Die ökonomische Zukunft gehört dem Alternative Food
Im Supermarkt kann man die Zeichen der Veränderung bereits erkennen. Der Platz, den Milch aus Soja, Hanf oder Mandeln im Regal beansprucht, wächst stetig, das eine oder andere Produkt kann preislich mit der Kuhmilch konkurrieren. Im Kühlregal liegen Sojawürstchen und Tofuburger neben Hackfleischbuletten und Schweinebratwürsten. „Das ist kein kurzfristiger Trend“, sagt Jan Wirsam, Professor für Innovationsmanagement an der HTW Berlin. Der Klimawandel und die stetig wachsende Weltbevölkerung werden die Transformation der Landwirtschaft und eine veränderte Ernährung erzwingen, ist er überzeugt. Warum das auch wirtschaftlich sinnvoll ist, welche Akteure dabei eine Rolle spielen und in welche Richtung der Transformationsprozess geht, hat der HTW-Wissenschaftler in einer höchst lesenswerten Studie mit dem Titel „Zukunftstrend Alternative Food“ untersucht. Sie entstand im Auftrag des FERI Cognitive Finance Institute und unter Austausch mit dem Schweizer World Economic Forum. Im Gespräch gibt Prof. Dr. Jan Wirsam einen Einblick.
Ehe wir zur Sache kommen: Essen Sie selbst Fleisch?
Prof. Dr. Jan Wirsam: Tatsächlich lebe ich vegetarisch/vegan, aber das spielt für meine wissenschaftliche Herangehensweise an das Thema keine Rolle. In der Studie habe ich mich auf die ökonomische Perspektive der Fleisch- und Agrarindustrie konzentriert, insbesondere auf deren Effizienz, und dabei die gesamte Wertschöpfungskette ins Visier genommen: vom Anpflanzen des Saatguts über den Umgang mit Nutztieren und den Handel bis zum Konsum durch die Verbraucher_innen. Warum haben wir das System, das wir haben – in der Fachsprache: Food System -, und wer beeinflusst es? Welche Abhängigkeiten gibt es und welche Veränderungspotenziale? Das waren wichtige Fragen. Eine ganzheitliche Analyse darf nicht bei der Agrar- und Lebensmittelindustrie aufhören, sondern muss Belastungen der Natur, Gesundheitsaspekte sowie Folgekosten auf globaler und individueller Ebene einbeziehen.
Was ist „Alternative Food“ überhaupt?
Es gibt inzwischen zahlreiche Produkte. Meistens basieren sie auf Pflanzen wie Erbsen, Soja, Raps und Hanf, auch Algen und Insekten gehören dazu. An Bedeutung gewinnen werden sogenannte „kultivierte Proteine“, speziell das im Labor aus Lebendzellen kultivierte Fleisch, bekannt unter dem Begriff „Cultured Meat“. Soeben ist in Singapur das erste Hühnchen auf den Markt gekommen, das niemals ein Tier war. Die Vorteile liegen auf der Hand: Bei „Alternative Meat“ aus rein pflanzlichem Protein würde im Vergleich zu Fleisch – je nach Produkt – rund 99 Prozent Wasser und 46 Prozent Energie eingespart werden, gleichzeitig wird 93 Prozent weniger Land benötigt und der CO₂-Ausstoß sinkt um bis zu 90 Prozent. Aber es geht nicht nur um die Produkte, sondern auch um die Modernisierung der Landwirtschaft und den Einsatz von digitalen Technologien. Als ein Beispiel möchte ich das „vertical farming“ nennen, das die Produktion pflanzlicher und tierischer Erzeugnisse auf kleinster Fläche ermöglicht, beispielsweise im Ballungsgebiet von Städten.
Kommen wir zu den Akteuren im Food System. Welche sind von Bedeutung?
Die wichtigsten Player sind einerseits die Politik, allen voran die Europäische Union, die ihre Subventionen bis heute primär an Flächen ausrichtet, aber Aspekte wie Nachhaltigkeit und Pestizideinsatz als sekundäre Größen behandelt. Da geht es immerhin um eine Summe von jährlich knapp 50 Milliarden Euro und mit Blick auf die nächste 7-jährige GAP-Periode von 2021 bis 2027 („Gemeinsame Agrarpolitik") der EU 324 Milliarden Euro. Der zweite wichtige Akteur sind Investoren, vor allem institutionelle Investoren wie Rentenversicherungen, Investment- und Kapitalgesellschaften, Pensionskassen und andere. Sie alle investierten bis dato in die konventionelle Ernährungsindustrie. Gegessen wird bekanntlich immer.
Wird sich tatsächlich etwas verändern?
Ich antworte mit einem klaren „Ja“. Es gibt bereits Investoren, die in Erwartung einer Sanktionierung CO₂-intensiver Produkte auf der Suche nach anderen Anlagen sind. Investoren haben naturgemäß Interesse an einer sicheren und leistungsfähigen Rendite. In der Studie zeigen wir mögliche Transformationsszenarien in der Ernährungsbranche auf, identifizieren Risikofelder und beschreiben nachhaltige Anlagestrategien. Auch in der Fleischindustrie sind Anstrengungen erkennbar, bspw. sich weiter zu entwickeln in Richtung Proteinunternehmen. Die Branche weiß, dass die Generation Z andere Verhaltensmuster an den Tag legt und die Nahrungsmittelproduktion kritisch hinterfragt. Und wir werden unsere Erkenntnisse und Empfehlungen auf Veranstaltungen mit politischen Grund kommunizieren und an Entscheidungsträger geben. Das Interesse ist groß.
Ihre Studie entstand als Auftragsforschung. Wie kam es dazu?
Ich bewege mich mit dem Thema in einer Forschungsnische und bin recht gut vernetzt. Dadurch wurde das Investmenthaus FERI auf mich aufmerksam, genauer gesagt: dessen Cognitive Finance Institute, das sich intensiv mit Zukunftstrends, wie zum Beispiel Alternative Food, beschäftigt, und die Studie beauftragt hat. Antje Biber und Julia Bahlmann von der FERI sind meine beiden Co-Autorinnen. Die Einführung stammt vom World Economic Forum, das die meisten primär als Veranstalter des Weltwirtschaftsforum in Davos kennen. Doch die Stiftung arbeitet über das jährliche Gipfeltreffen hinaus an zukunftsrelevanten Themen und publiziert über ihre Plattform eigene höchst interessante Studien. Die themenspezifischen Studien des WEF dienten unserer Studie als gute Grundlage, darüber hinaus profitierten wir von einem spannenden Austausch mit spezialisierten Partnern des WEFs.
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