Von Paragrafen und Perspektiven: Eine juristische Studienreise
Justitias Waagschalen sind schon lange nicht mehr unabhängig. Nationale Gesetze werden von globalen Ereignissen und internationalen Verträgen beeinflusst, die wie zusätzliche Gewichte in den Schalen liegen. Handel, Klimaschutz und ein friedliches Zusammenleben beispielsweise können nur gemeinsam sinnvoll gestaltet werden. Die Arbeit von Prof. Dr. Michael Jaensch an der HTW Berlin war von Beginn an geprägt von dem Ehrgeiz, eine juristische Ausbildung zu schaffen, die über Ländergrenzen hinausreicht. Mit seiner Lehrveranstaltung „Internationalisation at Home - Spring School“, für die er 2023 den Preis für gute Lehre erhalten hat, ist ihm das gelungen.
Die Geburt einer Idee
Die Idee dafür entstand in Vietnam, als Jaensch im Rahmen der Deutsch-Vietnamesischen Rechtstage am Abend nach einer Konferenz die Studierendenverbindung „Moot Court Club“ traf. Jaensch erzählt: „Ein Moot Court ist ein simuliertes Gerichtsverfahren, in dem ein fiktiver oder realer Fall verhandelt wird und die Studenten jeweils in die Rolle einer der Prozessparteien schlüpfen. Diese Verfahren haben einen Wettbewerbscharakter und es wird am Ende ein symbolischer Sieger gekürt.“ Im Gespräch mit den vietnamesischen Studierenden wurde die Idee geboren, Studierende der HTW Berlin nach Vietnam zu holen, um einen interkulturellen Moot Court zu veranstalten.
Von der Vision zur Realität
Zurück in Deutschland wurde im Gespräch mit der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) aus der Idee ein Lehrveranstaltungskonzept für ein Wahlpflichtfach, in dessen Rahmen verschiedene Exkursionen ins Ausland stattfinden – im Wintersemester jeweils die Spring School Vietnam. Durch einen inhaltlichen Fokus auf den Bereich der Menschenrechte und vor dem Hintergrund des deutsch-vietnamesischen Rechtsstaatsdialogs, erklärte sich die FES zur finanziellen und organisatorischen Unterstützung bereit. Da Jaensch im Vertragsrecht spezialisiert ist, brauchte er Unterstützung durch weitere Lehrende mit Expertise im Völkerrecht, die er anfänglich im DAAD-Langzeitdozenten in Hanoi und später an der Universität Regensburg und Augsburg fand, sodass Jaenschs Lehrveranstaltung nicht nur länder- sondern auch hochschulübergreifende Kooperationen fördert und Berührungsängste abbaut.
Intensive Vorbereitungen
Die Finanzierung wird gesichert, die Teilnahme an der Spring School wird ausgeschrieben und die Auswahl der Studierenden findet statt. Zwischen Oktober und Januar werden inhaltliche Grundlagen zu den Präsentationsthemen in Form von Vorlesungen vermittelt. Studierende bilden Zweiergruppen, wählen ihr Thema aus und erarbeiten Vorträge zu jeweils einem spezifischen Menschenrecht, die via Zoom mit den Professor*innen abgestimmt werden. Zudem werden interkulturelle Kompetenzen vermittelt, denn die verschiedenen Kulturen und Kommunikationsstile erfordern besondere Sensibilität. Die Reisevorbereitungen werden besprochen. Diese Phase bildet das Fundament für die Tage in Vietnam.
Zehn Tage Vietnam
Vor Ort erwartet die Teilnehmenden ein straffer Zeitplan. Vorlesungen, Einblicke in die politische Situation in Vietnam, Gastvorträge vom Justizministerium oder der deutschen Botschaft sowie die studentischen Präsentationen von jeweils einem Menschenrecht füllen die wenigen Tage in Hanoi und Umgebung. Hinzu kommt ein Rahmenprogramm mit Exkursionen und gemeinsamen Unternehmungen. Der Höhepunkt ist der interkulturelle "Moot Court".
Der Moot Court: Herausforderungen und Chancen
Zunächst werden gemischte Gruppen mit Studierenden aus Deutschland und Vietnam gebildet. Mittags bekommen die Gruppen ihren Fall, den sie jeweils aus den Blickwinkeln beider Seiten betrachten müssen. Denn erst am folgenden Verhandlungstag wird ausgelost, aus welcher Position heraus sie argumentieren müssen – die des Antragstellers oder die des Antraggegners. In nur zwei Tagen entwickeln sie ihre Argumentation und reichen, wie bei einem echten Gerichtsverfahren, vorher eine ausformulierte Stellungnahme ein, die dann beim Verfahren diskutiert wird. Der "Moot Court" stellt nicht nur einen Teil der Prüfungsleistung dar, sondern bietet auch eine Gelegenheit für die Studierenden, ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, voneinander zu lernen und zu erleben, wie die kulturelle Prägung die Perspektive auf einen Fall beeinflussen kann.
Nachhaltige Eindrücke
„Die Spring School hat schon einige Studenten ‚aufgeweckt‘ und zu engagierten Juristen gemacht“, erzählt Jaensch. Solche Erfahrungen aus zehn Jahren Projektarbeit machen deutlich, dass der interkulturelle Brückenschlag und der Austausch über verschiedene Rechtssysteme hinweg nicht nur ein Konzept, sondern eine unverzichtbare Bereicherung der akademischen Lehre ist.
Lehren und Lernen ohne Grenzen – weiterführende Informationen
Die Bedeutung von Auslandserfahrung in Studium und Lehre sowie für den Karriereerfolg von Hochschulabsolventen und -absolventinnen wächst. Auch die HTW Berlin unterstützt deshalb Austausch- und Lehrprojekte mit internationalen Partnerinstitutionen, die zum Teil oder komplett virtuell durchgeführt werden. Zu diesem „Virtual Exchange“ gehören verschiedene Formate, wie z. B. Collaborative Online International Learning (COIL) und Erasmus+ Blended Intensive Programmes (BIP). Das International Office unterstützt Sie gerne bei Planung und Durchführung Ihres Vorhabens!
Beratung für Lehrende
Sie haben auch tolle Ideen für die Lehre, aber wissen noch nicht, wie Sie das am besten umsetzen? Das Lehrenden-Service-Center berät Sie bei allen Fragen zu Lehre, Didaktik und Medienproduktion. Kontaktieren Sie uns einfach per Mail unter lehre@htw-berlin.de. Wir freuen uns auf Ihre Anfragen!