Kein W-LAN im Bus, aber dafür Bier in der Tram
Vier Austauschstudierende aus Südkorea entdecken die Unterschiede zwischen Seoul und Berlin
Grauer Himmel und Regenwetter? Macht nichts. Joobee Jung, Suhyeon Kim, Juyeon Yang und Gwon Heo sind bestens auf das Berliner Wetter vorbereitet. Denn auch in ihrer südkoreanischen Heimatstadt geht es nun langsam auf den Winter zu und das Thermometer sinkt in diesen Tagen bereits unter den Gefrierpunkt. Bei unserem Treffen tragen die vier Wollmäntel und Schals. Gut gelaunt sind sie trotzdem. Dank eines internationalen Austauschprogrammes studieren die drei jungen Frauen (20, 22 und 22 Jahre) und ihr Kommilitone Gwon Heo (24 Jahre) an der HTW Berlin für ein Semester International Business. Diese vier Studierenden aus Südkorea sind die ersten, die von der privaten Kookmin University in Seoul an die HTW Berlin gekommen sind. Dort, rund 8.000 Kilometer von Berlin entfernt, belegen sie wirtschafts- und IT-nahe Fächer.
Wie das Leben in Europa aussieht, können sich viele Südkoreaner nicht vorstellen. „Das erscheint den meisten wie eine Utopie“, meint Suhyeon Kim. „Ich wollte mir aber selbst ein Bild machen und bin deshalb hierhergekommen.“ Die anderen drei hat sie erst bei den Vorbereitungen auf die Reise kennengelernt. An der Kookmin University studieren rund 14.000 Studierende, da kann nicht jeder jeden kennen.
Das ist Berlin: Bunte Mode, Umarmungen und Bier in der Bahn
Seit die vier in Berlin angekommen sind, haben sie schon jede Menge Überraschungen erlebt. Zu den angenehmen zählen die aus ihrer Sicht niedrigen Supermarktpreise, die farbenfrohe Mode der Berliner_innen, freundliche Busfahrer_innen (!) und „dass die Menschen hier auch Fremde anlächeln und sich Freunde umarmen“. Ungewohnt ist für die vier, wie viele Leute hier trotz roter Ampel die Straßen überqueren. „In Seoul wäre man dabei schnell das Opfer eines Verkehrsunfalls”, wundert sich Suhyeon Kim. In der Hauptstadt Südkoreas leben etwa zehn Millionen Menschen, dort herrscht viel mehr Hektik. Anders als in Berlin seien dort viele Geschäfte durchgehend geöffnet. „Mir ist aufgefallen, dass die Leute hier in der Bahn und im Bus Bier trinken. Das gibt es bei uns nicht“, sagt Gwon Heo. Und Juyeon Yang ergänzt: „Hier bekommt man mitten am Tag Gras angeboten. Bei uns ist das verboten.“
Die Vielfalt der Hauptstadt und das internationale Flair Berlins haben es den Studierenden dennoch angetan. So viele unterschiedliche Nationalitäten wir hier sieht man in Seoul nicht, finden sie. Längst haben sie Lieblingsplätze wie den Hackeschen Markt und den Berliner Dom entdeckt und empfehlen diese anderen weiter: „Ich mag den Dom, er ist im Inneren so schön farbig. Wenn ich dort sitze und die Leute beobachte, fühlt sich alles so friedlich an“, schwärmt Juyeon Yang. Gwon Heo dagegen gefällt es im Mauerpark: „Er ist so groß und als ich mit meinem Buddy dort war, haben wir alle möglichen Tiere gesehen.“
Ob Deutschland so hochtechnisiert ist, wie es glaubt? „Hier funktioniert noch ganz viel analog, Türschließsysteme zum Beispiel. In Südkorea sind diese Systeme digital, das ist bei uns ganz normal“, bemerkt Suhyeon Kim. Auch flächendeckendes W-LAN in den öffentlichen Verkehrsmitteln vermissen die Studierenden. Anderes, was für ihre deutschen Kommilitonen selbstverständlich ist, erscheint wiederum den Südkoreaner_innen exotisch:
„So etwas wie Pfand gibt es bei uns nicht. Man gibt seine leeren Flaschen zurück und bekommt Geld dafür. Als ich meiner Mutter davon erzählte, konnte sie es gar nicht verstehen“, amüsiert sich Juyeon Yang. Wenn sie und ihre Kommiliton_innen Zeit haben, erkunden sie manchmal die Clubs von Berlin: „Wir haben dort schon schöne Stunden mit netten Leuten verbracht. Unsere Eltern sind allerdings sehr besorgt. Sie glauben, die Clubs hier seien gefährlich.“
Gemeinsam feiern, gemeinsam debattieren
Doch selbst bei ihren abendlichen Streifzügen durch die Stadt werden die Austauschstudierenden bestens vom International Office der HTW Berlin und den studentischen Buddys betreut. „Sie kümmern sich wirklich um alles. Wir lernen viele unterschiedliche Leute aus anderen Ländern kennen und machen so jede Menge wichtige Erfahrungen. Für uns ungewohnt, aber angenehm ist, dass wir uns mit den Mitarbeiter_innen vom International Office so gut verstehen. Wir feiern auch mal zusammen, das gibt es an unserer Uni nicht“, sagt Juyeon Yang.
An ihrem Studium an der HTW Berlin schätzen die vier vor allem, „dass hier an der Hochschule unsere Meinung und Mitarbeit gefragt ist. Wir diskutieren sehr viel. Dadurch fühlen wir uns als Teil der Klasse und die Zeit vergeht schneller. In Südkorea referiert der Professor die meiste Zeit allein und die Studierenden hören zu. Der Professor ist eine Respektperson. Wer seine Meinung oder sein Verhalten hinterfragt, würde das ihm gegenüber niemals offen sagen. Hier in Deutschland geht das”, freuen sich Juyeon Yang und Suhyeon Kim.
„Nordkorea ist keine Gefahr“ oder Was Europäer über Südkorea wissen sollten
Anders als die Deutschen und internationalen Studierenden, mit denen sie hier in Berlin zu tun haben, machen sich die vier jungen Südkoreaner_innen keine Sorgen um das politische Geschehen in und um Nordkorea. Sie kennen die Drohgebärden des Nachbarlandes zur Genüge und glauben nicht an die Gefahr. „Das ist doch nur Show, uns in Südkorea beeindruckt das nicht“, stellt Suhyeon Kim klar.
Alle vier wünschen sich, dass Europa mit anderen Augen auf ihr Land schaut „Südkorea ist kein Entwicklungsland mehr. Es ist ein modernes, wirtschaftlich erfolgreiches Land mit schönen Städten und weltoffenen Menschen“, erklärt Joobee Jung. „Wer sich für die kulturellen Trends in Asien interessiert, der sollte sich auch für Südkorea interessieren“, findet Suhyeon Kim. „Unser Land spielt längst eine wichtige Rolle in wachsenden Branchen wie Mode, Kosmetik, Musik, Kino/TV und überhaupt der Unterhaltungsindustrie“.
Joobee Jung, Suhyeon Kim, Juyeon Yang und Gwon Heo jedenfalls fühlen sich nicht nur in Südkorea wohl, sondern auch in der Welt zu Hause. Einige planen jetzt schon ihren nächsten Auslandsaufenthalt in New York oder Europa. Sie wollen Steuerberaterin, Buchhalterin, Professorin und Systemmanager werden. Leben und Job sollen vor allem eines sein — international.