Wie schaut Leadership in Startups aus?
Bei Startups denkt man an Einzelkämpfer*innen oder kleine Teams, die mit viel Kreativität und großem Engagement neue Ideen zu geschäftlichem Leben erwecken. Mit Leadership bringt man sie eher nicht in Verbindung. Doch sobald Startups eine gewisse Größenordnung erreicht haben, kommen auch sie nicht mehr ohne visionäre Führung aus. Welche Konzepte praktiziert werden und welche Leadership-Stile sich etabliert haben, will Prof. Dr. Berit Sandberg bei einer Online-Befragung in den Metropolregionen Berlin und München herausfinden. Dabei gilt ihr Interesse auch der Kategorie Gender. Im Interview gibt die Professorin für Betriebswirtschaftslehre im Studiengang Public und Nonprofit Management Einblick in ihr Forschungsvorhaben.
Warum untersuchen Sie die Führungskultur in Startups?
Prof. Dr. Sandberg: Mit Leadership im Allgemeinen beschäftige ich mich schon seit Längerem, primär in der Forschung, aber auch in der Lehre. Dazu gibt es zwar viel Literatur, in Bezug auf Startups ist das Thema allerdings noch etwas unterbelichtet. Zu Leadership in der Gründungsszene gibt es kaum Studien. Man weiß, dass sich die Organisationskultur von der in etablierten Unternehmen unterscheidet. Die Hierarchien sind in der Regel flach, das Konzept „Shared Leadership“ ist weit verbreitet, also die Verteilung von Verantwortung auf verschiedene Schultern. Aber in größerem Stil wurde das noch nicht untersucht, vor allem nicht die dunkle Seite von Leadership. Diese Lücke möchte ich schließen.
Welche Bedeutung hat Leadership für Startups?
Aus der Perspektive von Gründer*innen spielt Leadership eine untergeordnete Rolle. Das ist nachvollziehbar, denn wer gründet, will erst einmal eine Geschäftsidee umsetzen, Prototypen bauen, Modelle entwickeln, sich ins Handelsregister eintragen lassen etc. Doch wenn Startups größer werden, gewinnt die Fähigkeit an Bedeutung, mit Menschen umzugehen und sie für eine gemeinsame Vision zu begeistern. Wenn das nicht funktioniert, kann es zum Problem werden. Gründer*innen verfügen nicht automatisch über Leadership-Kompetenzen. Sie brauchen oft Nachhilfe. Viele Möglichkeiten gibt es hier allerdings nicht, wie wir bei unserem letzten Forschungsprojekt zum Startup Leadership Development festgestellt haben. Die meisten Angebote fokussieren auf Managementtools und auf klassisches Gründungs-Knowhow. Zu Themen wie Selbstführung oder Teamentwicklung gibt es kaum etwas.
Wie wollen Sie bei Ihrer Befragung vorgehen?
Wir werden zu Beginn des Jahres 2024 online 3.600 Startups in den beiden Metropolregionen Berlin und München befragen. Denn das sind die Gründungshauptstädte, hier sitzen auch die meisten Startups. Für die Befragung und die Datenanalyse nutzen wir einen wissenschaftlich fundierten Fragebogen aus der Organisationsforschung, der sich bewährt hat und in diversen Branchen bereits durchgetestet wurde. Wir wollen beispielsweise wissen, welches Arbeitsklima in Startups herrscht und ob es einen Klimawandel gibt, wenn Frauen an der Spitze sind. Wir fragen nach der Work-Life-Balance, dem Spaß-Faktor und der Bedeutung körperlicher Fitness. Abgefragt werden auch persönliche Positionen zu Aussagen wie „In meinem Arbeitsumfeld werden Menschen, die keine Gefühle zeigen, am meisten respektiert“, oder „Wer Fehler zugibt, zeigt Schwäche.“ Das sind nur einige Beispiele. Mehr als 10 Minuten sollte es nicht dauern, die Fragen zu beantworten.
Wie groß wird die Resonanz sein?
Ich kann die Rücklaufquote nicht einschätzen, weiß aber, dass die Befragung kein Selbstläufer wird. Erstens machen wir eine „kalte“ Umfrage. Das bedeutet, dass es vorher keinen persönlichen Kontakt zu den Befragten gegeben hat. Zweitens hat sich in der Startup-Szene eine gewisse Umfragemüdigkeit breit gemacht. Denn Gründer*innen sind ein beliebtes Studienobjekt der Wissenschaft, auch bei Studierenden. Freuen würde ich mich über eine Rücklaufquote von 30 Prozent. Je mehr Menschen unsere Fragen beantworten, desto aussagekräftiger werden die Ergebnisse sein. Wer sich beteiligt, bekommt einen Buchgutschein - ohne Incentives geht auch in der Wissenschaft nichts - und einen Abstract der Ergebnisse, noch ehe diese publiziert werden. Beim Vorgängerprojekt wurde ein großer Workshop verlost, aber so viel Geld steht jetzt nicht zur Verfügung.
Welche inhaltlichen Erwartungen haben Sie?
Ich bin gespannt, ob es beispielsweise Unterschiede in der Organisationskultur von technologieorientierten Startups und Social Startups gibt, die stärker ihre Werte betonen. Letztere wurden bis dato wenig in den Blickwinkel genommen. Es wird auch interessant sein herauszufinden, welche Leadership-Konzepte in welcher Branche vorherrschen. Und ich bin neugierig darauf, ob und wenn ja, welchen Stellenwert Gendersensibilität hat. Das alles sind auch wichtige Informationen für Menschen, die in Startups arbeiten wollen.
Welches Ziel wollen Sie erreichen?
Wir wissen, dass Leadership-Kompetenz ein wichtiger Erfolgsfaktor für Startups ist. Es wäre meines Erachtens wichtig, für die Notwendigkeit entsprechender Fähigkeiten schon im Gründungskontext zu sensibilisieren und passende Weiterbildungsangebote zu entwickeln. Damit Führungsdefizite nicht erst dann auftreten, wenn es für ein junges Unternehmen zu spät ist.