Schneller Batteriewechsel für eine emissionsarme Fahrt
Würden Sie eine Gemeinsamkeit zwischen Batteriezelle und Mensch vermuten? Wohl kaum. Doch es gibt eine: Sowohl die Batteriezelle als auch der Mensch haben einen klar umrissenen Wohlfühlbereich. „Ist die Temperatur höher, muss gekühlt werden; ist sie zu gering, muss Wärme zugeführt werden“, erklärt Prof. Dr. Michael Lindemann. Mit dem Wohlfühlbereich von Batteriezellen – genauer gesagt: mit thermischen Messungen und Simulationen - haben sich der Experte für KFZ-Elektronik und Fahrsimulation und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Sebastian Bollow intensiv beschäftigt. Denn im Forschungsprojekt „PowerSwap“ galt es, den Prototyp eines schnellwechselfähigen Batteriesystems für elektrische Kleintransporter zu entwickeln. Vier mittelständische Kooperationspartner waren mit im Boot. Die finanzielle Förderung stellte das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aus dem „Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand“ zur Verfügung.
Lieferkettenprobleme waren eine Herausforderung
Obwohl im Zuge von „PowerSwap“ viel wissenschaftliches Know-how gesammelt wurde und der Prototyp einer Wechselbatterie für einen VW e-Crafter entstand, ist Prof. Dr. Lindemann noch nicht ganz zufrieden. Er hätte den besagten Prototypen nach seiner Fertigstellung gerne ausführlicher getestet. Doch Lieferkettenprobleme machen auch vor der Wissenschaft nicht halt; verstärkt wurden sie durch die Pandemie, während der das Forschungsprojekt realisiert wurde.
Ein chinesischer Anbieter sprang ein
Gleich zu Beginn war der deutsche Lieferant der Batteriezellen in Konkurs gegangen, europäische Hersteller hatten abgewunken, ein chinesischer Anbieter hat schließlich aus der Patsche geholfen. Nicht minder schwierig gestaltete sich die Beschaffung der Elektronikbauteile für das Batteriemanagementsystem, welches das Laden der Batteriezellen regelt und für einheitliche Spannungsniveaus sorgt. Der oberbayerische Kooperationspartner e.telligent musste das Equipment mühsam zusammentragen und in einigen Fällen sogar improvisieren. „Das hat uns sicher sechs Monate gekostet“, blickt Prof. Dr. Lindemann zurück. Wertvolle Zeit, die am Ende für Fahrzeugtests unter realen Bedingungen fehlte.
Maßgeschneidertes Batteriegehäuse
Was erarbeitet wurde, kann sich trotzdem sehen lassen: ein dank 3-D-Bauraumscan maßgeschneidertes Batteriegehäuse, das sich mit sogenannten Bajonettverschlüssen schnell, aber stabil am Unterboden des e-Crafters befestigen lässt. Für die Kühlung der Batteriezellen sorgen Kühlrippen, die in Fahrtrichtung über die gesamte Länge des Rahmens verlaufen. 96 in Reihe geschaltete Zellen generieren 13 Kilowattstunden und formen ein Modul; bis zu drei Module können pro Fahrzeug verbaut werden. Überwacht und gesteuert wird alles von einem intelligenten Batteriemanagementsystem.
Im Fokus: das thermische Verhalten der Batteriezellen
Der spezielle Part von Prof. Dr. Lindemann und Sebastian Bollow im Gemeinschaftsprojekt: die Untersuchung des thermischen Verhaltens der Batteriezellen. Es ist der Schlüssel zur Performance. „Nur wenn sich die in Reihe geschalteten Zellen im gleichen Ladezustand befinden, ergibt sich die maximale Leistung“, erklärt Prof. Dr. Lindemann. Andernfalls würde das schlechteste Glied den Output bestimmen. Im schlimmsten Fall könnten die Zellen zerstört und der Akku unbrauchbar werden. Also wurde ein Verbund von Einzelzellen am Batterieprüfstand der Hochschule immer wieder aufgeladen und entladen und kontinuierlich vermessen. Außerdem wurde am Rechner simuliert, was passiert, wenn die Zellen im Betrieb des Nutzfahrzeugs unter großer Belastung stehen. „Die Simulation ist dafür eine ideale Methode“, sagt Sebastian Bollow. Würde man die Messung am Beispiel eines normalen Einsatztags des Fahrzeugs durchführen, würde man nur eine Variante erfassen können. Der Zeitaufwand wäre immens.
Die Simulationen und Berechnungen trafen zu
Dass die Messungen, Rechnungen und Simulationen der HTW Berlin zutrafen, stellte sich später bei den Tests des Batterie-Prototypen am Prüfstand der Hochschule Ingolstadt heraus. Er verfügt, anders als der HTW-Prüfstand, auch über eine ausreichend große Klimakammer, die nötig war, weil Prof. Dr. Lindemann und Sebastian Bollow das Verhalten der Batterie unter präzisen Rahmenbedingungen messen wollten. Denn Batterien sind im realen Fahrzeugbetrieb Umgebungstemperaturen zwischen minus 40 und plus 90 Grad Celsius ausgesetzt. „Erste Studien zeigen, dass sich die Batterie schnell wechseln und sicher betreiben lässt“, resümieren Prof. Dr. Lindemann und seine Co-Autoren in der Automobil-Fachzeitschrift ATZ. In noch ausstehenden Fahrzeugtests müsste sie nun unter realen Bedingungen erprobt werden. Wann sie stattfinden, ist derzeit noch offen.
Das nächste Projekt: Wechselbatterien für Gabelstapler
Prof. Dr. Lindemann indes hat schon die nächsten Fahrzeuge im Blick, deren Umrüstung er für sinnvoll hält: Gabelstapler. Noch werden sie fast ausnahmslos mit alten Bleibatterien betrieben. Der Einsatz von Wechselbatterien auf Lithium-Ionen-Basis wäre eine Alternative mit vielen Vorteilen. Bei ihrer technischen Konzeption wird ihm das Know-how aus dem Projekt PowerSwap sehr nützlich sein.