Cerberus lässt Algen nachhaltig wachsen
„Wahnsinn, was sich aus einem Hauptprojekt und dank der Unterstützung durch „Ideas in Action“ entwickelt hat“, schreibt Ony Yan voller Begeisterung per Mail aus dem norwegischen Trondheim an die Professor*innen Pelin Celik, Jan Vietze und Heike Marita Hölzner. Die freuen sich über die guten Nachrichten von ihren ehemaligen Studierenden. Das Absolvent*innen-Trio des Studiengangs Industrial Design, bestehend aus Ony Yan, Bernhard Büttner und Arthur Worbes, verfolgt den kühnen Plan, Meeresalgen nachhaltig und in europäischen Gewässern zu kultivieren. Das technische Konzept wurde 2022 unter anderem mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis, dem if Design Talent Award und dem C-IDEA Award ausgezeichnet. Noch hat das Team kein eigenes Unternehmen gegründet, treibt das Vorhaben aber mit großem Engagement voran. Und vernetzt sich innerhalb der maritimen Szene außerhalb von Berlin.
Der Prototyp soll Ende 2023 in Kiel ins Wasser gehen
Die besagte maritime Szene fand man beispielsweise in Kiel, wo das Team derzeit an einem 1:1 Prototypen arbeitet. Er soll bis Ende 2023 im Wasser schwimmen: ein Meilenstein im Projekt. Dass Forschungsinstitute im Bereich der Makroalgen-Kultivierung großes Interesse an ihrem neu entwickelten Anbausystem zeigen, freut das Team besonders. Überhaupt begegne man ihrer ebenso ungewöhnlichen wie neuen Idee der nachhaltigen Algenkultivierung nicht nur in Kiel, sondern auch andernorts sehr offen, lassen sie die letzten zwei Jahre Revue passieren.
Begonnen hat alles in einem Studienprojekt
Begonnen hatte alles im Wintersemester 2020/21 mit der Aufgabenstellung „Die Zukunft der Agrarindustrie im Jahr 2050“ im Hauptprojekt von Prof. Jan Vietze. An Land geht nicht mehr viel, gewannen die drei Studierenden den Eindruck. Bereits jetzt belegt die Landwirtschaft weltweit 40 Prozent des Festlands und beansprucht überdies enorm viel Trinkwasser. So kamen sie auf Algen: Die werden im Meer gezüchtet, verbrauchen weder Landflächen noch Süßwasserressourcen, auch Düngemittel sind nicht nötig, da in vielen Meeresregionen genug Nährstoffe vorhanden sind. „Deshalb gehört der Algenanbau zu den nachhaltigsten Arten der Pflanzenkultivierung“, kann man lesen. „Wie genau Algen gezüchtet werden, davon hatten wir damals allerdings noch wenig Ahnung“, erinnern sich Ony Yan, Arthur Worbes und Bernhard Büttner lächelnd.
Ein neues Konzept für die Kultivierung von Algen
Also fingen sie an, sorgfältig zu recherchieren, wälzten Fachliteratur, machten sich in der Branche kundig. Die Konzeptphase sei lang gewesen, erzählen sie. Aber von Erfolg gekrönt: Die drei angehenden Industriedesigner*innen entwickelten einen völlig neuen Ansatz: Algenarten, die nicht auf gängigen Langleinen oder Netzen wachsen können, sollten mit einem skalierbaren Rahmensystem kultiviert werden. Momentan werden diese Arten, wie z.B. Blasentang, nur aus Wildfang geerntet. Die große Nachfrage, die jährlich um sieben bis zwölf Prozent steigt, lässt sich damit kaum befriedigen. Denn Algen werden nicht nur primär für die Gelbildung in der Lebensmittelindustrie genutzt, sondern können vielfältig eingesetzt werden: für Futtermittel, Kosmetikprodukte, Verpackungen, Textilien oder als Biokraftstoffe.
Ausgezeichnet mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis
Das Trio nannte sein Algenkultivierungskonzept „Cerberus Seaweed Systems“. Es besteht aus punktuell verankerten Bojen mit höhenverstellbaren Anbauspeichen, einem Erntefahrzeug, das die Algen von den Bojen trennt und autonom transportiert, sowie einem zentral im Algenfeld geankerten Mutterschiff, in dem die Algenmasse zwischengelagert wird. „So nutzen wir die stark begrenzten Küstengebiete effizient, sorgen für kürzere Wegstrecken und erhöhte Erntekapazitäten“, erläutern sie ihr technisches Konzept, das 2022 mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis in der Kategorie „Visionen“ ausgezeichnet wurde.
Kickstart-Stipendium für die Weiterentwicklung
Ein Kickstart-Stipendium der HTW Berlin half, das modulare System stetig weiter zu entwickeln und ein Netzwerk aufzubauen, das bei der praktischen Umsetzung half. Nicht alles ließ sich verwirklichen. Die Hoffnung beispielsweise, dass „Cerberus“ aus rein ökologischem Material gefertigt werden kann, ging nicht in Erfüllung. Denn Salzwasser lässt organischem Material keine Chance. Die Bojen von Cerberus werden aus Kunststoff sein, das Ringschellensystem aus seefähigem Aluminium. Doch anders als die bereits erwähnten Kunststoffleinen können die Module lange im Einsatz bleiben und anschließend recycelt werden. Der ökologische Fußabdruck von Cerberus ist also deutlich kleiner. Fest steht, dass sich das System einfach skalieren lässt und mit verschiedenen Modulen auch für verschiedene Algenkulturen nutzbar sein soll, je nachdem, in welchem Gewässer und mit welchen Substraten gezüchtet wird.
Inzwischen ist Verstärkung im Team
Längst haben die drei Industriedesigner*innen Verstärkung bekommen: Mit im Team sind nun der Ingenieur Alexander Lempp sowie die Biotechnologin Dr. Marion Zenthoefer, die jahrelange Erfahrung in der Taxonomie und Algenverwertung besitzt. Auf den Test des Prototypen Ende 2023 sind alle gleichermaßen gespannt. „Es macht total Spaß, endlich mit eigenen Augen zu sehen, worüber man lange nachgedacht hat“, sagt Bernhard Büttner. Wie das ablaufen wird? „Einfach rein ins Wasser“, lacht Ony Yan. Und winkt gleich ab. So einfach sei es natürlich nicht. Derzeit planen sie den genauen Versuchsaufbau. Und definieren die nächsten Ziele, die sie erreichen wollen. Sie müssen beispielsweise herausfinden, wie sich der Prototyp im Wellengang verhält, wie gut sich das entwickelte Substrat mit Algen beimpfen lässt und welches Küstengebiet zur Verfügung steht.
Schritt für Schritt in Richtung Startup
Schritt für Schritt geht es mit Cerberus Seaweed Systems weiter, so langsam wie nötig und so schnell wie möglich. Noch muss Zeit und Geld in das Projekt investiert werden, auch die Anmeldung des Europäischen Patents gab es nicht zum Nulltarif. Deshalb sind alle Beteiligten auf andere Einnahmequellen angewiesen. Doch der Spirit des Teams ist ungebrochen. Momentan bewirbt es sich beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz um ein EXIST-Gründungsstipendium. In nicht allzu ferner Zukunft, so die Hoffnung, wird das Bojensystem von Cerberus nach ihren Plänen von einem Unternehmen in größeren Stückzahlen produziert und von Algenfarmen in jenen kühlen, europäischen Gewässern genutzt, in dem die Pflanzen so gut gedeihen. Dann wäre das Projektziel erreicht: maritime Algenkultivierung - ein System für alle.