Kreative Impulse für Trauer und Bestattung
Es dürfte eine der bislang ungewöhnlichsten Projektkooperationen der HTW Berlin sein: Hier der Bachelor-Studiengang Industrial Design und Prof. Pelin Celik mit Studierenden, dort die Berliner Grabmal-Manufaktur in Gestalt ihres Gründers und Geschäftsführers Thomas Beck. Zusammengebracht hat sie Dorit von Derschau, Netzwerkmanagerin im Geschäftsbereich der Vizepräsidentin für Forschung, Transfer und Wissenschaftskommunikation und in dieser Rolle regelmäßig auf der Suche nach Kooperationspartnern, die zur Hochschule passen und ihrerseits Interesse an einer Zusammenarbeit haben. Im konkreten Fall war es die Überzeugung, dass die deutsche Kultur des Trauerns und der Bestattung innovative Impulse gut gebrauchen könnten. „Ab/Leben – neue Orte der Trauer“ lautete das Thema des Hauptprojekts der angehenden Industrie-Designer*innen, bei dem interessante Ideen und Entwürfe entstanden.
Kein einfaches Thema für junge Studierende
Kein einfaches Thema, das war allen Beteiligten klar, gerade für junge Studierende, weil der eine oder die andere noch keine persönliche Erfahrung mit dem Verlust von nahestehenden Menschen und entsprechenden Trauerprozessen gemacht hat. Bei der Annäherung an die komplexe Materie halfen ausgewählte Filme und Podcasts, die Prof. Celik zusammengestellt hatte; Thomas Beck gab zum Auftakt des Semesters Einblick in das Tagesgeschäft der Grabmal-Manufaktur, Dorit von Derschau wiederum ließ die Gruppe teilhaben an ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit als Trauer- und Sterbebegleiterin beim Ambulanten Hospizdienst Friedrichshagen.
Trauerkultur ist mehr als Grabmalgestaltung
Sie erwarte nicht unbedingt Entwürfe für Grabmale, hatte Prof. Celik den angehenden Industriedesigner*innen mit auf den Weg gegeben. Man dürfe gerne auch über andere Orte oder Formen der Trauer nachdenken. „Trauerkultur ist sehr viel mehr als Grabmalgestaltung“, sagt auch Thomas Beck. Er kennt die Bestattungsbranche und weiß, wie oft Hinterbliebene mit deren Regeln und den engen Restriktionen auf deutschen Friedhöfen hadern. „Doch in der einen oder anderen Stadt ist tatsächlich Bewegung entstanden“, freut sich der studierte Architekt und Produktdesigner. Die bislang sehr engen Spielräume würden sich öffnen und es gebe mehr Platz für Neues. Auch deshalb war er sofort bereit, seine Erfahrungen und sein Know-how in das studentische Projekt einzubringen. Dass die von ihm 2018 gegründete Grabmal-Manufaktur seit Kurzem gleich gegenüber von der HTW Berlin zuhause ist, nämlich auf dem Gelände der BAE Batterien GmbH, tat das Übrige.
Passendes Licht, Bilder und Töne
Wie würden sich also die Studierenden gerne von einem geliebten Menschen verabschieden? Was könnte nach ihrer Meinung dabei helfen, die Trauer besser zu bewältigen? Wie würde man einen Verstorbenen bestattet wissen? Von Laura Banus Obrock stammt die Idee für eine bunte Lampe, deren Sensoren in der Lage wären, die Stimmung der Menschen im Raum zu erfassen und aufzugreifen. Mit „Lu“, so der Name der von ihr entworfenen biometrischen Lampe, würde eine personalisierte Atmosphäre entstehen, welche die Trauergemeinde emotional unterstützt. Konstantin Maaß und sein Teamkollege Matthis Schekat platzierten an dem von ihnen konzipierten Trauerort einen Beamer, der Bilder und Töne des Verstorbenen zeigen würde. Familien und Angehörige könnten den Raum buchen, um sich gemeinsam immer wieder an den Verstorbenen zu erinnern.
Umarmung auf Knopfdruck, ein Stein in die Hand
Bei der Konzeption von „HugEase“ hatten Dafne Pasin und Arda Evren ihren Onkel vor Augen, dem die Umarmungen seiner verstorbenen Frau sehr fehlten. „HugEase“ muss man sich als eine Art Schulterkissen vorstellen, das man sich um den Hals legt, wo es wärmt und drückt. Die Berührung würde sich wie die vermisste Umarmung anfühlen. Gina Deubet gestaltete einen schimmernden Emotionsstein, der sich in die Hand schmiegen würde und den Hinterbliebenen nicht nur Zuhause, sondern auf allen Wegen im Trauerprozess begleitete.
Urne mit Code, Elemente zum Bewegen
Daniel Friedrich befestigt in seinem Entwurf eine Urne mit der darin befindlichen Aschekapsel an einer lebensgroßen Stele aus mattem Acrylglas, welches das Tageslicht sanft brechen würde. Trauernde könnten die aus Porzellan gefertigte Urne bei jedem Besuch berühren, das Gefäß würde im Laufe der Zeit Patina annehmen. Über einen Code ließen sich außerdem mit Hilfe von NFC-Technologie Stimme, Bilder oder andere Erinnerungen an den Verstorbenen von den Angehörigen mit dem eigenen Smartphone auslesen. In Silva Sheros Entwurf für ein Grabmal ruhen verschiedene Kuben aus Stein und Holz aufeinander. Einzelne Elemente ließen sich behutsam bewegen; so könnten Besucher*innen am Grab aktiv werden und zeigen, dass sie vor Ort waren.
Lehmgefäß für Blumensamen oder Botschaften
Antonia Richter entwickelte gleich zwei verschiedene Ideen. Zum einen ein 3-D-gedrucktes Gefäß aus Lehm für Wildblumensamen. Mit ihnen könnten Hinterbliebene farbenfroh Lebewohl sagen. „Mit der Zeit“, so die konzeptionelle Überlegung der Studentin, würde es unter dem Regen verschwinden und stattdessen aus den Gedanken der Hinterbliebenen ein kunterbuntes Meer aus Wildblumen sprießen. Auch hinter „Sayora“, der zweiten Idee, verbirgt sich ein kleines Gefäß. Es stünde bereit für kleine Zettelchen aus Blütenpapier, auf denen Hinterbliebene die Botschaften hinterlassen könnten, die sie dem Verstorbenen gerne mit auf den Weg geben würden. „Nach dem Pflanzen von Sayora sprießen daraus heimische Wildblumen in allen Farben“, so die Vorstellung von Antonia Richter.
Die "monotone" Friedhofskultur beleben
„In dem Projekt ist eine interessante Bandbreite an Ideen entstanden“, resümiert Prof. Celik. Das findet auch Thomas Beck, der die Gruppe während des Semesters durch seine Grabmal-Manufaktur führte und sich Zeit für die Abschlusspräsentation nahm. Er sei froh darüber, dass sich angehende Industriedesigner*innen mit der anspruchsvollen Materie beschäftigen. Dies könne perspektivisch dazu beitragen, die seiner Meinung nach recht monotone und wenig einfallsreiche deutsche Friedhofskultur mit innovativen Ideen zu beleben. Auch Dorit von Derschau hat es nicht bereut, den Kontakt zwischen der Manufaktur und dem Studiengang angebahnt zu haben. „Ich werde die eine oder andere Idee der Trauergruppe vorstellen, mit der ich mich jeden Monat im Rathaus Friedrichshagen treffe“, sagt die ehrenamtliche Trauer- und Sterbebegleiterin. „Vielleicht können wir Impulse aufgreifen.“