Dimitrios Zikos
Dimitrios Zikos
Prof. Dr. Dimitrios Zikos lehrt und forscht seit 2019 an der HTW Berlin. Der Volkswirt hat die Vertretungsprofessur für Prof. Dr. Sebastian Dullien übernommen. In Lehre und Forschung befasst er sich unter anderem mit nachhaltiger Entwicklung und Governance. Prof. Dr. Zikos hat jahrelang in Entwicklungskontexten geforscht, unter anderem in Indien, Zentralasien und im östlichen Mittelmeer. Im Gespräch legt er den Fokus auf das 8. Ziel der Vereinten Nationen: „Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum“.
Wie schwierig ist es, für menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum zu sorgen?
Ich könnte stundenlang über dieses wohl herausforderndste Ziel von allen sprechen: nachhaltiges UND inklusives Wachstum in Kombination mit menschenwürdiger Arbeit, der Abschaffung von Kinderarbeit und dem Schutz von Arbeitsrechten, insbesondere für Frauen, Jugendliche und Migranten. Sprechen würde ich auch über die dürftigen Bemühungen, globale Armut tatsächlich zu mildern, Ungleichheiten zu reduzieren und die Lebensbedingungen für Milliarden von Menschen zu verbessern.
Wichtiger ist mir eine grundsätzliche Bemerkung: Die COVID 19-Krise zeigt, dass unser globalisiertes Wirtschaftssystem nicht in der Lage ist, Lösungen für diese Probleme zu bieten. Es fehlen die wirtschaftlichen Mechanismen, aber auch neue Ideen, die eine erfolgreiche Reaktion auf Krisen ermöglichen. Heute sieht sich die Welt mit der schlimmsten Rezession seit der großen Depression konfrontiert. Fast eine halbe Milliarde Menschen haben ihren Arbeitsplatz verloren oder stehen kurz davor. Der Tourismus, in vielen weniger entwickelten Ländern die Haupteinnahmequelle, ist zusammengebrochen. Probleme, die traditionell als eng mit den Ärmsten der Armen verbunden gelten, schlagen nun auch in den entwickelten Ländern Wurzeln. Und noch schlimmer: Es sieht so aus, als ob viele entwickelte Länder, also jene, die vermeintlich über „Rezepte“ verfügen, das SDG 8 zu erreichen, in der Krise im Vergleich zu weniger entwickelten Ländern eher schlecht abschneiden.
Für mich ist das ein starkes Signal dafür, dass etwas furchtbar falsch läuft! Wir müssen eine neue Vorstellung von Wachstum entwickeln und davon, was menschenwürdige Arbeit wirklich bedeutet. Im Mittelpunkt sollten die Sicherstellung von "Wohlfahrt" oder besserem "Wellbeing" stehen. Denn die Pandemie hat eine Schlüsselbotschaft offenbart: Zahlen spielen keine Rolle, das Wohlbefinden der Menschen schon.
Wo ist der Handlungsbedarf am größten?
Die Notwendigkeit eines Übergangs zu neuen Wirtschaftsparadigmen ist akuter denn je. Green Economy, aber auch Kreislaufwirtschaft und andere großartige Ideen wie "Nachhaltiger Tourismus" und "Arbeit für alle" können unter den derzeitigen wirtschaftlichen Prinzipien nicht funktionieren. Solange die Deregulierung weitergeht, solange sich der öffentliche Sektor und die Zivilgesellschaft vor den entfesselten und unkontrollierten Marktkräften zurückziehen, wäre es naiv, ein konzentriertes globales Handeln zum Wohle der am meisten unterprivilegierten Menschen zu erwarten.
Doch es sollte vielen Nationen nicht unmöglich sein, innerhalb weniger Jahre einen reibungslosen Wandel zu einem anderen ökonomischen Modell zu bewerkstelligen, bei dem alle relevanten wirtschaftlichen, politischen und sozialen Akteur_innen eine gleich wichtige Rolle spielen. Das erfordert natürlich Ressourcen und Koordination. Daher sollten wir uns um eine Erhöhung der öffentlichen Aufwendungen und der Regulierung bemühen - zwei Konzepte, die bis vor kurzem noch verteufelt wurden. In diesem Rahmen sollte sich jede entwickelte Nation verpflichten, die SDG`s innerhalb der nächsten Jahre zu erreichen. Wachstum sollte nicht der Zweck, sondern das Mittel sein, um soziale Ziele zu erreichen. Das ist es, was Ökonomie wirklich bedeutet - oder zumindest das, was sie einmal war.
