Wie blicken wir auf Zeitgeschichte zurück?

Gerade erst wurde ihm das Rohschnitt-Material für eine noch unveröffentlichte Filmdokumentation übergeben, mit der inständigen Bitte, alles zu erhalten und in seine weitere Arbeit zu integrieren. Es sind solche Momente, die Prof. Dr. Oliver Rump darin bestätigen, dass die Persönlichkeiten, die er im Bachelorstudiengang Museologie sowie im Masterstudiengang Museumsmanagement und -kommunikation zum Thema von Lehre und Forschung gemacht hat, noch immer relevant und in vielen Köpfen und Herzen gegenwärtig sind. Die jahrelange Beschäftigung mit der Guerillakämpferin Tamara Bunke, dem Ringsportler Werner Seelenbinder sowie dem Sänger Dean Reed haben Prof. Dr. Rump zum Experten von drei Biographien werden lassen, in denen die jüngere Zeitgeschichte tiefe Spuren hinterlassen. Dementsprechend schwer tat und tut man sich bis heute mit der Erinnerung. „Genau das machen wir in den Ausstellungen und Theaterprojekten zum Thema“, sagt Prof. Dr. Rump.

Mit einem Wohn- und Ferienheim fing alles an

Für den Wissenschaftler selbst begann alles mit dem antifaschistischen Wohn- und Ferienheim Heideruh e.V. in der Lüneburger Heide. Es war in den 1920-er Jahren von Hamburger Kommunist*innen aufgebaut und nach dem Zweiten Weltkrieg von Opfern des Nationalsozialismus in Selbstorganisation wieder gegründet worden. Prof. Dr. Rump erforschte die Historie, denn er wohnte in der Nähe. „Damals bin ich für die Themen Faschismus, Kommunismus und politischen Widerstand sowie den in Ost- und Westdeutschland nach 1945 höchst unterschiedlichen Umgang damit sensibilisiert worden“, erinnert er sich. Die „düsteren Geschichten“ ließen den Sozial- und Wirtschaftshistoriker nicht mehr los, wobei ihn weniger die Vergangenheit interessiert als der Blick, den die Gesellschaft heute darauf wirft. Mit der systematischen Aufarbeitung von drei verschiedenen Biographien fand der Hochschullehrer einen idealen Weg. „Studierende beschäftigen sich gerne mit Menschen und ihren Schicksalen“, hat er die Erfahrung gemacht. Vor allem dann, wenn diese Schicksale so ungewöhnlich sind und so tragisch enden wie die von Tamara Bunke, Werner Seelenbinder und Dean Reed.  

Persönlichkeit Nummer 1: Tamara Bunke

Fangen wir mit Tamara Bunke an, jener in der DDR als „Tanja la Guerillera“ populären letzten Weggefährtin von Che Guevara, selbst eine politische Symbolfigur. „Mythos und Wirklichkeit der deutsch-argentinisch-kubanischen Revolutionärin“ lautet der Untertitel der Ausstellung, für die Prof. Dr. Rump mit seinen Studierenden in mehreren Praxisprojekten den Nachlass der Mutter von Tamara Bunke sichtete, erschloss und auswertete. In Verbindung mit Archiv- und Medienrecherchen sowie Interviews in Deutschland und Kuba erzählen sie auf 18 Bannern und in zwei Vitrinen die Geschichte der kämpferischen Frau, die im Alter von nur 30 Jahren in Bolivien erschossen wurde. Bei der Gestaltung bekamen sie tatkräftige Unterstützung aus dem Studiengang Kommunikationsdesign. Außerdem gibt es Musik sowie eine von einem Künstler angefertigte Büste von Tamara Bunke.

Die Ausstellung ist bis heute auf Wanderschaft

Seit ihrer Fertigstellung ist die Ausstellung auf Wanderschaft. Sie kann kostenlos ausgeliehen werden, von diesem Angebot machen viele Einrichtungen Gebrauch. Sehr zur Freude des Hochschullehrers, denn ihm liegen sowohl das Thema als auch die Außenwirkung des Studiengangs am Herzen. Einzige Bedingung: „Ich will bei der Eröffnung dabei sein“. Dabei geht es Prof. Dr. Rump nicht um Selbstdarstellung; vielmehr will er das Publikum selbst in die Materie einführen und mit den Menschen persönlich ins Gespräch kommen. „Bis heute erfahre ich bei solchen Gelegenheiten neue Details, bekomme vielleicht ein Foto aus dem Familienalbum oder mir wird etwas anderes anvertraut“, erzählt er. Wie eben der Rohschnitt der noch unveröffentlichten Filmdokumentation, um den er sich bitte kümmern möge. Der Urheber konnte dies altersbedingt nicht mehr leisten und der Wissenschaftler übernahm gerne.

