Solarstrom vom Balkon in die eigene Steckdose
Sie haben einen sonnigen Balkon oder eine Terrasse, dort eine Außensteckdose und wollen selbst Solarstrom erzeugen? Mit einem Stecker-Solargerät geht das. Zwar nicht im großen Stil, sondern nur für den persönlichen Bedarf. Doch es funktioniert. Die kleinen Geräte, von denen immer mehr auf dem Markt drängen, eröffnen auch Menschen, die in einer Wohnung leben und nicht im eigenen Haus, die Option, die Energiewende zu unterstützen. „Bis zu 600 Watt dürfen Stecker-Solargeräte in einen privaten Stromkreis einspeisen“, sagt Nico Orth, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Solarspeichersysteme der HTW Berlin. In seiner Masterarbeit hat er die Geräte unter die Lupe genommen, genauer gesagt: ihren energetischen und ökonomischen Nutzen. Gleich im Anschluss bekam der 25-jährige die Gelegenheit, in das Forschungsprojekt „PV.plug-inTools“ einzusteigen, in dem die HTW Berlin das Thema technisch weiter vorantreibt, in Zusammenarbeit mit der Beuth Hochschule Berlin und weiteren Kooperationspartnern. Gefördert werden sie dabei vom Institut für Angewandte Forschung Berlin (IFAF Berlin).
Das Gerät kann sich in zehn Jahren amortisieren
Das Prinzip der Stecker-Solargeräte ist einfach: Sie bestehen meist aus einem oder zwei Standard-Solarmodulen, die auf Balkon oder Terrasse montiert werden, einem Wechselrichter und einem Kabel, über das der selbst erzeugte Solarstrom in die Außensteckdose fließt und von dort zu Fernseher, Kühlschrank und Waschmaschine, die an anderen Steckdosen in der Wohnung eingestöpselt sind. Für den Betrieb aller Haushaltsgeräte reicht der eigene Solarstrom zwar nicht, doch man kann seinen Bezug aus dem Stromnetz reduzieren, ergo auch Geld sparen. „Die Höhe des vermiedenen Netzbezugs ist abhängig von der Systemgröße, von Ausrichtung und Neigung sowie dem persönlichen Verhalten“ hat Nico Orth herausgefunden. Doch innerhalb von zehn Jahren könne sich der Kauf amortisieren, schätzt er.
Bald gibt es eine App für die individuelle Kalkulation
Ob die Rechnung für den eigenen Balkon oder die eigene Terrasse aufgeht, kann man mit der von dem HTW-Nachwuchswissenschaftler entwickelten Web-App bald selbst checken. Als Prototyp existiert sie schon, im ersten Halbjahr 2021 soll sie dann auch online zur Verfügung stehen. Interessant sind steckbare Solargeräte vor allem für Wohnungsmieterinnen, weil man sie ohne bürokratische Pflichten wie EEG-Vergütung oder EEG-Umlage, Gewerbeanmeldung und Umsatzsteuer betreiben, außerdem im Alleingang kaufen, installieren und beim Umzug sogar mitnehmen kann. Nötig ist lediglich eine (kostenlose) Anmeldung im Marktstammdatenregister, in dem alle deutschen Anlagen- und Netzbetreiber sowie Energielieferanten verzeichnet sind. Wer die unterlässt, riskiert ein dreistelliges Bußgeld.
Änderung einer Elektrotechnik-Norm war nötig
Das vergleichsweise unkomplizierte Handling von Stecker-Solargeräten ist übrigens ganz maßgeblich das Verdienst der Deutschen Gesellschaft für Sonnenergie (DGS), die nicht von ungefähr Partner im Forschungsprojekt „PV.plug-inTools“ ist. Unter dem Kampagnenmotto „Bringt die Energiewende in die Städte“ gelang es der DGS unter anderem, die Neuregelung der wichtigsten deutsche Elektrotechnik-Norm VDE 0100-551 anzustoßen. Den Kampf mit den großen Playern der Energiewirtschaft, der da auszufechten war und noch immer auszufechten ist, lassen die Frequently Asked Questions auf der Webseite der DGS erahnen.
"Die Energiewende wird demokratischer"
„Balkon-Solaranlagen machen die Energiewende demokratischer“, sagt Prof. Dr. Volker Quaschning, einer der beiden Projektleiter an der HTW Berlin, renommierter Experte für Erneuerbare Energien und Mitbegründer der Scientists for Future. Die Verbreitung der Steckdosenmodule für den Eigenverbrauch hätte nach seiner Einschätzung Symbolkraft und könnte dem Ausbau der Photovoltaik Schwung geben. Ihren Teil beitragen wird auch seine Web-App, ist Nico Orth überzeugt.
Befragung in Vorbereitung
Im Zuge des Forschungsprojekts, das noch bis März 2022 läuft, wird auch untersucht, unter welchen Voraussetzungen sich kleinste Steckersolaranlagen überhaupt am Markt durchsetzen - und was dem entgegensteht. Um das zu verstehen, screent das Team den Markt sowie die Rechtslage und erhebt die Interessen der Beteiligten u.a. in einer Umfrage. Diese Begleitforschung läuft in Regie der HTW-Ökonomin Prof. Dr. Barbara Praetorius, ein Fragebogen wird gerade vorbereitet.
Anschluss für größere Geräte ist noch in Arbeit
Arbeitspaket Nummer 3 im Forschungsprojekt hat die Beuth Hochschule für Technik Berlin übernommen: Deren Wissenschaftler_innen entwickeln den Prototypen des ready2plugin-Systems, also eines normkonformen Anschlusses, der es Laien ermöglichen soll, auch größere Balkonmodule mit Batteriespeicher oder andere Anlagen, die bis zu drei oder vier Kilowatt Solarstrom erzeugen, selbst anzuschließen, ohne einen Elektriker rufen zu müssen. Der passende Projektpartner ist mit im Boot: das Berliner Startup indielux. Weil diese Innovation auch für Kleingärtner_innen oder Garagenbesitzer_innen, denen klassische Photovoltaikanlagen zu aufwändig sind, spannend ist, gehört auch der Verband Deutscher Grundstücksnutzer zu den Partnern im Forschungsprojekt. Last but not least sei als Partnerin die Berliner Gesellschaft zur Entwicklung von Dingen genannt, die sich als technologische Innovatorin versteht. Sie und indielux haben ready2plugin gemeinsam entworfen, sprich: die Idee und den Algorithmus entwickelt.
Die Vision: ein intelligentes Energiemanagement
Nico Orth wird sich parallel zur Entwicklung des ready2plugin mit einem integrierten Energiemanagementsystem beschäftigen. „Es wäre ja sinnvoll, beispielsweise die Waschmaschine genau dann anzustellen, wenn die Sonne auf den Balkon knallt und die Solarmodule gerade viel Energie liefern“, skizziert er die Konturen eines energetisch optimierten Smart Home. Sein eigener Balkon kommt für die Installation eines Stecker-Solargeräts übrigens nicht in Frage. „Er liegt zwar in Richtung Süden, wird aber zu stark durch einen mächtigen Baum verschattet“, winkt er betrübt ab. Doch sein wissenschaftlicher Beitrag zur Energiewende versöhnt ihn damit. In der nächsten Wohnung klappt es bestimmt.