Was könnte sich recht schnell ändern?
Im Grunde ist das meiste von dem, was ich angesprochen habe, möglich. Es ist jedoch eine Frage des politischen Willens und des gesellschaftlichen Drucks. Die wirtschaftlichen Ideen und Werkzeuge wären vorhanden. Sie müssten nur genutzt werden.
Was kann der/die Einzelne beitragen?
Wir haben viele Möglichkeiten! Sie und ich haben das Glück, in einem demokratischen System zu leben, in dem wir zumindest theoretisch direkt Einfluss auf die Entscheidungsprozesse nehmen können. Wir wählen die Partei und vor allem die Person, die unsere Interessen am besten vertritt. Und wenn ich von Interessen spreche, dann meine ich nicht nur die ökonomischen.
Zweitens verhalte ich mich nicht nur mit meinem Konsumverhalten verantwortungsvoll, sondern auch mit meinen alltäglichen sozialen Interaktionen. Der Mensch ist schließlich ein soziales Tier. Studien zeigen, dass wir, wenn unsere ökonomische Rationalität angesprochen wird, in der Tat egoistisch und individualistisch handeln, ganz im Sinne der Mainstream-Wirtschaftstheorie. Im Gegensatz dazu wird dieselbe Person, wenn unsere soziale Rationalität angesprochen wird, zu einem kooperativen Mitglied der Gesellschaft. Und wenn in ihr das Gemeinwohl vorherrscht, sogar zu einem perfekten Altruisten. Als Einzelpersonen sollten wir über unsere individuelle Blase und Komfortzone hinausgehen. Wir sollten uns mit anderen Einzelpersonen verbinden, Gemeinschaften bilden und kollektiv handeln. Im Gegensatz zu Thatchers populärem Motto gibt es eine Gesellschaft. Sie besteht aus Einzelpersonen und Familien, die sich unter einem gemeinsamen Ziel zusammenfinden. Die Gesellschaft bricht zusammen, sobald sie von diesem gemeinsamen Zweck entkleidet ist. Aber nur vorübergehend, bis ein neuer entsteht. Diesen Zweck zu finden und ihn mit anderen zu kommunizieren, ist das, was jeder Einzelne gerade jetzt tun sollte!
Mit wem würden Sie gern einen Kaffee oder Tee trinken?
Ich würde derzeit sogar mit dem Teufel Kaffee trinken, wenn nur eines der wunderbaren Berliner Cafés offen wäre… Aber ganz ehrlich: mit Nikos Beloyiannis! Sehen Sie, er war kein Akademiker oder Ökonom, und doch beschreibt eines seiner Bücher, nämlich "Foreign Capital in Greece", die Probleme und die Auswirkungen eines verschuldeten Griechenlands. Er schrieb es vor mehr als 70 Jahren und wäre überrascht zu erfahren, dass sich seitdem wenig geändert hat! Er hätte viel zu der Situation zu sagen, in der sich sein Land, aber auch die Welt heute befindet.
Was war bislang der schönste Moment an der Hochschule?
Es gab viele schöne Momente in dem zurückliegenden Jahr, trotz Corona-Beschränkungen. Aber der schönste Moment wiederholt sich immer wieder: Wenn ein_e Student_in das Studium mit Auszeichnung abschließt! Jedes Mal klopft mein Herz so schnell und ich könnte weinen! Das Gefühl, brillante Frauen und Männer zu sehen, die über sich hinauswachsen, kombiniert mit dem Wissen, dass ich einen kleinen Teil zu diesem Erfolg beigetragen habe, ist total überwältigend!
Die Fragen stellte Gisela Hüttinger, Transfer- und Projektkommunikation
Fotos: HTW Berlin/Alexander Rentsch
26. Januar 2021