Rechtsrat mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz

Verstehen Sie Ihre Betriebskostenabrechnung in allen Details? Und wissen Sie, ob es mit den dort genannten Posten seine Richtigkeit hat? Vielleicht. Vielleicht auch nicht, und Sie würden das Dokument gerne mit juristischem Sachverstand, aber kostenlos prüfen lassen! Und hätten Interesse daran zu erfahren, ob Handlungsbedarf besteht. Dies ist ein mögliches Szenario für den auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierenden Rechtsberatungs-Assistenten, an dem im Projekt „JUDGE-KI“ getüftelt wird. Für die Entwicklung des Tools haben sich der Jurist Prof. Dr. Martin Heckelmann und die Informatikerin Prof. Dr. Christina Kratsch zusammengetan. Unterstützt werden sie von ihrem wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Stefan Alexander Flemming; außerdem bezieht das Team Studierende ein und kooperiert mit möglichen Anwendern. Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Juristische Fragen sind für KI eine Herausforderung

Dass KI, also Maschinelles Lernen, auch für juristische Fragen genutzt wird, verwundert nicht, schließlich ist die Technologie in allen Disziplinen auf dem Vormarsch. „Doch bei juristischen Entscheidungen stoßen gegenwärtige Modelle noch an Grenzen“, sagt Prof. Dr. Heckelmann. Er nennt zwei Gründe dafür. Erstens sei die obligatorische Prüfung, ob die von der KI generierten Aussagen richtig oder falsch sind, für Nutzer*innen mangels eigener juristischer Expertise so gut wie unmöglich. Wer bereits eines der Modelle verwendet, weiß, dass sie auch jede Menge Unsinn produzieren, sogenannte „Halluzinationen“. Zweitens unterliege das Rechtssystem diversen Kausalzusammenhängen und weitverzweigten Regeln, an denen die sogenannten Large Language Modells aufgrund ihrer Textgebundenheit und geringen Sprungweite oft scheitern. Also besser keine KI für juristische Fragen?

Es besteht noch Forschungsbedarf

Doch, sagt das Projektteam, und hat deshalb das Projekt „JUDGE-KI“ angeschoben. Das Akronym steht für „Juristische Unterstützung durch Generative Künstliche Intelligenz“. Ein Forschungsprojekt ist es, weil eben noch Forschungsbedarf besteht. „Aber wir wären nicht an einer Hochschule für Angewandte Wissenschaften, wenn am Ende nicht etwas Verwertbares herauskäme“, sagt Prof. Dr. Kratsch. Das werde mehr sein als nur ein Prototyp. „Denn was soll ein Prototyp in diesem Bereich leisten?“ stellt sie eine rhetorische Frage. Rechtsberatung gebe es entweder ganz oder gar nicht. „Unseren Assistenten sollen echte Menschen im echten Leben nutzen“, formuliert die Wissenschaftlerin den Anspruch im Projekt, stellvertretend für das ganze Team.

Ein Assistent speziell für benachteiligte Menschen

Der Rechtsberatungs-Assistent in spe ist in erster Linie für sozial benachteiligte Menschen gedacht. Sie haben nämlich oft keinen Zugang zu juristischer Expertise, meist fehlt schlicht das Geld. „Qualifizierte Rechtsberatung darf kein Privileg für Gutverdienende sein, sondern steht allen Menschen zu“, ist Prof. Dr. Heckelmann überzeugt. Für diese Zielgruppe ein geeignetes Werkzeug zu entwickeln, passe hervorragend zu einer staatlichen Hochschule mit gesellschaftlichem Auftrag. Denkbar sei natürlich auch, dass Unternehmen und Kanzleien ihre Effizienz durch einen solchen Assistenten steigern können, indem sie beispielsweise einfachere Vorgänge wie Recherchen und die Analyse von Dokumenten auf KI-Anwendungen delegieren. Dann bliebe den Fachleuten mehr Zeit für Kernaufgaben.

Expertise aus verschiedenen Disziplinen ist nötig

Wie gehen die Wissenschaftler*innen die Herausforderung nun an? Die Halbzeit im Projekt ist ein geeigneter Anlass für die Nachfrage. Zunächst einmal, erzählt das gut gelaunte Trio, verschmelze man das Know-how: hier die Expertise im Bereich Rechtswissenschaften, dort das Wissen im Bereich Data Science und Künstliche Intelligenz, dazu die Erfahrungen von Dr. Flemming, der bereits KI-Startups gegründet hat. Parallel nahm man Kontakt zu Anwender*innen auf, um deren Bedarf noch besser zu verstehen. Das waren unter anderem Mieterverbünde, die Interessen von Mieter*innen vertreten, aber auch Kanzleien, Unternehmen und Versicherer.

