Ein Forschungssemester beflügelt die Hochschullehre

Ausstellungsdesignerin, Hochschullehrerin und Wissenschaftlerin: Prof. Dr. Jona Piehl ist glücklich, dass sie als Professorin im Studiengang Kommunikationsdesign der HTW Berlin einen Fuß in allen drei Welten behalten kann. Das Thema Ausstellungsgrafik begeistert sie seit ihrem Masterabschluss in Narrative Environments am Central Saint Martins College of Art and Design in London. Bis heute beschäftigt sie sich auch auf theoretischer Ebene mit der Materie. Gleichzeitig lehrt sie leidenschaftlich gerne. Dass die Professur an einer Hochschule für Angewandte Wissenschaften die Möglichkeit bietet, die Lehre in regelmäßigen Abständen für ein sogenanntes Freistellungs- bzw. Forschungssemester zu unterbrechen, ist nach Überzeugung von Prof. Dr. Piehl essentiell. Sie macht davon im Wintersemester 2024/2025 zum ersten Mal Gebrauch. Wie sie diesen Freiraum nutzt und warum es so wichtig ist, das Thema Ausstellungsgrafik zu erforschen, erzählt sie im Interview.

Was macht Ausstellungsgrafik so interessant, auch wissenschaftlich?

Prof. Dr. Jona Piehl: Ausstellungsgrafik nimmt direkten Einfluss auf die Erzählung im Raum. Sie baut die Brücke zwischen dem Publikum und den von Kurator*innen entwickelten Inhalten. Das reicht von der Besucher*innenführung über die Beschriftung und Interpretation der Objekte bis hin zu wandfüllenden Grafiken. Die größte Wandgrafik, die ich selbst entworfen habe, eine Zeitleiste der Haute Couture für das Londoner Victoria and Albert Museum, war 13 Meter breit und drei Meter hoch! Leider wird zum Thema Grafik in Ausstellungen immer noch zu wenig geforscht. Dabei ist sie so elementar für die Vermittlung. Sie ist einer der Faktoren, der darüber entscheidet, was Menschen in einer Ausstellung wahrnehmen, ob sie sich gut zurechtfinden, neugierig bleiben, ob sie etwas lernen, was sie in Erinnerung behalten und ob sie bereit sind, in einen Austausch zu gehen.

Und womit beschäftigen Sie sich im Forschungssemester?

Natürlich mit einer Ausstellung! Ich untersuche die grafischen Mittel in der Dauerausstellung des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden. Dabei ist es einerseits das Ziel, zu verstehen, welche visuellen Strategien momentan im Einsatz sind und wie diese genutzt werden. Andererseits will ich grafisch spekulieren, wie sich diese visuellen Strategien weiter entwickeln könnten; hier greife ich auf meine Praxis als Gestalterin zurück. Momentan verbringe ich also viel Zeit in den Räumen. Ich analysiere die verschiedenen Elemente der Ausstellungsgestaltung, spreche mit Besucher*innen und Akteur*innen, die seitens des Museums an der Ausstellungsarbeit beteiligt sind, und dokumentiere meine Beobachtungen. Es ist großartig, mich so intensiv mit einer Ausstellung im Kontext ihrer Institution zu befassen, und darüber hinaus in einer Art Reallabor Methoden testen zu können, also, zu erproben, inwieweit gestalterische Praxis in der wissenschaftlichen Arbeit methodisch und analytisch produktiv gemacht werden kann. Für das Museum ist das interessant, weil es einen Außenblick auf die eigene Arbeit anbietet und Impulse liefern kann.

Welchen Stellenwert hat das Forschungssemester für Sie?

Obwohl mir die Lehre wirklich sehr viel Spaß macht, ist es tatsächlich eine willkommene Zäsur. Das Forschungssemester erlaubt mir, den Unterrichtsrhythmus für sechs Monate zu verlassen. Ich habe Zeit für Reflexion, für die intensive Auseinandersetzung mit Inhalten, bekomme neue Impulse und kann mich auf Tagungen und Konferenzen über Entwicklungen in meinem Fach informieren. Wenn man so will, ist das eine Form der akademischen Weiterbildung. Und es ist definitiv eine Art von Neustart, obwohl ich natürlich nicht völlig weg von der HTW Berlin bin. Einige Projekte laufen weiter, außerdem bauen wir im Fachbereich derzeit einen neuen Masterstudiengang auf, an dem ich beteiligt bin. Alles in Allem: Ich werde inspiriert zurückkehren.

Sehen Sie auch einen Mehrwert für die Hochschullehre?

Auf jeden Fall. Meine Lehre wird davon profitieren, in vielerlei Form. Inhaltlich natürlich, weil ich die Gelegenheit habe, mein Fach weiterzuentwickeln, aber auch ganz praktisch: Es sind schon jetzt neue Kontakte entstanden. Die enge Kooperation mit Museen ist speziell in meinem Fall sehr oft die Grundlage für studentische Projekte.

Zuguterletzt: Wie kamen Sie zu dem Forschungs- bzw. Freistellungssemester?

Grundsätzlich kann man sich an der HTW Berlin alle vier Jahre um ein Freistellungssemester bewerben. In einem Antrag legt man dar, was genau man zu tun gedenkt, wobei man sich entscheiden kann, ob man wahlweise ein Forschungsvorhaben oder ein künstlerisches Entwicklungsvorhaben formulieren möchte, oder ob man die Zeit nutzen möchte, Erfahrungen und Kenntnisse der Berufspraxis zu erneuern. Die Anträge werden von einer fachbereichsinternen Kommission gesichtet und bewertet, anschließend auf Hochschulebene bewilligt. Meine Veranstaltungen werden während der Freistellung von Lehrbeauftragten übernommen. Nach geeigneten Leuten habe ich im Vorfeld schon Ausschau gehalten und sie persönlich angesprochen. Denn ich will die Studierenden natürlich in guten Händen wissen. Die Vertretung während des Forschungssemester ist gleichzeitig eine hervorragende Möglichkeit, speziell für Projektmodule Designer*innen in den Studiengang zu holen, die andere fachliche Akzente setzen können. So profitieren am Ende auch die Studierenden!