Soziales Engagement zahlt sich bei Immobilien aus
Wieviel sind Immobilien wert, was lässt ihren Wert steigen, warum bringen sie Verluste? Die Kriterien, die dabei eine Rolle spielen, sind im Umbruch. Das hat auch damit zu tun, dass die Europäische Union im Bemühen, den Übergang zu einer nachhaltigeren Wirtschaft zu unterstützen, seit 2022 Vorgaben in Gestalt der EU-Taxonomie macht und definiert hat, was als nachhaltiges Wirtschaften gilt. Der Fokus liegt auf Umwelt (Environment), Gesellschaft (Social) und verantwortungsvoller Unternehmensführung (Governance). Als sogenannte „ESG-Kriterien“ wirken sie sich auch auf die Immobilienbranche aus. In welcher Form, damit beschäftigen sich Prof. Dr. Regina Zeitner, HTW Berlin, und Prof. Dr. Marion Peyinghaus, hochschule 21, in ihrem neuesten „PMRE-Monitor“.
Warum haben Sie das Thema „Social Real Estate“ aufgegriffen?
Prof. Dr. Peyinghaus: Die sogenannten ESG-Kriterien sorgen aktuell für viel Wirbel in der Immobilienwirtschaft. Bislang galt die Aufmerksamkeit in erster Linie Umweltaspekten von Immobilien. Jetzt rückt ihr gesellschaftlicher Mehrwert in den Blickpunkt. Der Fachbegriff dafür lautet „Social Real Estate“. Diesbezüglich stellen sich für viele Branchenplayer noch zahlreiche Fragen. Mit unserer Marktanalyse möchten wir Licht ins Dunkel bringen und die S-Kriterien konkretisieren.
Was versteht man bei Immobilien unter S-Kriterien?
Prof. Dr. Zeitner: Die S-Kriterien umfassen ein ganzes Bündel von Themen. Wir haben aktuelle Richtlinien und Studien dazu analysiert und insgesamt zwölf Kategorien gefunden. Ganz oben steht die Kategorie „Gesundheit“. Gemeint ist das Wohlbefinden der Nutzer*innen in Gebäuden, also deren visueller, akustischer und thermischer Komfort. Gleich danach kommt mit dem Faktor „Mobilität“ die Erreichbarkeit einer Immobilie mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Rad oder Auto. Aber auch Sicherheit, Gebäudequalität, Umwelt und Vernetzung sind wichtige Kategorien.
Gibt es herausragende Beispiele für „Social Real Estate“?
Prof. Dr. Peyinghaus: Ein bemerkenswertes Beispiel für Social Real Estate habe ich vor kurzem persönlich in Australien in Augenschein genommen: den Quay Quarter Tower in Sydney. Er ist weltweit einzigartig, quasi ein vertikales Dorf, das die Zukunft der Arbeit völlig neu definiert. Der Quay Quarter Tower hat unter anderem öffentlich zugängliche Außenanlagen und Erdgeschossbereiche, bietet vielfältige Gastronomie sowie eine Apotheke, um nur einige Qualitäten zu nennen.
Prof. Dr. Zeitner: Mir fallen noch andere tolle Beispiele ein. In Caracas wurde ein leerstehender 45-stöckiger Büroturm zum Zuhause für mehr als 1.000 Familien umgebaut, inklusive Seilbahn, Sportanlage und Café. Das hatte einen positiven Effekt auf das Gesundheitsniveau der Bewohner*innen und die Kriminalitätsrate. In Detroit, das vor allem für eine schrumpfende Bevölkerung, leerstehende Wohn-. und Bürokomplexe und zugewucherte Brachflächen bekannt ist, setzen Einwohner*innen unter dem Motto „Gemüse statt Cadillac“ auf urbane Landwirtschaft, und zwar nicht nur wegen des Flächenangebots, sondern auch, weil Armut und Arbeitslosigkeit zu groß sind.
Wer soll für dieses Engagement bezahlen?
Prof. Dr. Peyinghaus: Diese Herausforderung wird nur gemeinsam zu leisten sein. Es braucht ein Engagement vom Staat, der Gesellschaft und natürlich auch von der Immobilienbranche. Die Immobilienwirtschaft muss sich ihrer sozialen Verantwortung stellen, profitiert im Gegenzug aber von steigenden Mieten und Preisen. Eine Expert*innengruppe bezifferte die Wertsteigerungschancen von sozialen Immobilien im Mai 2022 auf 7,5 Prozent. In unserer Marktanalyse hat sich das Wertsteigerungspotenzial bereits auf 9,6 Prozent erhöht. Diese Entwicklung steht stellvertretend für den aktuellen Wandel im Markt. In den 2010er Jahren war die Flächenmaximierung oberstes Gebot: je mehr Fläche, desto höher der Absatz. Architektonische und städtebauliche Qualität standen nicht immer an erster Stelle. Die nun eingetretene Zeitenwende bietet die Chance für attraktive, gesunde, sichere und auf die Gemeinschaft ausgerichtete Immobilien.