Das Modell für die Datenverarbeitung steht

Im ersten Schritt ging es also darum, möglichst umfangreiche fachspezifische Daten zu beschaffen und eine solide Basis zu legen. Danach wagte man sich an die größeren Herausforderungen. Erstens die Softwarearchitektur, auf deren Grundlage die Daten vom Rechtsberatungs-Assistenten verarbeitet werden. „Sogenannte KI-Bibliotheken und KI-Tools gibt es inzwischen einige“, erzählt Dr. Flemming. Doch nicht alle eignen sich. Man habe viele getestet und dann eigenständig konfiguriert, um ein stabiles und gut funktionierendes Modell für die Datenverarbeitung zu bauen. Diese Softwarearchitektur steht inzwischen.

Die Daten müssen speziell aufbereitet werden

Zweite Herausforderung: die Qualität der Daten, die eingespeist werden. Das Team setzt auf zwei verschiedene Methoden, um die bei KI-Modellen vorkommenden „Halluzinationen“ zu vermeiden. „Wir füttern unsere Datenbank nicht nur mit Texten, sondern bereiten diese Texte vorher systematisch auf, etwa so, wie man Textmarker in verschiedenen Farben nutzt, um den Überblick zu behalten“, veranschaulicht Prof. Dr. Kratsch den Ansatz. Das auf diese Art und Weise vorbereitete Wissen mache man im nächsten Schritt „graphbasiert“. Das heißt, man stellt zusätzlich jene in der „Juristerei“ typischen Zusammenhänge her, die ein Rechtsberatungs-Assistent unbedingt kennen muss, um verlässlich Auskunft erteilen zu können. „Wir geben der KI quasi Nachhilfe“, zwinkert Prof. Dr. Heckelmann. Statt alle Informationen in eine Box zu werfen und zu hoffen, dass sich die KI bei Anfragen die richtigen herausfische, lege man die Daten so ab, wie sie sich auch in einer juristischen Fallprüfung darstellen würden. Aus der Plaudertasche Large Langue Model (LLM) würde auf diesem Weg der spezialisierte Rechtsberatungs-Assistent für Fragen des Wirtschaftsrechts, der über moderiertes Expertenwissen verfüge.

Die Betriebskostenabrechnung als praktisches Beispiel

Wie das Tool in der Praxis funktionieren könnte, erklärt Prof. Dr. Kratsch am Beispiel einer Betriebskostenabrechnung. Mieter*innen begeben sich auf die entsprechende Webseite und laden dort ihre Abrechnungen hoch. Vielleicht stellt der Assistent noch ein oder zwei Nachfragen und hat bei Bedarf sogar Tipps parat, in welchen Dokumenten man suchen könne. Nach dem eigentlichen Check erhält man binnen kurzer Zeit eine fachkundige Einschätzung zu seiner Abrechnung. Ist sie formal und inhaltlich korrekt? Wenn nein, warum nicht und woran hapert es genau? Schon mit einer solchen Auskunft wäre vielen Mietparteien geholfen. Doch Prof. Dr. Kratsch spinnt die Vision noch ein wenig weiter: Der Rechtsberatungs-Assistent könnte außerdem eine griffige Zusammenfassung seiner Bewertung liefern, wenn sinnvoll, auch einen Entwurf für ein Beschwerdeschreiben, im Idealfall in verschiedenen Sprachen, und womöglich geeignete Anwält*innen vorschlagen. All das sei zwar noch Zukunftsmusik, aber auf diesem Level wird im Team diskutiert.

Auch Studierende sind im Projekt dabei

In das Projekt haben die beiden Hochschullehrer*innen auch Studierende mit ihren Abschlussarbeiten eingebunden. Sowohl in der Ingenieurinformatik als auch in den Studiengängen Wirtschaftsrecht und Betriebswirtschaftslehre gibt es dafür viele thematische Anknüpfungspunkte. Den akademischen Nachwuchs für das Thema KI zu begeistern, war offenbar ein Kinderspiel.

Das Ziel: ein universeller Rechtsberatungs-Assistent

Der Betriebskosten-Check ist aber nur ein erster Use Case, wie Prof. Dr. Heckelmann erläutert: „Unser Ziel ist es, einen universellen Rechtsberatungs-Assistenten zu entwickeln, eine Artificial Legal General Intelligence (ALGI). Mit unserem System können wir rechtliche Risiken bewerten. Diese Technologie hat das Potential, die juristische Landschaft neu zu ordnen.“

Weiterführende Links