Dr. Lena Simon
Dr. Lena Simon
Ihren Job an der HTW Berlin trat sie am 4. Januar 2021 mitten im Lockdown an. Doch das hat Dr. Lena Simon nicht aus der Fassung gebracht. Seit Jahresbeginn leitet die Quantenphysikerin das Team im Kooperationszentrum Wissenschaft - Praxis, in der Nachfolge von Bärbel Sulzbacher, die in den wohlverdienten Ruhestand gegangen ist. Im Interview erzählt die 40-jährige, bis vor kurzem noch Forschungskoordinatorin in der Biomaterialienabteilung am Potsdamer Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, mehr von ihren Erfahrungen und Erwartungen.
Wie fühlte sich der Neustart im Lockdown an?
Dr. Lena Simon: Ungewöhnlich, obwohl ich zuletzt auch im Homeoffice gearbeitet habe. Wenn man zunächst kaum jemanden persönlich kennenlernt – bei zwei Besuchen auf dem Campus war es ziemlich leer – dauert es einfach länger, Strukturen zu verinnerlichen, geschweige denn zu verstehen, wie die Hochschule „tickt“. Doch alle haben sich große Mühe gegeben. Ich bekam viele freundliche Willkommens-Mails und bei den wichtigen organisatorischen Dingen nahm man mich hilfsbereit an die virtuelle Hand. Ich fühle mich also bestens empfangen.
Was hat Sie an der neuen Tätigkeit gereizt?
Ich finde sowohl mein Aufgabenspektrum als auch das Profil der Hochschule interessant. Als theoretische Physikerin habe ich selbst geforscht, aber bald gemerkt, dass mir bei dem recht einsamen Rechnen und Modellieren am Computer häufig etwas Wichtiges fehlt: der Austausch mit Menschen. So kam ich zum Wissenschaftsmanagement, bis dato immer in der Grundlagenforschung. Jetzt kann ich im Kooperationszentrum Wissenschaft – Praxis an der Schnittstelle zur angewandten Forschung arbeiten, nehme also stärker die Praxis sowie wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedürfnisse in den Blick. Forschende bei ihren höchst unterschiedlichen Projekten zu unterstützen, die Zusammenarbeit zwischen der Hochschule und Partnern in Wirtschaft und Gesellschaft strategisch auszubauen, Netzwerke zu knüpfen – das hat mich sehr gereizt.
Diese Arbeit an einer Schnittstelle empfinde ich angesichts der Fächervielfalt der HTW Berlin übrigens als besonders spannend. Auch das war ein Grund für meine Bewerbung. Zu guter Letzt: Ich habe mich ein wenig umgehört und dabei einen positiven Eindruck von der Hochschule gewonnen: ihre Offenheit für Veränderungen, die Möglichkeit, sich einzubringen und Veränderungen anzustoßen, das ausgeprägte gesellschaftliche Engagement. Das waren Pluspunkte.
Welche Erfahrungen bringen Sie aus Potsdam mit?
Lassen Sie mich ganz abstrakt drei Erkenntnis- bzw. Erfahrungsprozesse schildern. Ich habe mich am MPI intensiv mit Forschungsdatenmanagement beschäftigt. Anfangs schien mir das nicht besonders interessant, doch je länger ich mit allen Beteiligten sprach – mit Wissenschaftler_innen, IT-Expert_innen, anderen Wissenschaftsmanager_innen, dem Bibliotheksteam - desto klarer wurde meine Vorstellung, was wie verknüpft sein müsste, nämlich in einer Proben- und Messdatenbank. Mein Chef und der Leiter der IT ließen sich von der Idee überzeugen. Heraus kam eine schlanke Datenbank, die den Forschungsprozess der Abteilung abbildet, mit QR-Code-Stickern für Proben und allem Drum und Dran. Mein Fazit: Wenn man genügend Durchhaltevermögen mitbringt und mit den richtigen Leuten zusammenarbeitet, lassen sich auch große Projekte erfolgreich bewältigen, auch wenn Change Management bisweilen anstrengend sein kann.
Zweiter Punkt: Ich habe Interdisziplinarität bis hin zur Transdisziplinarität erlebt und sie wirklich schätzen gelernt, als Wissenschaftlerin und als Wissenschaftsmanagerin. Interdisziplinarität ist mühsam, weil alle Disziplinen eine eigene Sprache sprechen und erst eine gemeinsame Sprache finden müssen. Doch sie ist möglich, und ich bin fest überzeugt, dass wir die Herausforderungen der Zukunft nur durch eine interdisziplinäre Herangehensweise in den Griff bekommen.
Drittens habe ich als gewählte Ombudsperson erlebt, wie wichtig es bei Konflikten ist, alle Seiten zu hören, um zwischen den Parteien vermitteln zu können. Übrigens müssen wir auch an der HTW in der näheren Zukunft den neuen DFG-Kodex zur guten wissenschaftlichen Praxis umsetzen und über die Rolle einer Ombudsperson nachdenken.
Haben Sie schon eine Agenda für die HTW Berlin?
Ich kenne bereits einige Aufgaben, die in Angriff zu nehmen sind - unter anderem die Überarbeitung der HTW-Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis und die Weiterentwicklung von my.htw. Dazu kann ich sicher beitragen. Übrigens finde ich es bemerkenswert, dass die HTW Berlin schon so früh ein Forschungsinformationssystem in Gestalt von my.htw etabliert hat. Im Fokus wird auch die Entwicklung einer neuen Forschungsstrategie für die Hochschule stehen, worauf ich sehr gespannt bin. Doch eine wirkliche Agenda habe ich heute noch nicht. Ich will die Hochschule erst einmal verstehen lernen und zuhören, vor allem auch meinem Team, das die HTW am besten kennt und sicher gute Vorschläge und Ideen für Veränderungen hat.
Eine feste Agenda habe ich auch aus einem anderen Grund nicht: Schon als Managing Director des Joint Institute for Nuclear Astrophysics an der Michigan State University hörte ich öfter den Spruch, die Koordination von Wissenschafter_innen sei „like herding cats“. Wissenschaftliche Zusammenarbeit lässt sich nicht am Reißbrett planen und schon gar nicht verordnen. Man kann nur bestmögliche Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Beteiligten selbst Interesse entwickeln und sich engagieren. In diesem Sinne verstehe ich meine Aufgabe. Das Angebot der Vizepräsidentin für Forschung und Transfer, als „Researcher in Residence“ zu gehen, ist ein schönes Beispiel für solche bestmöglichen Rahmenbedingungen. Auch das zeigt mir: Die HTW Berlin ist modern und zukunftsorientiert.
Das Gespräch führte Gisela Hüttinger, Transfer- und Projektkommunikation
Fotos: HTW Berlin/Alexander Rentsch
Berlin, 11. Februar 2021