Wenn sich ein Flugzeug doppelt tarnt…

Der olivgrüne Anstrich des Flugzeugs signalisiert deutlich, dass es sich um eine Militärmaschine handelte. Denkt man zumindest. Denn bei dem Zweisitzer aus der Sammlung des Militärhistorischen Museums auf dem Flugplatz Berlin-Gatow, der seit März 2024 an der HTW Berlin restauriert wird, kam Prof. Dr. Lutz Strobach einer Tarnung besonderer Art auf die Spur. Lack und Flugzeugkennung auf dem Rumpf führen in die Irre. Die Maschine, eine Bücker Bü 181 Bestmann, die im Museum über Jahrzehnte als Militärflugzeug firmierte, hat tatsächlich eine zivile Vergangenheit. Um sie als Exponat in die Ausstellung integrieren zu können, griff man irgendwann pragmatisch zum Pinsel verpasste dem Flugzeug ein militärisches Outfit. „Eine spannende Geschichte“, sagt Prof. Dr. Strobach. Er plant, sie bei der Restaurierung sichtbar zu machen. Wie genau, will er nicht im Alleingang entscheiden, sondern auf einer Tagung mit anderen Expert*innen erörtern. Ihr recht vielsagender Titel: „Objekte, die lügen“.

Erste Indizien für die Neulackierung

Die Recherche zur Geschichte des Flugzeugs und seine behutsame Restaurierung gehen Hand in Hand. Erste Indizien dafür, dass die Maschine im Museum irgendwann neu lackiert wurde, fand Prof. Dr. Strobach bereits bei äußerlicher Begutachtung. „Auf dem Rumpf fehlen beispielsweise all die technischen Hinweise, die sich sonst in großer Anzahl auf Flugzeugen finden lassen“, erläutert der Experte für Technisches Kulturgut und Moderne Materialien. Zwar gibt es mit den Großbuchstaben NIFR und einem schwarzen Kreuz mit weißem Rand eine deutliche Kennung. Doch darunter vermag man bei genauem Hinsehen andere Konturen zu erahnen.

Thermografie brachte den Beweis

Den Beweis erbrachten thermografische Untersuchungen in der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM). Die Flugzeugklappe und ein Leitwerk der Bücker Bestmann waren klein genug, dass Prof. Dr. Strobach sie zur BAM-Außenstelle in Adlershof bringen und dort von Infrarotkameras begutachten lassen konnte. Mit Hilfe dieser Technologie konnte der HTW-Wissenschaftler einen Blick in tiefere Schichten werfen, ohne die Oberfläche zu zerstören. Auf den Bildschirmfotos war es dann deutlich zu erkennen: Unter der militärischen Tarnfarbe verbirgt sich die weiße Originallackierung, darauf die Aufschrift DVL sowie ein roter Blitz.

Zivilflugzeug statt Militärmaschine

Bei der Bücker Bestmann handelt es sich also mitnichten um jenes Militärflugzeug, als das es zeitweise ausgestellt war. Die Maschine flog vielmehr in den 1950-er Jahren für die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL), eine der Vorgängerinstitutionen des heutigen Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Und das war erst der Anfang der akribischen Recherchen zu dem kleinen Zweisitzer, der es offenbar faustdick hinter den Ohren hat. Weitere interessante Erkenntnisse werden folgen, ist sich Prof. Dr. Strobach sicher. Um noch mehr herauszufinden, hat er bereits Kontakte aufgenommen: zu anderen Museen, zu Behörden der Luftfahrt und Herstellern.

