Wasser für die Felsenbirne Robin Hill
„Baummonitoring“ heißt das Allgemeinwissenschaftliche Ergänzungsmodul, das an einem heißen Juninachmittag auf dem Stundenplan steht. Prof. Dr. Romy Morana bringt dafür nicht nur einen Laptop mit, sondern auch Gießkannen. Denn die Professorin verfolgt mit der Lehrveranstaltung nicht nur ein theoretisches Ziel, nämlich Studierende für Stadtbäume und deren Probleme in Zeiten des Klimawandels zu sensibilisieren. Vielmehr geht es auch praktisch zur Sache. Gemeinsam mit zwölf Studierenden, die sich für das AWE-Modul entschieden haben, gießt die Betriebswirtin mit dem Fachgebiet Umweltmanagement im Sommersemester 2023 Bäume auf dem Campus Wilhelminenhof und im Kiez.
Wie gießt man eigentlich richtig?
Die haben es bitter nötig. Gerade konnte man im Newsletter des Berliner Tagesspiegel für den Bezirk Treptow-Köpenick lesen, dass seit mehr als vier Wochen kein Tropfen Wasser mehr vom Himmel gefallen und alles staubtrocken sei. Ehe es raus zu den Bäumen geht, gibt Prof. Dr. Morana noch fachlichen Input. Wovon hängt der Wasserbedarf eines Baumes ab? Woran erkennt man sein Alter und wie gießt man richtig? Eine nützliche Hilfe könnte die App „Gieß den Kiez“ des CityLAB sein. Die digitale Karte listet stolze 839 049 Stadtbäume auf, darunter viele entlang der Wilhelminenhofstraße. Sie zeigt auch, wie viel Niederschlag in den letzten 30 Tagen bei jedem Baum gefallen ist und ob schon irgendjemand gegossen hat. Allerdings sind die Daten noch nicht vollständig und der Campus der HTW Berlin ist in der App derzeit noch terra incognita.
Die Studierenden haben Freude am AWE-Fach
Also gibt Prof. Dr. Morana die Parole „Augen auf“ aus. Hängen die Blätter herunter oder haben sie sich schon gelb verfärbt? Sind die Zweige schlaff? Dann muss gegossen werden. Die Studierenden freuen sich darauf. Florian, Masterstudent der Angewandten Informatik, hat das AWE-Fach gewählt, weil er zwischen „normalen“ Lehrveranstaltungen gerne draußen sein und einen besseren Blick für Straßenbäume bekommen will. Genauso sein Kommilitone Max aus dem Bachelor-Studiengang Facility Management, der schon einige Bäume aufgezogen hat und hofft, noch etwas dazulernen zu können. Den angehenden Game Designer Philipp entschädigt das Baummonitoring ein klein wenig für sein abgebrochenes Biologiestudium. Auch Doreen aus dem Master-Studiengang Bauingenieurwesen ist gerne in der Natur und hat in der App „Gieß den Kiez„ sofort die Patenschaft für die Felsenbirne der Sorte „Robin Hill“ in der Wilhelminenhofstraße übernommen. Yasemin Kunter aus dem Master-Studiengang Museumsmanagement und –kommunikation macht wie ihr Kommilitone Pascal aus dem Master-Studiengang Angewandte Informatik vor allem wegen der Birken und ihrer Geschichte mit, von der noch die Rede sein wird. Leo ist fachlich am nächsten an der Materie Baummonitoring, denn er studiert Umweltinformatik.
Fürsorge für die Birken aus Auschwitz-Birkenau
Nach der Einführung zieht die kleine Gruppe mit den Gießkannen los und muss erst einmal schauen, woher sie Wasser bekommt. Im Fall der Birkengruppe, die zwischen dem Urban Garden und der Spree wächst und um die sich offensichtlich keiner kümmert, ist das einfach. Die Kommilitonen aus dem Urban Garden gewähren bereitwillig Zugang zu ihrem Hahn. Nicht zuletzt das Gießen der Birken ist Prof. Dr. Morana ein Anliegen, haben diese Bäume doch eine besondere Geschichte. Die Setzlinge stammen aus der Gedenkstätte Ausschwitz-Birkenau und wurden von dem polnischen Künstler Lukasz Surowiec im Rahmen der 7. Berlin Biennale im Jahr 2012 nach Berlin gebracht. Ihre Pflanzung auf dem Campus Wilhelminenhof erinnert daran, dass im Kabelwerk Oberspree (KWO) der AEG, wo die Hochschule seit vielen Jahren ihren Sitz hat, während der nationalsozialistischen Diktatur Zwangsarbeiter*innen ausgebeutet wurden. Die Männer und Frauen waren in einem Lager auf der anderen Seite der Spree untergebracht. Dort befindet sich heute das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit.
Die Natur liegt Prof. Dr. Morana am Herzen
Zurück zur Gießaktion. Wasser für andere Bäume bekommt die Gruppe beim Haus der Transformation. In der Schillerpromenade entdeckt man eine funktionierende Pumpe. „Die Dame in der Deutschen Post Filiale in der Wilhelminenhofstraße 36 war sichtlich froh, dass sich jemand um die Felsenbirne vor ihrer Filiale kümmert“, erzählt Prof. Dr. Morana. Auch ihr macht das AWE-Fach viel Spaß. Die Natur liegt ihr sowohl als Wissenschaftlerin als auch als Kleingärtnerin am Herzen. Lehrveranstaltungen dieser Art bietet sie immer wieder an. Für die „Umweltorientierte Betriebswirtschaftslehre“ im Masterstudiengang Betriebliche Umweltinformatik wurde Prof. Dr. Morana 2022 mit dem Preis für gute Lehre ausgezeichnet. Studierende hatten ihre eigene Wohnung unter ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten durchleuchtet, um Verbesserungspotentiale zu entdecken.
Zum Abschluss ein schriftliches Baumprofil
Zwei Doppelstunden im Rhythmus von zwei Wochen sind für das Baummonitoring angesetzt. Diese Zeit wird auch benötigt, denn die Professorin und ihre Studierenden müssen mit den Gießkannen weite Wege zurücklegen. Im Wetterbericht deutet wenig darauf hin, dass sie sich das Gießen bald sparen können. Falls es doch mal regnet, wird den Studierenden Zeit bleiben für die Seminaraufgabe: die Erstellung eines schriftlichen Baumprofils. Vielleicht werden die Daten ja irgendwann Eingang finden in die App „Gieß den Kiez“?!