Eckhard Gauterin
Eckhard Gauterin
Wer mit Eckhard Gauterin über seine Dissertation spricht, begegnet nicht nur einem Wissenschaftler, der an Innovationen für die Regelungstechnik von Windenergieanlagen arbeitet. Vielmehr ist da auch ein gestandener Ingenieur, der die Branche aus eigener Erfahrung kennt. „Wenn es nicht zügig gelingt, die Produktionskosten der Anlagen zu reduzieren, werden die letzten europäischen Hersteller aus dem Geschäft aussteigen. Dann muss alles importiert werden, was für Onshore- und Offshore-Windparks gebraucht wird, ohne die unsere Energiewende nicht klappen wird“, macht er klar. Deshalb hat er seine Promotion der Regelungstechnik gewidmet. Wie diese zur Kostensenkung beitragen kann und warum das bitter nötig ist, erzählt Eckhard Gauterin im Gespräch.
Sie wählten nicht den direkten Weg zur Promotion?
Eckhard Gauterin: Das kann man so sagen. Ich habe nach dem Studium der Physikalischen Ingenieurwissenschaft an der TU Berlin erst einmal viele Jahre selbst Windenergieanlagen (WEA) entwickelt, und zwar als Mitarbeiter in Ingenieurbüros, oft auch für internationale Kunden. Das reichte von der Konzeption, Entwicklung und Konstruktion über die Kostenberechnung bis zur Baustelle, wo ich mit eigenen Augen verfolgen durfte, wie „unser“ WEA-Prototyp in die Höhe wuchs und in Betrieb ging. Dabei lernte ich die Branche wirklich kennen, konnte mich bestens vernetzen, das machte viel Spaß. Irgendwann stellte sich trotzdem der Wunsch ein, die Materie fachlich noch einmal zu vertiefen. Und ich hatte mit der Kostenreduktion bei der Herstellung der Anlagen eben auch ein hochrelevantes Thema gefunden, das ich bearbeiten wollte. Kontakt zur HTW Berlin gab es schon über ein wissenschaftliches Projekt. Inzwischen promoviere ich bei Prof. Dr. Horst Schulte. Einen Erstbetreuer fand ich mit Prof. Dr. Martin Kühn an der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg. Das dortige Institut namens ForWind ist ein Hotspot der deutschen Windenergieforschung.
Warum ist Ihr Thema so aktuell?
Weil die Windenergiebranche an einem Scheideweg steht. Die europäischen Hersteller der Anlagen brauchen ganz dringend Impulse für die Kostensenkung. Sonst können sie dem ökonomischen Druck nicht länger standhalten, und es wird das geschehen, was schon in der Photovoltaikindustrie passierte: Die letzten Unternehmen schließen und WEA werden nur noch in China produziert. Das ist in qualitativer Hinsicht kein Problem, damit wir uns nicht missverstehen. Aber wir würden bei der Energiewende abhängig von einem einzigen Land. Das fände ich problematisch und es wäre im Übrigen genau das Gegenteil von dem, was politisch gewollt ist.
Wo kann man da ansetzen?
Der beste Hebel für eine zügige Kostensenkung ist die Regelungstechnik. Dafür bedarf es nämlich keiner teuren Investitionen in die sehr kostenintensiven Komponenten einer Windenergieanlage. Denn die in dem Promotionsvorhaben verwendete, sehr flexible und zudem mathematisch sehr schlanke Regelungsmethode lässt sich, direkt auf der bestehenden Anlagensteuerung einer Windturbine durch Aufspielen einer neuen Regelungs-Software umsetzen – es braucht also nur das entsprechende Fachwissen.
Und was bedeutet das genau?
Es geht um die Auslegung der Hauptkomponenten einer WEA. Ich spreche vom Turm, also dem größten und schwersten Teil der Anlage, vom Triebstrang sowie von den Rotorblättern. Diese Teile werden durch den Wind nicht nur angetrieben, sondern auch stark beansprucht und geschädigt. Der Wind ist also Segen und Fluch zugleich. Erstes Ziel unserer modellbasierten Regelungs- und Berechnungsmethoden ist es, den Materialeinsatz dieser Hauptkomponenten zu reduzieren. Das hilft, Kosten einzusparen.
Zweitens müssen die Anlagen bestmöglich gepflegt werden. Dafür werden in enger Absprache mit Herstellern, Zulieferern und Schadensgutachtern die Möglichkeiten für ein Alterungsmodells der WEA ausgelotet. Ein solches Modell würde helfen, Wartung, Instandsetzung und Weiterbetrieb präziser zu planen.
Der erste Test unseres Reglers im ForWind-Windkanal der Uni Oldenburg war schon mal sehr erfolgreich. Als nächstes planen wir auch einen Versuch im Forschungstestfeld für Windenergieanlagen WINSENT auf der Schwäbischen Alb. Dort laufen parallel zwei WEA, die Konstellation wäre also perfekt, weil man die alte mit der neuen Regelungsmethode direkt vergleichen könnte.
Kann man als Promovend ein Leben mit Familie bestreiten?
Jein. Ich bin freiberuflich als Windgutachter tätig. Und diese werden gebraucht. So wollen Betreiber von Windparks wissen, ob die bei den Herstellern bestellte WEA auch vollständig und einwandfrei errichtet wurde. Alle vier bis fünf Jahre wollen dann die Versicherungen wissen, ob die Anlage noch im Rahmen der technischen Vorgaben funktioniert. Und nach 20 Jahren, wenn die Baugenehmigung für einen Windpark üblicherweise erlischt, muss ein/e Windgutachter/in schauen, ob es Reserven gibt für die Nachnutzung. Der Job macht Spaß, denn so bleibe ich dran an der Technik und den Leuten. Ich sehe mich ein wenig als Vermittler zwischen den Welten, also zwischen der Wissenschaft, der Branche und den Menschen, die dort tätig sind.
Was war für Sie der schönste Moment an der Hochschule?
Wir wurden vor einigen Jahren von einem HTW-Absolventen, der inzwischen in der Windparkplanung tätig ist, gefragt, ob wir die Gondel einer zurückgebaute SÜDWIND-WEA auf dem Hochschulgelände errichten wollen. Die Organisation des Abbaus, des Transports und der Errichtung dieser Anlage hat sehr viel Freude bereitet. So können Studierende einen Blick in die reale Anlagentechnik werfen. Und wir haben ein Kapitel Berliner Industriegeschichte auf dem Campus erhalten, weil das Kreuzberger SÜDWIND Kollektiv der bisher einzige Berliner Anlagenhersteller war.
Mit wem würden Sie gerne einen Kaffee oder Tee trinken?
Meine Leidenschaft für die Windenergie hat vor allem durch Prof. Dr. Robert Gasch an der TU Berlin Rückenwind erhalten. Herr Gasch war einer der Gründungsväter der modernen Windforschung in Deutschland. Bei ihm und seinem Kollegen Prof. Dr. Klaus Knothe durfte ich die Grundlagen der Schwingungslehre und der Windenergietechnik erlernen und sie haben mich auch mit ihren klaren politischen und humanistischen Haltungen sehr beeindruckt.
Ein Beitrag in der Reihe
Das Gespräch führte Gisela Hüttinger, HTW Berlin, Transfer- und Projektkommunikation
Fotos: HTW Berlin/Alexander Rentsch
Berlin, 21. Mai 2024