Umweltfreundlich in die Stadt liefern – geht das?
Die einen kaufen in Läden ein, die anderen bestellen lieber online. Doch egal, wie man seine Besorgungen macht: Irgendwie müssen Kopfhörer und Koffer, Turnschuhe und Töpfe, Laptops und Leinenhemden zu den Menschen, ergo in die Städte, gebracht werden. Bereits jetzt sind die Straßen heillos überlastet, vom politisch gewollten Umbau der Städte zugunsten von Radwegen und öffentlichem Personennahverkehr ganz zu schweigen. Wie kann man die Lieferkette vom Rand der Stadt in das Zentrum umwelt- und stadtverträglich organisieren? Gemeinsam mit Praxispartnern suchen Wissenschaftler_innen der HTW Berlin und die Berliner Hochschule für Technik nach innovativen Lösungen. Das Projekt wird vom Institut für Angewandte Forschung Berlin (IFAF Berlin) finanziert. Im Interview geben der Logistikexperte Prof. Dr. Stephan Seeck, die Wirtschaftsinformatikerin Prof. Dr. Birte Malzahn sowie der wissenschaftliche Projektmitarbeiter Robert Teschendorf einen ersten Einblick.
Sie haben sich im Vorgängerprojekt „Kiezbote“ schon einmal mit dem Thema beschäftigt. Was ist jetzt neu?
Prof. Dr. Seeck: Mit dem „Kiezboten“ haben wir ein Konzept entwickelt und praktisch erprobt, bei dem Pakete verschiedener Zusteller in einem Mikrodepot gesammelt und dann umweltfreundlich auf Lastenrädern sowie kundenorientiert, nämlich zur gewünschten Uhrzeit, zugestellt werden. Mit diesem Projekt sind wir nicht allein: Für die „letzte Meile“, wie die Lieferung auf den letzten drei bis fünf Kilometern in der Logistikbranche genannt wird, gibt es inzwischen eine ganze Reihe von stadt- und umweltverträglichen Lösungen. Sie können sich längst problemlos sogar eine Waschmaschine oder Möbel mit dem Lastenrad liefern lassen. Doch ehe man Waren und Pakete aus Mikrodepots heraus an die Kundschaft verteilen kann, müssen sie erst einmal von den die Stadt umgebenden Lagern und Umschlagpunkten dorthin gebracht werden. Mit dieser „vorletzten Meile“ beschäftigen wir uns im neuen Projekt. Wir haben es WAS-PAST genannt, das steht für „Warenströme in Städten - Paket und Stückgut“.
Warum muss sich bei der Lieferung von Waren in die Stadt etwas ändern?
Robert Teschendorf: Änderungsbedarf besteht deshalb, weil sich zwar alle lebendige Innenstädte, schöne Läden und eine große Vielfalt an Produkten aus aller Welt wünschen, es aber gleichzeitig immer mehr Beschränkungen für die Lkw gibt, die Waren in die Innenstädte liefern. Was nachvollziehbar ist, denn Lkw machen Lärm, stoßen Abgase aus und blockieren den Verkehr, wenn sie in zweiter Reihe stehend abladen. In manche Straßen oder Fußgängerzonen dürfen 18tonner nur noch zu bestimmten Uhrzeiten rein, in andere gar nicht mehr. Die Bestimmungen werden sich in den nächsten Jahren weiter verschärfen. Das Berliner Mobilitätsgesetz schreibt zum ersten Mal den Vorrang von öffentlichem Personennahverkehr, Fuß- und Radverkehr fest. Das heißt: Der Druck auf Handel, Spediteure und Paketzusteller wächst – und in der Branche hat ein Umdenken begonnen. Lkw werden in nicht allzu ferner Zukunft in Städten die Ausnahme sein, die Waren müssen dann mit anderen Verkehrsmitteln angeliefert werden. Welche Verkehrsmittel das sein könnten und wie man Lieferungen effizient, stadt- und umweltverträglich, aber auch wirtschaftlich organisieren könnte, wollen wir im Projekt gemeinsam mit Partnern aus der Praxis erforschen und auch erproben.
Wie weit ist das Projekt schon gediehen?
