Die Kunst des Managements
Haben Sie schon von der VUCA-Welt gehört? Es geht hier nicht um einen fernen Planeten oder ein Paralleluniversum – der Begriff beschreibt die schwierigen Rahmenbedingungen unserer digitalen und dynamischen Welt. Die Buchstaben stehen für „Volatility“ (= Flüchtigkeit), „Uncertainty“ (= Ungewissheit), „Complexity“ (= Komplexität) und „Ambiguity“ (= Mehrdeutigkeit). Um unter diesen Bedingungen zukünftig erfolgreich zu sein, braucht es neue Strategien, Denk- und Herangehensweisen. Alte Management-Paradigmen, die Planung, Kontrolle und Risikominimierung in den Fokus nehmen, scheinen angesichts von VUCA nicht mehr zeitgemäß zu sein.
Ursprung des Lehrveranstaltungskonzepts
Aus diesem Grund blickt Prof. Dr. Berit Sandberg bereits seit Jahren mit der „Künstlerbrille“ auf Management-Prozesse. Dabei beschäftigte sie sich im Rahmen ihrer Forschungstätigkeit insbesondere mit der Frage: „Was und wie können Führungskräfte von Künstler*innen lernen?“ Daran anknüpfend entwickelte sie das Konzept ihrer Lehrveranstaltung „Artful Leadership“. Diese ist Teil des Masterstudiengangs „Nonprofit Management und Public Governance“ und wurde 2021 mit dem Preis für gute Lehre ausgezeichnet.
Was ist „Leadership“?
Leadership bedeutet, andere Menschen zu motivieren und in Richtung einer Zukunftsvision zu führen. Schlüsselkompetenzen, die das unter den Rahmenbedingungen der VUCA-Welt erleichtern, sind die Fähigkeit mit Unsicherheit umzugehen, Ambiguitätstoleranz und nicht zuletzt Kreativität. All diese Kompetenzen finden sich – so ist Sandberg überzeugt – im künstlerischen Schaffensprozess wieder. Denn künstlerische Arbeit bewegt sich zwar innerhalb eines Themas, ist ansonsten aber ergebnis- und prozessoffen.
Der Weg ist das Ziel
Doch statt nur theoretisch über den künstlerischen Prozess zu referieren, wird er ganz praktisch durch gemeinsame Übungen erprobt. Eines von vielen Beispielen dafür ist das „Dialogzeichnen“, bei dem zwei Menschen an einem Blatt Papier arbeiten. Dabei geht es ausdrücklich nicht darum, dass Kunstwerke entstehen. Stattdessen soll der Entstehungsprozess nachvollzogen, soll experimentiert und wahrgenommen werden, wie künstlerische Prozesse ablaufen und welche Verhaltensweisen, Haltungen und Werte dafür wichtig sind. Bei diesem kunstbasierten Ansatz, einer Form von sogenanntem Arts-based Learning, geht es also um Lernen am Vorbild und Erfahrungslernen in Kombination mit forschendem Lernen.
Die Wahrnehmung schulen
Um die zeitaufwändigen „kunstbasierten Interventionen“ zu ermöglichen, finden die Termine überwiegend als mehrstündige, in sich abgeschlossene Workshops statt. Dabei wird die Zielsetzung der Methoden nicht unbedingt erklärt, sondern Sandberg erwartet, dass die Studierenden sich vertrauensvoll in die Situation begeben, ihre Erfahrungen reflektieren und für ihre spätere Berufspraxis weiterdenken. Im „Jazzinar“ beispielsweise ging es um Kommunikation und ihre Bedeutung für Leadership im Sinne geteilter Führung. Ein Jazzmusiker vermittelte den Studierenden den Spirit: Beim Spielen hören die Musiker*innen einander zu. Sie spüren den Beat über den Boden, kommunizieren durch Haltung und Blicke, sie halten sich im Hintergrund und stützen, wenn jemand ein Solo hat. Jazzmusik zeichnet sich durch Improvisation aus. Dabei werden bestimmte Muster in der Musik – die Riffs – immer wieder aufgegriffen, leicht verändert und so weiterentwickelt. All das passiert spontan und bedarf in einer Band Erfahrung, Vertrauen und Spielregeln. Um diesen Prozess selbst nachvollziehen zu können, wurde das Gespräch im Unterricht mit genau dieser Riffing-Technik weitergeführt.
Richtig oder falsch?
Doch wie kann freies Experimentieren benotet werden? „Glücklicherweise gehört unser Projektkurs zu dem Anteil von Lehrveranstaltungen, die laut Studienordnung undifferenziert bewertet werden dürfen“, erklärt Sandberg. Es gab also keine Noten, kein richtig oder falsch – ganz im Sinne der Kunst. Dennoch waren die Studierenden enorm engagiert. Einerseits, weil sie sich die Veranstaltung als Wahlpflichtfach aussuchen konnten. Und andererseits, weil sie so viel Freude an den Aufgaben hatten. Die Projektarbeit bestand aus drei Teilen, die aufeinander aufbauten: Zunächst wurde in Einzel- oder Teamarbeit ein Glossar zu Führungsstilen erarbeitet. Danach wurden in Einzelarbeit Interviews mit Künstler*innen als potentiellen Vorbildern für „Artful Leadership“ durchgeführt, transkribiert und hinsichtlich des Führungsstils analysiert. Zum Schluss sollten selbstgewählte Beispiele aus Spielfilmen oder Fernsehserien, eigentlich schriftlich, in Bezug auf Leadership und Führungsstile analysiert werden.
Flexibel bleiben
Doch an dieser Stelle haben die Studierenden interveniert. Denn sie wollten die Ergebnisse der anderen Kursteilnehmer*innen mitbekommen und haben ihre Arbeiten stattdessen in Form von Audio- und Video-Podcasts präsentiert. „Das hat mich unheimlich stolz gemacht! Denn im Grunde haben sie mit ihrem Widerstand und ihrer alternativen Idee den kunstbasierten Ansatz konsequent umgesetzt“, erzählt Sandberg. Zudem ist diese Veränderung ein positives Beispiel für gelungenes Leadership durch die Professorin, die flexibel und in Zusammenarbeit mit ihren sogenannten Followern, also den Studierenden, den Plan angepasst hat.
Umdenken in der Lehre
Nach dem großen Erfolg der Lehrveranstaltung wird das Konzept nun immer weiter verfeinert. „Bei meinem Einstieg an der HTW Berlin im Jahr 2003, hätte ich mich sicherlich noch nicht getraut, ein solches Konzept auszuprobieren“, gibt Sandberg zu. „Aber es zeichnet sich ab, dass in den nächsten Jahren die persönlichen Kompetenzen eine viel größere Rolle im Berufsleben spielen werden. Deshalb wünsche ich mir ein Umdenken in der Lehre, die momentan noch sehr auf die Vermittlung von Fach- und Methodenwissen ausgelegt ist. Dabei möchte ich mit gutem Beispiel vorangehen.“
Beratung für Lehrende
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