Studium als Vorbereitung auf die Realität
Das Interesse von Prof. Dr. Anne Sanftenberg an Immobilien und am praktischen Berufsalltag entwickelte sich bereits während ihrer Abiturzeit. Beides lernte sie nach dem Abitur während eines Auslandsjahres in den USA bei einem Familienunternehmen kennen, das sowohl in der Vermittlung von Immobilien als auch in der Bewertung tätig war. Letzteres faszinierte Sanftenberg besonders. Es folgte das Studium der Immobilienwirtschaft, der Master in Immobilienbewertung und schließlich die Promotion zu einem speziellen Thema der Immobilienbewertung. Sie promovierte nebenberuflich und blieb dabei stets eng mit der Praxis verbunden. Auch nach ihrem Ruf an eine private Hochschule im Jahr 2016 setzte sie ihre Tätigkeit in der Immobilienwirtschaft fort. Seit Oktober 2023 ist Sanftenberg an der HTW Berlin Professorin für Immobilienwirtschaft mit den Schwerpunkten Immobilienbewertung und Nachhaltigkeit, sie leitet den Studiengang MBA Real Estate Management. Im Interview erzählt sie, weshalb es für eine ihrer Lehrveranstaltungen auch ins Ausland geht und was für sie in der Lehre und Forschung wichtig ist.
Frau Prof. Dr. Sanftenberg, wer bei Ihnen studiert, darf schon mal eine Prüfungsaufgabe auf Mallorca erledigen. Wie funktioniert das denn?
Mallorca zählt zu den attraktivsten Standorten für internationale Kapitalanleger und verfügt über einen stark regulierten, aber sehr interessanten Immobilienmarkt. Ich binde Unternehmen regelmäßig in die Lehre ein – beispielsweise durch praxisorientierte Workshops. Dabei arbeiten wir mit echten Objekten unter anderem auch im Modul Internationale Immobilienbewertung. Aus einer anfänglichen Idee, sich den dortigen Immobilienmarkt einmal genauer anzusehen, entwickelte sich eine nachhaltige Kooperation. Inzwischen beteiligen sich mehrere Unternehmen vor Ort, die unseren Studierenden im Modul Internationale Immobilienbewertung im Bachelorstudiengang Immobilienwirtschaft Einblicke in reale Projekte ermöglichen, sei es auf Baustellen oder im direkten Austausch mit Fachleuten. Das bietet natürlich eine ganz andere Lernerfahrung als die rein theoretische Auseinandersetzung mit dem spanischen Immobilienmarkt in Lehrbüchern.
Und etwas anders als in einem Seminarraum.
Allerdings. Aber das ist auch die reale Welt: Da geht es um die rechtlichen, fiskalischen und steuerlichen Rahmenbedingungen, die die jeweiligen Miet- und Investmentmärkte bestimmen. Die Studierenden haben zuvor den Auftrag, sich mit bestimmten Themen rund um den Immobilienmarkt zu beschäftigen und ihre Ergebnisse zu präsentieren. Vor Ort besuchen wir dann die verschiedensten Unternehmen wie beispielsweise Projektentwickler, Bauträger oder Steuer- und juristische Beratungskanzleien und besichtigen verschiedenste Bauprojekte und Bestandsimmobilien. Daran angeknüpft ist auch eine Prüfungsleistung.
Wie sind Sie auf die Immobilienwirtschaft als Profession gestoßen?
So richtig entfacht wurde meine Begeisterung für die Immobilienbranche nach dem Abitur, als ich in den USA in einem Familienunternehmen arbeitete. Das Unternehmen war breit aufgestellt – mit Maklerdienstleistungen, Versicherungsvertrieb und einem Notar für die ‚Closings‘. Dort bekam ich erstmals einen umfassenden Einblick in die gesamte Bandbreite der Immobilienwirtschaft. Besonders faszinierte mich, welche Faktoren in die Immobilienbewertung einfließen – ein Thema, das mich nicht mehr losgelassen und mich schließlich bis hin zur Promotion über automatisierte Bewertungsverfahren begleitet hat.
Wollten Sie schon immer in die Wissenschaft?
Ich bin nicht den klassischen akademischen Weg gegangen, sondern komme aus der Praxis. Meine Promotion habe ich nebenberuflich absolviert – und gerade dabei erkannt, wie wichtig eine fundierte wissenschaftliche Basis für die Praxis ist. In der Immobilienwirtschaft war das vor 20 oder 25 Jahren in Deutschland keineswegs selbstverständlich; die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Branche hat sich hier vergleichsweise spät etabliert. In meinem Werdegang haben sich Praxis und Wissenschaft über Jahre hinweg parallel entwickelt – bis ich schließlich mit dem Ruf an die HTW Berlin ganz in die Wissenschaft gewechselt bin.
Wie gestalten Sie Ihre Lehre?
Ich habe schnell gemerkt, wie viel Freude mir die Arbeit mit Studierenden macht – vor allem durch den direkten Austausch und die spannenden Rückfragen, die entstehen. Mir ist es besonders wichtig, die Studierenden nicht nur auf die nächste Prüfung vorzubereiten, sondern auf die Realität – auf das, was sie tatsächlich draußen im Beruf erwartet. Denn zwischen Theorie, Lehre und Praxis klaffen oft Lücken. Gerade diese Brücke zu schlagen, macht für mich den eigentlichen Reiz der Lehre aus. Ein großer Vorteil in der Immobilienwirtschaft ist, dass die Studierenden sich ganz bewusst für diesen Fachbereich entscheiden – eine spezielle Richtung in der Betriebswirtschaftslehre. Dadurch kann man fachlich tiefer einsteigen. Viele bringen bereits Praxiserfahrung mit, was die Vorlesung bereichert.
Was sind Ihre derzeitigen Schwerpunkte in der Forschung?
In meiner Forschung beschäftige ich mich schon seit einiger Zeit mit Fragen der Immobilienbewertung – ein Schwerpunkt, der sich in den letzten Jahren zunehmend in Richtung aktueller Entwicklungen wie der Integration von Nachhaltigkeitsaspekten verschoben hat. Besonders bei Bestandsimmobilien stellt sich die Herausforderung, ökologische und soziale Kriterien angemessen in ökonomische Bewertungsmodelle zu übersetzen. Parallel dazu befasse ich mich auch mit der Rolle digitaler Technologien und der Frage, inwiefern datenbasierte, teilautomatisierte Verfahren die Bewertungspraxis künftig verändern könnten.
Was ist für Sie das Besondere an der HTW Berlin?
Es ist natürlich generell schön als Professorin zu arbeiten. Man ist frei im Arbeiten, kann sich die Zeit sehr stark selbst einteilen. Die Freiheit ist gerade inhaltlich und thematisch wichtig: Wo setzte ich meine Schwerpunkte, was möchte ich noch vertiefen, in welche Richtung geht es in der Forschung? Auch die Vielfalt der Kolleginnen und Kollegen ist perfekt, das fachliche Wissen, die Erfahrungsschätze, die sie mitbringen – mit Forschungsorientierung oder starkem Praxisbezug. Das ist eine ganz tolle Mischung und ein toller Austausch, und das fächerübergreifend. Diese Kombination aus einem vielfältigen Kollegium und hochinteressierten Studierenden, das finde ich eine besonders schöne Sache.