Prof. Dr. Birte Malzahn: Wir haben zum Auftakt einen Design-Thinking Workshop durchgeführt, um gemeinsam mit unseren Partnern aus Wissenschaft und Praxis out-of-the-box zu denken, also Visionen zu entwickeln. Mit Citkar, Cycle Logistics und 4flow haben wir schon im Projekt „Kiezbote“ zusammengearbeitet; neu hinzugekommen sind neben der Berliner Hochschule für Technik Ebay und der Bundesverband der Kurier-Express-Post-Dienste. Zuvor wurde natürlich recherchiert, welche vergleichbaren Projekte und Ansätze es gibt und über welche Konzepte bereits diskutiert wird. Noch ist offen, welche Lösungen wir entwickeln werden. Fest steht lediglich, dass neue Verkehrsmittel zum Einsatz kommen sollen. Diese neuen Verkehrsmittel werden wir über geeignete Partner ins Projekt einbinden.
Welche Verkehrsmittel kommen alternativ in Frage?
Prof. Dr. Seeck: Es gibt mehrere Möglichkeiten: kleinere, elektrisch betriebene Fahrzeuge, Züge, elektrische Boote und Lastenräder mit Anhängern; autonom fahrende Fahrzeuge werden dabei auch berücksichtigt. Ausgeschlossen haben wir die Tram, weil entsprechende Anschlüsse in der Regel fehlen und dazu bereits viel geforscht wurde. Wie meine Kollegin Birte Malzahn sagte: Wir haben zwar schon erste Ideen, was man machen könnte, sind aber noch in Gesprächen und haben nichts final vereinbart. Einen möglichen Partner und sein Verkehrsmittel haben wir dabei schon konkreter im Auge, das aus der RWTH heraus entstandene Startup DroidDrive mit dem dort entwickelten Ducktrain. Eine spannende Innovation, die ersten Prototypen sind gerade im Test.
Der grundsätzliche Lieferprozess steht bereits fest: Alle Waren werden aus Lagern vom Stadtrand oder weiter weg zu einem günstig gelegenen Stadtgüterverkehrszentrum, einem sogenannten Makrohub gebracht, wo sie dann zwischengelagert und auf umweltfreundliche Verkehrsmittel wie Elektro-Van, Ducktrain, Elektro-Boot oder Zug zu den Mircohubs oder Microdepots gebracht werden. Dort erfolgt der Umschlag auf Lastenräder für den Transport auf der letzten Meile. Ein solcher Makrohub könnte der Westhafen sein, da er mit seiner Innenstadtlage und sehr guten Verkehrsanbindungen ideal geeignet ist. Daher bemüht sich das Team gerade um die Behala als weiteren Partner.
Welche Rolle spielt bei alledem die Informatik?
Prof. Dr. Birte Malzahn: Die Informatik spielt eine große Rolle, denn jeder Logistikprozess braucht IT-Unterstützung, um effizient ablaufen zu können. Beispielsweise muss die Warenübergabe IT-technisch abgebildet werden. Alle Händler und Dienstleister haben ihre eigenen Systeme, doch die Schnittstellen, an denen wir andocken, sind meist standardisiert. Inzwischen habe ich viel über die Logistikbranche gelernt, mein Kollege Stephan Seeck wiederum viel über IT-Anforderungen von Geschäftsprozessen. In über zwei Jahren sind wir zu einem guten Team geworden. Und Robert Teschendorf ist die perfekte Ergänzung, denn er war Logistikberater bei einem IT-Unternehmen. Zu seinem Tagesgeschäft gehörte es, Prozesse zu definieren und die passende IT daraufzusetzen. Auf unser Projekt aufmerksam wurde er übrigens als Kunde des „Kiezboten“.
Wollen Sie das Konzept auch praktisch erproben?
Prof. Dr. Seeck: Ja, unbedingt. Wir planen einen sechsmonatigen Pilotversuch, bei dem wir die Machbarkeit sowie die positiven Effekte auf Umwelt und städtische Infrastruktur untersuchen und zum andern die erforderlichen Bedingungen für einen wirtschaftlichen Betrieb überprüfen wollen. Um den Erfolg des Pilotversuchs sicherzustellen, sind wir auch immer an weiteren Partnern interessiert, die zu transportierende Waren oder Verkehrsmittel für den Transport in das Projekt einbringen wollen.