„Die Klausur ist für manche Studierende die Mohrrübe“
Dass ihr die Lehre Freude bereitet, merkte Prof. Dr. Christina Carlsen, als sie die Tätigkeit in einem großen Energiekonzern zugunsten einer Assistenzprofessur an der Türkisch-Deutschen Universität in Istanbul aufgab. Damals kam ihr zum ersten Mal der Gedanke, Professorin werden zu wollen. Jetzt aber noch nicht, befand die Expertin für Unternehmensfinanzierung seinerzeit und kehrte in die Wirtschaft zurück. Sechs weitere Jahre widmete sie sich großen Projekten in der Energiebranche. Als die HTW Berlin eine passende Professur ausschrieb, war der richtige Zeitpunkt gekommen. Prof. Dr. Carlsen bewarb sich und wurde berufen. Seit Mai 2023 ist sie Hochschullehrerin im Fachbereich Wirtschafts- und Rechtswissenschaften. Im Interview gibt sie einen Einblick, wie ihr Alltag aussieht und wie sie die Lehre gestaltet.
Was lockt eine Führungskraft aus der Energiebranche an die Hochschule?
Prof. Dr. Christina Carlsen: Ich hatte immer junge Menschen in meinen Teams; mit ihnen zu arbeiten, macht Freude. Dass ich auch gerne lehre, merkte ich als Assistenzprofessorin an der Universität in Istanbul. Doch die Zeit schien mir damals noch nicht gekommen. Die Aufgaben in der Energiebranche waren sehr spannend, ich hatte eine Bereichsleitung inne, direkt unter dem Vorstand, und konnte daher viel mitgestalten, und schließlich bot sich Gelegenheit zu Aufenthalten im Ausland. Zuletzt war ich für RWE in Chicago tätig. Aber mir war auch klar, dass sich das Zeitfenster für eine Professur irgendwann schließt und ich sesshaft werden möchte. Als ich die Ausschreibung der HTW Berlin entdeckte, funkte es sofort: Eine Hochschule mit tollem Ruf, die richtige Stadt aus privaten Gründen, und dann eine Professur mit Schwerpunkt Unternehmensfinanzierung! Da passte alles zusammen.
Wie verlief Ihr Einstieg in die Lehre?
Ich startete im Mai 2023, also mitten im Sommersemester, und daher mit einer reduzierten Anzahl von Semesterwochenstunden. Auch in fachlicher Hinsicht gab es glücklicherweise eine kleine Schonfrist: Das Besondere an meiner Professur ist, dass ich auch Lehrveranstaltungen in einen anderen Fachbereich „exportiere“. Diese Lehrveranstaltungen befanden sich aber zum Zeitpunkt meines Starts an der HTW Berlin im Umbruch – die Studiengänge sollten im Rahmen einer Akkreditierung grundsätzlich überarbeitet werden. Daher bin ich meinem Vorgänger sehr dankbar, dass er der Hochschule als Lehrbeauftragter treu blieb und gemeinsam mit zwei weiteren Lehrbeauftragten diese Fächer betreut, bis die alten Studienordnungen auslaufen. So hatte ich die Möglichkeit, mich in die Neuformulierung der Inhalte einzubringen, und werde die Fächer mit Beginn der neuen Studien- und Prüfungsordnungen übernehmen.
Fiel die Umstellung vom Job auf die Hochschule schwer?
Ja und Nein. Themen und Sachverhalte zu präsentieren, gehörte schon immer zu meinem Tagesgeschäft. Auch die Arbeit mit jungen Leuten ist mir vertraut. Nach einem Jahr stehen in punkto Lehre zwei Punkte auf meiner To-do-Liste. Erstens: mehr Storytelling. Derzeit liegt mein Fokus noch stark auf der Theorie, weil ich davon überzeugt bin, dass Studierende die Grundlagen verstehen müssen. Doch inzwischen würde ich sagen, dass es mehr Beispiele aus der Praxis geben und die Theorie anders verpackt sein darf. Es könnte beispielsweise eine Art theoretisch fundierter Werkzeugkasten geben!
Zweitens habe ich gelernt, die Studierenden nicht wie in einem Unternehmen als mehr oder weniger homogenes Team zu sehen. Alle haben unterschiedliche Beweggründe, meine Kurse zu belegen. In meinen Lehrveranstaltungen stelle ich zu Beginn die Frage: Warum sind Sie da und was wollen Sie lernen? Im Bachelorstudiengang kommt oft die Antwort „Um die Klausur zu bestehen“. Die Klausur ist also die Mohrrübe, weshalb ich beispielsweise erlaube, einen selbst geschriebenen Spickzettel im Format A4 zu benutzen. An diesem Spickzettel arbeiten manche Studierenden so lange und so intensiv, dass definitiv etwas hängen bleibt. Zwei andere Antworten lauten übrigens „Den Umgang mit Excel lernen“ und „Schnell reich werden“. Manche scheinen schon eine Trading-Strategie zu haben und studieren, um irgendwann das große Geld zu machen. Letzteres kann ich leider nicht versprechen. Im Masterstudiengang rücken die Inhalte stärker in den Fokus. Doch ob Bachelor oder Master: Ich habe viele gute und auch sehr selbstbewusste Studierende. Ich staune immer wieder, wie viele schon mit beiden Beinen fest im Leben stehen. Das gefällt mir.
Wie schaut Ihr Alltag in der Lehre aus?
Ich lehre 18 Semesterwochenstunden, kurz SWS. Jetzt im Winter vermittle ich angehenden Betriebswirt*innen in zwei Gruppen in jeweils vier SWS die Grundlagen im Bereich Investition und Finanzierung. Weitere vier SWS widme ich mich dem Vertiefungsschwerpunkt Investition und Finanzierung, ebenfalls im Bachelor-Studiengang Betriebswirtschaftslehre (BWL). Und dann sind da noch sechs SWS Lehre im Master-Studiengang Finance, Accounting, Corporate Law and Taxation (FACT).
Im Sommer 2025 werden sich die Gewichte verschieben. Dann werde ich auch Lehrveranstaltungen zunächst im neuen Master-Studiengang Quantitative Finance und Data Science anbieten. Perspektivisch kommt dann mit Inkrafttreten der neuen Studien- und Prüfungsordnung auch der Bachelor-Studiengang Wirtschaftsmathematik dazu. Diese beiden Studiengänge sind im Fachbereich Informatik, Kommunikation und Wirtschaft angesiedelt und auf unserem zweiten Campus zuhause.
Sie sind also in mehreren Studiengängen aktiv?
Genau. Ich bin Teil der sechsköpfigen Fachgruppe Investition und Finanzierung, die ihre Expertise in verschiedene Studiengänge einbringt. In meinem Fall sind das am Fachbereich Wirtschafts- und Rechtswissenschaften derzeit die Studiengänge BWL und FACT. Um die Koordination der Lehrveranstaltungen innerhalb der Fachgruppe kümmert sich ein Kollege, der auch darauf achtet, dass alle gleichmäßig ausgelastet sind. Wir vertreten uns bei Bedarf gegenseitig. Ich schätze den kollegialen Umgang sehr, bei Fragen und Problemen hilft man sich, einmal im Semester treffen wir uns auch privat.