Kleidung muss mehr Wertschätzung erfahren
Mit Textilsiegeln lässt sich gut Memory spielen, Zahlen und Fakten der Bekleidungsindustrie werden zur Unterhaltung, wenn sie als Quiz daherkommen, und vertrauten Stoffen wie Wolle oder Jeans kann man unter dem Mikroskop eine völlig neue Seite abgewinnen. Drei Beispiele dafür, wie man nüchternes Wissen anregend aufbereitet und dadurch Inhalte leichter an die Frau und den Mann bringt. Das ClothingCareCafé des Studiengangs Bekleidungstechnik / Konfektion hat viel Erfolg damit. Bereits zwei Mal fand es statt. Erklärtes Ziel: eine Brücke zu bauen zwischen den Themen Bekleidung und Nachhaltigkeit. „Wir wollen die Menschen für die Wertigkeit von Kleidung sensibilisieren und dadurch einen Beitrag zur Nachhaltigkeitsdebatte leisten“, sagt Prof. Monika Fuchs, die das Veranstaltungsformat zusammen mit der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Lisa Weißmann und vielen Mitstreiter*innen 2022 initiiert hat.
"Jede Naht eine Person"
Hinter dem ClothingCareCafé steckt folgende Überlegung: Wer weiß, welche Ressourcen in ein simples T-Shirt geflossen sind, wie viele Kilometer eine Jeans auf dem Weg in den Laden zurückgelegt hat, wie viele Arbeitsschritte nötig waren, bis eine Bluse auf dem Bügel hängt, der behandelt das jeweilige Kleidungsstück mit dem Respekt, den es verdient. Denn auch in Zeiten von Fast Fashion und einer globalisierten Bekleidungsindustrie, die fast durchweg in Asien produziert, gilt: „Jede Naht eine Person“. Dies zu betonen, wird Prof. Fuchs nicht müde. Anders als durch gut ausgebildete Näher*innen lassen sich Stoffe, sogenannte biegeschlaffe Materialien, bis heute nicht verarbeiten.
Die Transformation hat bereits begonnen
Die Bekleidungsingenieurin, die seit vielen Jahren an der HTW Berlin lehrt und forscht, kennt die Arbeitsbedingungen der Branche von persönlichen Firmenbesuchen im Ausland. Sie würde niemals leugnen, dass Transformationsbedarf besteht; dieser Prozess habe im Übrigen schon begonnen. Doch wer glaube, mit dem Kauf teurer Kleidung in punkto Nachhaltigkeit auf der sicheren Seite zu sein und mit dem Finger auf Billigmarken zeigen zu können, der mache es sich zu einfach.
Mit Feindbildern ist nichts gewonnen
„Mit Feindbildern ist in dieser Debatte überhaupt nichts gewonnen“, sagt Prof. Fuchs mit Nachdruck. Nicht der Kauf eines T-Shirts für 4,90 Euro sei das Kernproblem. Das Billigshirt könne durchaus genauso viele Wasch- und Tragezyklen bestehen wie das deutlich teurere Exemplar. Denn in der industriellen Praxis haben Stückzahlen einen hohen Einfluss auf Preise; außerdem sorgen gesetzliche Regelungen, wie das im Januar 2023 in Kraft getretene Lieferkettengesetz, für die Umsetzung der Sorgfaltspflicht in der globalen Lieferkette, auch von Discountern. Doch die qualitativen Unterschiede könnten Kund*innen in der Regel nicht am fertigen Endprodukt im Geschäft erkennen. Auch die meisten hochwertigen Textilien würden längst in Asien produziert.
Der Wert von Kleidung ist erodiert
Das größere Problem sieht Prof. Fuchs darin, dass mit immer niedrigeren Preisen die Wertschätzung von Bekleidung stark erodiert ist und sich der Umgang mit Textilien völlig verändert hat. „Wer ein T-Shirt für 4,90 Euro kauft, wird es kaum für ein wertiges Produkt halten und sicher nicht sorgfältig damit umgehen“, sagt die Wissenschaftlerin, die unter anderem Wäschepflege zu ihren Fachgebieten zählt. Dabei hänge die Langlebigkeit von Textilien und damit ihre Nachhaltigkeit maßgeblich davon ab, wie sie gepflegt und gewaschen werden.
Wissenschaftliche fundierte Informationen geben
Eine komplexe Materie also, die sich nach Meinung aller Beteiligten am Besten in einem partizipativen Veranstaltungsformat betrachten lässt. „Beim ClothingCareCafé geht es uns um eine ganzheitliche, wissenschaftlich fundierte Aufbereitung von Informationen“, sagt Lisa Weißmann. Sie promoviert derzeit zum Thema „Kreislaufführung von Textilien“ und hat schon die erste Veranstaltung im Sommer 2022 mit konzipiert. „Die Idee hat sofort Anklang gefunden“, erinnert sie sich an das große Engagement der Studierenden, die gemeinsam ein buntes Programm mit Exponaten und Mitmach-Experimenten auf die Beine stellten, ohne dafür Credits zu bekommen. Aber Anerkennung gab es: Das ClothingCareCafé gewann auf Anhieb den ersten Preis beim FORUM WASCHEN. Auf der Plattform engagieren sich Fachleute aus Behörden, Bundesministerien, Forschungsinstitutionen, der Industrie, Umweltorganisationen und Verbraucherverbänden für Nachhaltigkeit. Lisa Weißmann nahm die Urkunde stellvertretend für das Team entgegen.
Infostände, Memory und Experimente
2023 war das ClothingCareCafé schon zum Allgemeinwissenschaftlichen Ergänzungsfach aufgestiegen. Im Fokus standen die Jeans und Alles rund um das Thema Denim. Dieses Mal sorgten die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen Violetta Wichmann und Björn Tengler zusammen mit Studierenden für Infostände, ein Memory, Exponate zum Anfassen und Ausprobieren, aber auch Vorträge zur Nachhaltigkeit in der Jeansproduktion. Eine Vertreterin des Vereins FEMNET informierte über Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsfertigung, die Firma Marc O´Polo stellte das Konzept „Mode zum Mieten“ vor.
Ingenieur*innen werden gebraucht
Im Sommersemester 2024 soll aus dem ClothingCareCafé ein Wahlpflichtmodul werden. Zwei wichtige Zielgruppen haben die Akteur*innen bei dem Format im Blick. Erstens Studierende. „Für die nachhaltige Transformation der Bekleidungsindustrie wird auch fundiertes ingenieurwissenschaftliches Know-how gebraucht“, sagt Prof. Fuchs und nennt ein Beispiel: Der erste deutsche Hersteller hat seine Jeansproduktion nach Deutschland zurückverlegt und sorgt mit Laserstrahlen statt händischem Schmirgeln für die beliebte verwaschene Optik. Eine gute Nachricht für die Absolvent*innen der HTW Berlin.
Beitrag zum Wertewandel und zur Nachhaltigkeitsdebatte
Zweite Zielgruppe des ClothingCareCafé sind Bürger*innen, die Interesse daran haben, die von Feindbildern geprägte Debatte hinter sich zu lassen und sich sachlich mit dem Thema Bekleidung zu beschäftigen. Gute Ideen dafür werden den Macher*innen sicher nicht ausgehen. Der Wunsch, einen Wertewandel anzustoßen und mit ihrem Format zur Nachhaltigkeitsdebatte beizutragen, führt sie zusammen.