In zwei Welten zu Hause: Zwischen Hochschule & Industrie

Prof. Dr. Johannes Kristan ist seit dem Sommersemester 2025 Vertretungsprofessor für Informatik im Fachbereich 4 der HTW Berlin. So weit, so ungewöhnlich. Das Besondere: Er ist weiterhin in der Industrie beschäftigt. Den einen Teil seiner Arbeitszeit ist er als Fachexperte für das Thema Open Source Software bei der Robert Bosch GmbH tätig, den anderen Teil als Hochschullehrer an der HTW Berlin. Im Interview berichtet er über die Vorteile und Herausforderungen dieser Doppelrolle.

Was hat Sie dazu bewogen, sich auf die Stelle als Vertretungsprofessor in Teilzeit an der HTW Berlin zu bewerben?

Prof. Dr. Johannes Kristan: Ich arbeite seit über 12 Jahren in verschiedenen Rollen und in verschiedenen Geschäftseinheiten der Robert Bosch GmbH. Aufgrund der oft höheren Gestaltungsspielräume in der Industrie sowie der eher unsicheren Zukunft, mit der man sich bei einer akademischen Karriere konfrontiert sieht, habe ich mich nach meiner Promotion für einen Job in der Industrie entschieden. Die Verbindung zur Wissenschaft habe ich jedoch nie verloren. So betreue ich seit Jahren Studierende von Industrieseite bei ihren Bachelor- und Masterarbeiten und halte regelmäßig Veranstaltungen an verschiedenen Universitäten. Auf die Stelle an der HTW Berlin bin ich eher zufällig gestoßen. Für mich war es die ideale Gelegenheit, weiterhin in der Industrie tätig zu sein und gleichzeitig mein Wissen mit dem studentischen Nachwuchs zu teilen und mal wieder Hochschulluft zu schnuppern.

Wie ging es nach dem Auffinden der Stelle weiter?

Das Bewerbungsverfahren verlief zügig. Innerhalb weniger Wochen wurde ich zu einer Probevorlesung vor Studierenden eingeladen. Im Anschluss daran fand ein Gespräch mit der Auswahlkommission statt. Gleichzeitig informierte ich meinen Arbeitgeber über meine Absicht, in Teilzeit zu wechseln. Grundsätzlich war das kein Problem und mein Arbeitgeber ist mir hier wohlwollend entgegengetreten – sicher auch aus der Überzeugung heraus, dass beide Seiten von meiner Doppelrolle profitieren.

Welche Vorteile ergeben sich denn für beide Seiten?

Ich habe in den letzten Jahren das Thema Open Source Software – kurz OSS – bei Bosch mit vorangetrieben. Ein Anwendungsbereich, der viele rechtliche, soziale und organisatorische Herausforderungen mit sich bringt, die im Unternehmenskontext geklärt werden müssen. Absolvent*innen, die bei Bosch anfangen, haben oft nur ein rudimentäres Verständnis davon, was es bedeutet, OSS zu nutzen oder auch zu Open-Source-Projekten beizutragen. Dabei bestehen Softwarelösungen mittlerweile oft zu über 80 Prozent aus Open-Source-Komponenten. Ich kann also mein praktisches Wissen direkt an die Studierenden weitergeben und gleichzeitig der Industrie helfen, besser qualifizierte Nachwuchskräfte zu gewinnen – eine echte Win-Win-Situation.

Wie vertraut waren Sie mit dem Konzept einer Professur an einer Hochschule für angewandte Wissenschaften?

Durch mein Studium und meine Promotion an der Universität Leipzig sowie meinem Postdoc-Aufenthalt an der University of Auckland bin ich natürlich mit dem klassischen Universitätsbetrieb besser vertraut. In Leipzig gibt es in meiner Fachdisziplin allerdings eine enge Kooperation zwischen der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) und der Universität. Ich pflegte also schon während meines Studiums einen engen Austausch mit der Hochschule. Zudem betreue ich regelmäßig Abschlussarbeiten von Studierenden an HAWs. Eine Hochschule für angewandte Wissenschaften tickt ein wenig anders – der Unterschied zur Universität war mir also durchaus bekannt.

Wie sehen Sie diesen Unterschied?

Die Zusammenarbeit mit den Studierenden ist an einer HAW viel intensiver als an einer Universität. Ich unterrichte hier deutlich kleinere Gruppen, was einen persönlicheren Austausch ermöglicht. Gleichzeitig ist die Ausbildung an der HAW strukturierter und stärker betreut. Die Studierenden benötigen hier eine engmaschigere Begleitung. Für meinen Einstieg an der HTW Berlin hatte ich Seminarinhalte vorbereitet und musste dann relativ schnell feststellen, dass ich die Hälfte davon noch einmal anpassen musste. Der Aufbau ist nun viel kleinschrittiger als ursprünglich geplant. Die Vorkenntnisse sind teilweise sehr unterschiedlich – genau das ist aber auch der Grund, warum ich mein Wissen gerne an einer Hochschule einbringen möchte.

Wie verlief der Einstieg an der HTW Berlin?

Durchweg positiv. Ich war wirklich angenehm überrascht, wie kollegial hier miteinander umgegangen wird. Das ist vielleicht ein weiterer Unterschied zur Universität, wo der Wettbewerb zwischen Lehrstühlen oft stärker ausgeprägt ist. An der HTW Berlin ziehen die Professor*innen gemeinsam an einem Strang. Man unterstützt sich gegenseitig bei den anfallenden Aufgaben – das hat mir den Einstieg erheblich erleichtert. Ich empfinde das Arbeitsklima hier als ausgezeichnet. Auch die Zusammenarbeit mit den Studierenden macht mir große Freude.

Welche Herausforderungen bringt diese Doppelrolle mit sich?

Da muss man ehrlich sein: Herausforderungen gibt es natürlich auch. Die Beschäftigung bei zwei Arbeitgebern führt zu einem gewissen bürokratischen Aufwand – etwa in Abstimmung mit der Krankenkasse und anderen Versorgungseinrichtungen. Aber das ist alles in Arbeit und auf einem guten Weg. Für mich persönlich stehen bald die ersten Prüfungen an. Vor der Erstellung habe ich großen Respekt – ich möchte natürlich weder eine zu schwere noch eine zu leichte Prüfung konzipieren. Glücklicherweise unterstützt mich auch hier das Kollegium. Zudem nutze ich die Angebote des Lehrenden Service Centers der Hochschule und des Berliner Zentrums für Hochschullehre, um mich weiterzubilden.