"Gute Online-Lehre beginnt mit den Grundlagen"

Anja Pfennig ist Professorin für Werkstofftechnik im Fachbereich 2. Bereits seit vielen Jahren setzt sie in ihren Lehrveranstaltungen auf eine Kombination aus mediengestützten Selbstlernphasen und vertiefte Gruppenarbeiten nach dem Prinzip des so genannten "Flipped Classroom". Im Interview spricht sie über die Unterschiede zwischen reiner Online-Lehre, ihre Erfahrungen bei der Begleitung studentischer Videoproduktionen für die Lehre und die Zukunft ihrer eigenen Lehre in Vorbereitung auf das Wintersemester 2020/21.

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Kurzinterview

Im Bereich der Online-Lehre ist gerade einiges möglich. Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer aktuellen Lehre?
Bisher habe ich meine Lehre auf ein Blended Learning Konzept ausgerichtet, also moderierte Online-Angebote mit Präsenzlehre kombiniert. Nun wird in diesem Semester ja ausschließlich online unterrichtet. Da kann ich zwar auf viele Materialien und etablierte Vorgehensweisen zurückgreifen. Letztendlich ist Online-Lehre aber etwas völlig anders. Anleitungen müssen präziser formuliert, mehr individuelle Fragen gestellt und viel mehr moderiert werden. Insgesamt müssen hier noch einmal ganz andere Vorbereitungen getroffen werden.

Welche Methoden und Lehr-Lernkonzepte kommen bei Ihnen zum Einsatz?
Für meine Einführungsveranstaltung "Werkstofftechnik" setze ich einen sehr umfangreichen Moodle-Kurs ein, der zu den einzelnen Inhalten mit Lehrvideos, Mindmaps, Lektionen und Lernfortschrittskontrollen angereichert wurde. Pro Woche wird dort ein Aufgabenset veröffentlicht, was die Studierenden zeitlich befristet bearbeiten müssen. Alle Aufgaben werden von mir klar angeleitet und sind so zusammengestellt, dass die Studierenden von Einheit zu Einheit Punkte für die Bewertung erarbeiten können. Wenn es die Thematik erforderlich macht, biete ich dazu ergänzend BigBlueButton-Sessions an, die aber auch interaktiv gestaltet werden und eine Länge von 1 3/4 Stunde nicht überschreiten.

Das klingt alles in allem sehr aufwendig. Womit sollten Lehrende beginnen, wenn sie ähnliche Konzepte umsetzten wollen?
Mein Kurs ist über die letzten Jahre organisch gewachsen. Angefangen habe ich mit einer Lerneinheit von zwei Semesterwochenstunden und hab dann geschaut, was man da noch anders machen kann. Daraus sind dann erste Moodle-Lektionen geworden, die ich mit Lernvideos und Lernfortschrittskontrollen erweitert habe. Zwischendurch habe ich geschaut, ob die Inhalte aus diesen Materialien auch wirklich verstanden wurden. So habe ich mich Stück für Stück vorgewagt. Wichtig ist, dass die Studierenden immer eine Möglichkeit haben, ihr Wissen zu reflektieren und sich nicht alleingelassen fühlen.

Wie gehen Sie mit Lernenden um, die in Ihrem Kurs garnicht in Erscheinung treten?
Ich habe meinen Kurs so aufgebaut, dass ich sehe, welche Teilnehmenden kaum aktiv sind. Diese werden von mir aktiv angeschrieben und nach Bedarf auch mit einem individuellen Lernkonzept begleitet. In diesem Semester habe ich aber auch Studierende, die mit einem reinen Online-Konzept gar nicht zurecht kommen. Dass muss man dann auch akzeptieren. Wir müssen einfach bedenken, dass gerade im ersten Semester Studierende aufeinandertreffen, die sich vorher noch nie begegnet sind. Das ist eine völlig neue Situation für alle Beteiligten.

Kann dieser fehlende persönliche Kontakt auch Vorteile im Vergleich zur Präsenzlehre mit sich bringen?
Ich halte den persönlichen Kontakt, auch zwischen den Lernenden, für essenziell für den Lernerfolg. Aus diesem Grund bilde ich zu Beginn auch in Online-Umgebungen Lerngruppen, die dann das ganze Semester über bestehen bleiben. In diesen Gruppen werden auch die Tests absolviert. Dabei ist auffällig, dass die Qualität der Tests auch im Online-Semester genauso gut ist, wie in den vorherigen Durchgängen. Wenn es in diesen Gruppen Probleme
gibt, führe ich mit den beteiligten Personen persönliche Gespräche. Bisher gab es keinen Fall, der nicht durch einen direkten Austausch oder per Mail geklärt werden konnte. Es gab auch schon Fälle, da wollten Studierende letztendlich alleine arbeiten. Das ist für mich auch in Ordnung.