Persönlichkeit Nummer 2: Werner Seelenbinder

Noch größer ist in diesen Monaten das Interesse an Werner Seelenbinder, seines Zeichens „Ringer, Kommunist und Staatsfeind“, wie die HTW-Ausstellung überschrieben ist. Denn der Todestag des 1944 von den Nationalsozialisten hingerichteten Sportlers, der im Widerstand aktiv war, jährte sich 2024 zum 80. Mal. Am Beispiel von Werner Seelenbinder werden die Unterschiede in der Erinnerungskultur von DDR und BRD besonders deutlich. Während der kommunistische Widerstandskämpfer im Osten immer sehr präsent war und bis heute ist, wurde beispielsweise der gleich nach Kriegsende vergebene Name Werner-Seelenbinder-Sportpark Neukölln im Westteil der Stadt aus politischen Gründen viele Jahrzehnte nicht mehr verwendet. Erst später kehrte man zu dieser Bezeichnung zurück und enthüllte 2024 Jahr bei einer Gedenkfeier ein „neues“ Namensschild. An der späten Wiedergutmachung waren auch Prof. Dr. Rump und der Studiengang Kommunikationsdesign beteiligt.

Persönlichkeit Nummer 3: Dean Reed

Last but not least der „Rote Elvis“: Der 1938 in Colorado geborene Rocksänger hatte 1966 in der Sowjetunion eine zweite Karriere gestartet und war 1973 in die DDR übergesiedelt, mit der er allerdings zunehmend fremdelte und sich im Alter von 47 Jahren im Zeuthener See das Leben nahm. Aus ihren Nachforschungen machten Prof. Dr. Rump und seine Studierenden eine Recherche-Projekt-Performance, der sie den Titel „Der Fall Dean Reed: „Hammer + Sichel & Rock ’n Roll“ gaben. Sie thematisieren sowohl die künstlerische Präsenz Reeds als Musiker, Schauspieler und Entertainer, aber auch den politischen Aktivisten und den Privatmenschen mitsamt Nachleben. „Wir bewegten uns bei dem Projekt an den Schnittstellen von Theater und Museum“, beschreibt der Hochschullehrer den konzeptionellen Ansatz.

Zehn Anfragen pro Jahr gehen ein

Sowohl das Projekt als auch die beiden Ausstellungen stoßen bis heute auf großes Interesse. Etwa zehn Anfragen pro Jahr gehen bei Prof. Dr. Rump ein. Sie stammen überwiegend aus dem Osten, der Westen ist deutlich unterrepräsentiert. Sportvereine und Verbände möchten an die Vita von Werner Seelenbinder erinnern; Tamara Bunke ist ein Thema für Parteien aus dem linken Spektrum, „aber auch für „Kuba-Liebhaber*innen, die gerne Mojito trinken und in der CDU sein dürften“, lächelt der Wissenschaftler. Kommunen bauen die Ausstellungen gerne in ihren Rathäusern auf und Landratsämter in Foyers, meistens dann, wenn eine Straße einschlägig umbenannt wird oder sich politische Gremien genauer mit der Vergangenheit beschäftigen.

Auch die Medien interessieren sich

Auch Interviewanfragen gehen ein, wie im März 2024 vom Bayerischen Rundfunk, der zum Internationalen Frauentag einen – übrigens hörenswerten - Beitrag über Tamara Bunke produzierte. Egal, wer was möchte: Ansprechpartner ist Prof. Dr. Rump höchstpersönlich. Die beteiligten Studierenden haben die HTW Berlin längst verlassen. Doch der Hochschullehrer nimmt sich die Zeit. Eine Ausstellung im Monat ist zu schaffen, findet er, und kümmert sich um Absprachen, Aufbau, Transport und die erwähnte Eröffnung. Wenn nötig, bleibt er eine Nacht und übernimmt auch die Pressearbeit. „Das ist anstrengend“, gibt er zu. „Aber ich mache das gerne, niemand zwingt mich dazu“. Immerhin gelingt es dem Hochschullehrer immer wieder, Ehemalige für Ausstellungsführungen einzubinden und dadurch Alumni-Arbeit für den Studiengang zu leisten.

Rezeptionsgeschichte hat einen großen Stellenwert

Interessantes Detail: Manchmal muss Prof. Dr. Rump auf Seite der Interessent*innen erst einmal Vorbehalte ausräumen. Wie sachlich und politisch neutral die jeweilige Biographie denn dargestellt würde, wird er hie und da gefragt. Der Wissenschaftler kann beruhigen. In den Ausstellungen würden sich alle wiederfinden und keine Wertung vorgenommen. Auch deshalb, weil die Rezeptionsgeschichte und der Vergleich zwischen Ost und West einen großen Stellenwert haben. Lediglich die Sprache irritiere das Publikum bisweilen. Nennt man Tamara Bunke „Kundschafterin des Friedens“ oder „Agentin“? Spricht man von der DDR als „Erstem freien Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden“ oder von einer „Roten Diktatur“? „Wir tun beides, stellen es gegenüber und arbeiten gezielt mit Brüchen“, sagt der Museumskundler. Schließlich wolle man auch zum Nachdenken anregen.

Zielgruppen außerhalb der Wissenschaft

Als der engagierte Wissenschaftler von einem Kollegen im Studiengang für den Transferpreis der HTW Berlin vorgeschlagen wurde, da lautete dessen Begründung: „Oliver Rump schafft es, das Publikum mit kontroversen Themen mutig und aktiv anzusprechen. Er erreicht besonders Gruppen außerhalb der Wissenschaft und animiert sie, sich an wichtigen Diskussionen zu beteiligen“. Dazu werden die Ausstellungen und das Projekt auch in Zukunft beitragen.

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