Zu Ihrer Studie. Was steht im Fokus?
Prof. Dr. Zeitner: Wir haben zwei Aspekte in den Blick genommen. Erstens haben wir die S-Kriterien für Immobilienobjekte definiert, ich hatte eingangs schon davon gesprochen. Zweitens haben wir die Relevanz der Kriterien aus Sicht sowohl der Mitarbeiter*innen als auch der Nutzer*innen untersucht. Bei der Gewichtung ergaben sich große Unterschiede. Nur ein Beispiel: Einkaufsmöglichkeiten, Kultur, Grünanlagen und Bildung sind Menschen in unmittelbarer Nähe ihres Wohnorts deutlich wichtiger als im Umfeld des Arbeitsplatzes. Hier macht sich die Gewöhnung an das mobile Arbeiten im Homeoffice bemerkbar. Interessant war auch, dass die Generation Z, also Menschen, die etwa zwischen 1997 und 2012 zur Welt gekommen sind, höchste Ansprüche an S-konforme Büros stellt und das sogar als Jobauswahlkriterium definieren. Eine wichtige Information für Arbeitgeber in Zeiten des Fachkräftemangels. Sie sind gut beraten, diesen Umstand bei der Ausgestaltung ihrer Büroimmobilien zu berücksichtigen.
Wie sind Sie vorgegangen?
Prof. Dr. Peyinghaus: Wir haben von September bis Oktober 2022 eine quantitative Marktanalyse durchgeführt. Konkret haben wir gefragt, welche S-Kriterien Mieter*innen einfordern und welche einen Mietpreisaufschlag legitimieren. Außerdem wollten wir wissen, welche Wertsteigerung Immobilien mit optimaler Erfüllung der S-Kriterien erfahren und wodurch Wertverluste entstehen. Drittens: Welche S-Kriterien müssen Unternehmen erfüllen, um keinen Personalverlust zu riskieren?
Prof. Dr. Zeitner: Unser Fragebogen wurden von 239 Expert*innen der Wirtschaft – das waren Fach- und Führungskräften der Immobilienbranche -, sowie von 209 Vertreter*innen der Generation Z ausgefüllt. Die Generation Z wurde durch 174 Studierende immobilienwirtschaftlicher Studiengänge aus Deutschland sowie 35 Studierende übergreifender Fachrichtungen aus dem internationalen Umfeld repräsentiert. Dabei haben wir Antworten aus den unterschiedlichsten Regionen wie Asien, USA oder Europa, einbezogen. Die Stichprobe beträgt insgesamt 448 Teilnehmer*innen, die hohe Quote demonstriert die Relevanz des Forschungsthemas.
Ihr Fazit?
Prof. Dr. Zeitner: Wir sind zum Ergebnis gekommen, dass sich soziales Engagement in der Immobilienwirtschaft auszahlt. Zwar muss erst einmal in Bau- und Betriebskosten investiert, müssen Prozesse umgestellt werden. Doch wer das tut, handelt nicht altruistisch, sondern wird belohnt. Durch Investitionen in Außenanlagen und Infrastruktur, Ausstattung und Komfort wachsen Erlöse, Immobilienwerte und Unternehmenserfolge. Die erwartete Steigerung für S-konforme Immobilien und Fondsprodukte liegt zwischen acht und neun Prozent. Das ist eine vielversprechende und zukunftsweisende Erkenntnis für Projektentwickler, Versicherungsgesellschaften oder Banken, eben alle großen Player der Immobilienbranche.
Prof. Dr. Regina Zeitner (HTW Berlin) und Prof. Dr. Marion Peyinghaus (hochschule 21) forschen gemeinsam unter dem Dach des von ihnen gegründeten Competence Center Process Management Real Estate (CCPMRE). Sie veröffentlichen jährlich den „PMRE Monitor“, in dem sie aktuelle Themen und Fragestellungen für die Immobilienbranche aufbereiten. Zur Seite steht ihnen dabei ein hochkarätig besetzter Steuerungsausschuss. Der PMRE-Monitor 2023 „Social Real Estate – The Attraction of Social Action“ steht zum kostenlosen Download unter www.ccpmre.de zur Verfügung.