ mit VR © HTW Berlin/Pablo Dornhege

Haben Sie „Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft“ gesehen? In diesem Disney-Film kämpfen sich ein paar Kinder, die versehentlich geschrumpft wurden, durch den heimischen Garten. Jeder Grashalm ist baumhoch, Blütenpollen sind so groß wie Fußbälle und auf Insekten kann man plötzlich reiten. Und nun stellen Sie sich vor, das wären Biologie-Studierende. Es gäbe fantastische neue Möglichkeiten, die Strukturen der einzelnen Pflanzen und Tiere zu erforschen und zu verstehen. 

In dem vom Lehrinnovationsfonds geförderten Projekt „Expedition Nano“ von Prof. Pablo Dornhege, Prof. Dr. Lilia Sabantina und Prof. Dr. Lutz Strobach wird das oben beschriebene Szenario mithilfe von Virtual Reality (VR) beinahe Realität – zumindest fühlt es sich so an. Im LEHRGUT-Interview erzählt Dornhege von der Vision, der Umsetzung und den Learnings des Projekts.

Was ist die grundlegende Idee bzw. das Ziel des Projekts?

Dornhege: In der Vorlesung „Textile Werkstoffe“ von Lilia Sabantina ist es besonders wichtig, die Details der textilen Flächen zu verstehen, mit denen gearbeitet wird. Dazu kann man z. B. einfach durch ein Mikroskop schauen, die Textilien ertasten oder in Fachbüchern lesen. Unter der Anleitung der Laboringenieurin Cornelia Golle, die die Studierenden im Textilprüflabor unterstützt, sammeln sie praktische Erfahrungen und vertiefen ihr theoretisches Wissen. Trotz allem bleibt das Thema recht abstrakt.

Wir wollten mit dem Projekt einen ergänzenden innovativen Zugang zu den Lerninhalten schaffen, der spielerisches Lernen, einen Perspektivwechsel und Erfahrungslernen ermöglicht. Mit Hilfe von Virtual Reality können Studierende buchstäblich in die Materialien eintauchen und sie erleben.
In einer zweiten Ebene wollten wir mit der Projektarbeit die interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Studiengänge fördern, die Anwendung theoretischer Kenntnisse in einem praktischen Kontext und die Entwicklung von Problemlösungskompetenzen bei den Studierenden. 

Wie sind Sie vorgegangen?

Dornhege: Die virtuellen Lernumgebungen sollten im Dialog mit den Studiengängen Kommunikationsdesign, Bekleidungstechnik/Konfektion und Konservierung/Restaurierung/Grabungstechnik entstehen.
Im ersten Schritt haben wir einen interdisziplinären Ideenworkshop veranstaltet, in dem die Studierenden den Rahmen für die Lernumgebungen erarbeiten sollten: Wer hat Interesse an den potentiellen Ergebnissen? Welche Lernziele können definiert werden? Welche Lehrmethoden können mit VR genutzt werden?
Im zweiten Schritt wurden dann in einem kreativen Prozess konkrete virtuelle Umgebungen, in denen textile Materialien eine Rolle spielen, entwickelt und prototypisch umgesetzt. 

Welche Kompetenzen haben die einzelnen Teams eingebracht und wie wurde zusammengearbeitet?

Dornhege: Die Studierenden aus der Bekleidungstechnik konzentrierten sich auf die Analyse und Prüfung der textilen Materialien, um sicherzustellen, dass die VR-Modelle sowohl technisch als auch wissenschaftlich fundiert sind.
Das Restaurierungsteam brachte spezifische Kenntnisse über die Alterung und Konservierung von Textilien ein, wodurch historische Aspekte und die langfristige Erhaltung oder Restaurierung der Textilien in den VR-Umgebungen berücksichtigt werden konnten.
Die Studierenden aus dem Kommunikationsdesign waren maßgeblich an der Konzeption, Gestaltung und Entwicklung der VR-Umgebungen beteiligt, wobei sie ihre Expertise in Storytelling, visueller Gestaltung und User Experience einbrachten. Durch interdisziplinäre Workshops wurde sichergestellt, dass die verschiedenen Expertisen nahtlos ineinandergreifen.

Wie wird aus Textilien eine begehbare 3D-Welt?

Dornhege: Dazu braucht es viele Schritte und eine Menge Technik. Wir haben ein spezielles Digitalmikroskop genutzt, um Fotos der Textilien zu erstellen. Mittels eines Verfahrens namens „Photogrammetrie“ haben wir diese Bilder in 3D-Daten umgewandelt. Diese 3D-Daten wurden im virtuellen Raum um ein Vielfaches vergrößert und so begehbar und räumlich erfahrbar gemacht. Dabei war es eine doppelte Herausforderung, ästhetisch ansprechende Ergebnisse zu gestalten und gleichzeitig sicherzustellen, dass die Bildungsinhalte nicht in den Hintergrund treten.

Workflow © HTW Berlin/Pablo Dornhege

Am Ende sind vier spannende Prototypen entstanden, die wir auf der Werkschau der HTW Berlin präsentiert haben. Jeder dieser Entwürfe zeigt eine einzigartige Perspektive auf die Erforschung von Textilien und den Lernprozess – dabei reicht die Bandbreite von künstlerischen Darstellungen, wie im Prototyp „Morphoscapes“, bis hin zu praktischen Laborexperimenten, die sich für den Einsatz in der Lehre eignen.

VR-Prototyp „Morphoscapes” © HTW Berlin/Pablo Dornhege
Bildschirmfoto vom VR-Prototyp „Morphoscapes“, entwickelt von den drei Kommunikationsdesign-Studentinnen Jule Degenhardt, Mabinty Suma und Laura Jaenisch. Materialien wie Kaktusleder und Algentextilien werden in einer surrealen Landschaft präsentiert.

Welche Learnings nehmen Sie aus dem Projekt mit?

Dornhege: Bei interdisziplinärer Zusammenarbeit muss man bedenken, dass es große Unterschiede in der Mentalität der verschiedenen Disziplinen geben kann. Deshalb würden wir beim nächsten Mal viel Wert auf eine Kennenlernphase legen, sodass eine gemeinsame „Sprache“ entwickelt werden kann. Außerdem würden wir die einzelnen Gruppen stärker mischen. Insgesamt ist eine gute Planung essentiell, um Stressphasen während der Umsetzung zu vermeiden.
Im weiteren Verlauf möchten wir einfachere Werkzeuge verwenden, um das ganze Konzept zugänglicher zu machen, auch wenn man sich nicht so gut mit der Technologie auskennt. Denn wir sind sehr zufrieden mit den Ergebnissen, sehen enormes Potential für das Lehren und Lernen in virtuellen Umgebungen und wollen das Thema weiter voranbringen.

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