Mit Recherche und Reinigung geht es los

Möglichst viel über die Herkunft und Geschichte eines Objekts in Erfahrung zu bringen, ist eine wichtige Voraussetzung für seine fachgerechte Restaurierung. Die begann parallel mit der Zerlegung des Flugzeugs in Einzelteile, die sich besser bearbeiten lassen. Die Tragflächen mussten ohnedies vom Rumpf abgenommen werden, sonst wäre die Maschine nicht quer durch Berlin auf den Straßen transportierbar gewesen. In dem großen Raum verteilen sich inzwischen mehr als 20 Teilstücke. Bei ihrer behutsamen Grundreinigung kam ein Sammelsurium von kuriosen Fundstücken zusammen: ein verwitterter Tankscheck über 50 Mark, ausgestellt von der Commerzbank, ein verrosteter Schlüssel und ein Vogelnest mit Resten eines winzigen Ei; es verbarg sich im luftgekühlten Motorraum. „Die historische Ausgabe einer Bildzeitung haben wir in dem Stauraum hinter der Kabine schon erspäht, aber noch nicht zu fassen bekommen“, lächelt Prof. Dr. Strobach. Ihm macht diese kriminalistisch anmutende Spurensuche richtig Spaß.

Fotografische Dokumentation darf nicht fehlen

Sobald alle Einzelteile fotografisch dokumentiert sind, kann es mit der Restaurierung losgehen. Zwei Semester sind dafür angesetzt. Wie schon beim letzten Objekt, einem Oldtimer aus den 1950-er Jahren, hat Prof. Dr. Strobach seine Kollegin Prof. Dr. Lilia Sabantina aus dem Studiengang Bekleidungstechnik/Konfektion mit ins Boot geholt. Denn die Bücker Bestmann besteht nicht nur aus Stahlrohr, Holz und Aluminium. In dem Flugzeug sind auch diverse Textilien verarbeitet, beispielsweise in den beiden Sitzen; da ist einschlägiges Know-how willkommen. 

Zwei Studiengänge arbeiten Hand in Hand

Unter Leitung der beiden Hochschullehrer*innen haben sich gemischte Projektgruppen aus Studierenden beider Studiengänge ans Werk gemacht. Gemeinsam werden Materialien untersucht und Textilien geprüft, wird über geeignete Methoden gebrainstormt, wie alles vor dem weiteren Verfall bewahrt werden kann, werden die Restaurierungsschritte im Detail geplant. Drei Arbeitspakete stehen schon fest: Erstens die fachgerechte Restaurierung des Bruchs in einer der beiden mit Stoff bespannten Tragflächen. Zweitens die Sitze, die mit ihren Wasserrändern und dem aufgebrochenen Gewebe wenig einladend wirken. Drittens die gerissene Textilbespannung hinter dem Cockpit mitsamt kaputtem Reißverschluss. "Uns geht es grundsätzlich darum, die historische Materialität so gut wie möglich zu erhalten und zu schützen", erklärt Prof. Dr. Strobach die Restaurierungsphilosophie. Es gelte, das Kulturgut zu konservieren, seine Geschichte zu erforschen und sie lesbar zu machen.

Über die Lackierung wird auf einer Tagung diskutiert

Im Fall der Lackierung ist das besonders kniffelig. Entfernt man den olivgrünen Lack und legt die ursprüngliche zivile Lackierung der Maschine mitsamt Schriftzug sowie rotem Pfeil frei? „Auf einer so großen Fläche ist es nahezu unmöglich, die PVC-Farbe mit gängigen Lösungsmitteln zu entfernen, weiß Prof. Dr. Strobach. Bringt man stattdessen frischen, weißen Lack auf? „Auch keine gute Option“, gibt der Experte zu bedenken. Die brüchigen historischen Farbschichten des Flugzeugs würden durch die neue Farbschicht Schaden nehmen. Erhält man beide Zustände und veranschaulicht die historischen Farben mit Hilfe von Virtual Reality? Im Rahmen der Tagung „Objekte, die lügen“sollen diese Fragen zur Diskussion gestellt werden., Dabei sein sollen Historiker*innen, Kurator*innen, Museolog*innen und Restaurator*innen aus den Museen, Sammlungen und der Denkmalpflege. Auf diese ethischen Fragestellungen der Erhaltung gab es in der Fachwelt schon sehr positive Resonanz. Die Tagung wird dazu mit einer Podiumsdiskussion ein aktuelles Meinungsbild einfangen.