Führen Sie Ihre Studierenden an diese Form der Lehre und des mediengestützten Lernens heran?
Ja, damit sie wissen, wie die Lehrveranstaltung und die bewertungsrelevanten Bausteine aufgebaut sind, gibt es zu Beginn drei Testlektionen. Diese sind zwar schon bewertungsrelevant, aber so niederschwellig gestaltet, dass sie im Grunde zu 100% richtig beantwortet werden. Hier ist das Ziel, erste Erfahrungen zu machen und Berührungsängste abzubauen. Für diese Lektionen verwende ich eine Reihe von Lehrfilmen, die ich mit Hilfe der Moodle-Aktivität H5P zu interaktiven Inhalten aufbereitet habe. Hier höre ich von den Studierenden oft, dass sie wirklich mit den Filmen lernen und sie nicht einfach nur anschauen. Das ist für mich ein großes Kompliment.

Wie verteilt sich in diesem Semester Ihr eigener Arbeitsaufwand in der Lehre?
Ich würde sagen, dass ich 70% meiner Zeit damit verbringe, den IST-Zustand der Präsenzlehre aufrecht zu halten. Viel Zeit verwende ich für die Beantwortung individueller Fragen per Email, Telefon oder online. Dabei hat jede Frage ihre Berechtigung. Außerdem kostet es viel Zeit, Arbeitsaufträge umzuformulieren oder an die Erfordernisse der Online-Umgebung anzupassen. Und gerade die Korrekturen und Auswertungen von Aufgaben sind natürlich auch sehr zeitaufwendig.

Wie sieht es auf Seiten der Studierenden aus? Bekommen Sie zu Ihrer Lehre auch Feedback?
Gerade zu Beginn des Semesters bekomme ich oft gute Rückmeldungen. Zum Ende beobachte ich, dass es eine gewisse Müdigkeit bei den Studierenden gibt. Ich sehe aber, dass sie trotzdem die Deadlines einhalten, alle Aufgaben regelmäßig bearbeitet und bei der Stange bleiben. Das ist mir dann in der Situation Feedback genug. Dass man Studierende im Laufe des Semesters verliert, ist eigentlich normal, gerade in den ersten Semestern.

Wie werden die Studierenden bei Ihnen geprüft?
In der besagten Veranstaltung setze ich auf viele kleine Einzelaktivitäten, die im Verlauf des Semesters bearbeitet werden müssen. So schaffe ich eine abwechslungsreiche Umgebung in den Lektionen, interaktive H5P-Module und Lernvideos bereitstehen. Statt also am Ende des Semesters eine Prüfung zu absolvieren, können die Studierenden Stück für Stück lernen und ihr Wissen testen. In meiner Blended Learning Veranstaltung konnten die Studierenden noch zwischen einer Klausur und dieser Form der Bewertung wählen. Letztendlich hat sich aber niemand mehr für die Klausur entschieden.

In anderen Veranstaltungen prüfen Sie die Studierenden, indem diese Lernvideos produzieren. Wie gehen Sie da in Sachen Begleitung vor?
Wenn ich meine Studierenden in die Rolle des Lehrenden versetze, sie also in einem Video neue Dinge erklären lasse, bekommen sie ein Gespür für ihre eigenen Wissensdefizite und benötigte Hilfestellungen, um Dinge zu verstehen. Dieser Rollenwechsel hat einen großen Wert für das eigenen Lernen. Natürlich prüfe ich jedes Skript auf inhaltliche Richtigkeit, um keine Fehler zu übersehen, aber die Umsetzung und die Art der Wissensvermittlung ist allein die
Sache der Studierenden. So entstehen zu jedem Thema völlig unterschiedliche Videos, die auch für Abwechslung bei den Studierenden sorgen.

Was sind denn die nächsten Schritte, um weiter an Ihrem Konzept zu arbeiten?
In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass bestimmte Dinge nicht so gut funktionieren, wie angenommen. Zum Beispiel haben die Studierenden sehr viel Zeit in die Gestaltung von Wiki-Artikeln, aber weniger in deren Inhalt investiert. Dass würde ich gern anders handhaben. Für die Zukunft arbeite ich daran, meine Online-Lehre als Stand-Alone-Lösung, also als reinen Selbstlernkurs, zu gestalten. Da muss aber noch viel Zeit in die Gestaltung der Lernpfade
fließen.

Wie werden Sie Ihr Flipped Classroom Konzept für das Wintersemester anpassen?
Ich habe das Gefühl, dass ich durch die ausschließliche online durchgeführte Form der Lehre nun noch mehr Möglichkeiten und Auswahl habe, zu entscheiden was in der Selbstlernphase und was in Präsenz stattfinden soll. Das verschafft mir nun noch mehr Flexibilität und Spielraum für neue Überlegungen.