Programmieren lernen von null auf hundert
Der Fachkräftemangel in der IT ist eklatant und Frauen sind in der IT-Branche nach wie vor unterrepräsentiert. Das Bestreben, diesem Ungleichgewicht entgegenzuwirken, führte an der HTW Berlin zu einem Informatik-Studiengang, der ausschließlich Frauen vorbehalten ist. „FIW“ steht für den „Frauenstudiengang Informatik und Wirtschaft“. Dieser Studiengang wirbt explizit damit, dass gegenseitige Unterstützung und Teamarbeit im Studium groß geschrieben wird und dass moderne sowie flexible Lehr- und Lernmethoden eingesetzt werden, um die Vereinbarkeit von Studium sowie Arbeits- und Privatleben zu fördern. Beides zeigt sich auch in den Kursen von Prof. Dr.-Ing. Jörn Freiheit, der im ersten und zweiten Semester Programmieren unterrichtet. Nun wurde seine Lehrveranstaltung mit dem Preis für gute Lehre 2022 ausgezeichnet. Im Interview stellt der Professor sein Lehrkonzept genauer vor.
Was ist das Besondere an den Teilnehmerinnen und Ihrer Lehrveranstaltung im Allgemeinen?
Freiheit: Von vielen Frauen höre ich, dass sie sich ohne diesen besonderen Studiengang nicht für ein IT-Studium entschieden hätten. Das bestätigt auch unsere Umfrage unter den Erstsemestlerinnen. Viele kommen auf persönliche Empfehlung ehemaliger Studentinnen, was uns natürlich ganz besonders freut! Ein großer Anteil der Teilnehmerinnen hat vorher schon einen anderen Beruf ausgeübt und erhofft sich durch den Wechsel in die IT bessere berufliche Perspektiven. Ich beginne daher wirklich bei null und lege viel Wert darauf, dass die Studentinnen von vornherein an der Tastatur sitzen und Code schreiben. Denn Programmieren lernt man, wie eine neue Sprache durch Sprechen, nur durch Programmieren! Am Anfang passieren natürlich Fehler, was sehr frustrierend sein kann. Aber gerade daraus lernt man das allermeiste. Um zu viel Frust zu vermeiden, empfehle und propagiere ich aktiv, dass Aufgaben gemeinsam bearbeitet werden.
Es wird also viel programmiert. Sind das reale Aufgaben aus der Praxis?
Freiheit: Meine Lehrveranstaltung bleibt eher theoretisch. Es geht um generelle Programmierkonzepte, die unabhängig von konkreten Programmiersprachen gelten. Das ist aber tatsächlich auch eine bewusste Entscheidung – es geht ja um eine Grundlagenausbildung. Da wäre es eine Überforderung, wenn z. B. schon eine größere Software erarbeitet werden müsste. Programmieren ist eine neue Art zu denken und es müssen erst einmal Erfahrungen gesammelt werden. Praxisprojekte und Exkursionen zu IT-Firmen kommen dann in den höheren Semestern, sodass wir insgesamt einen sehr hohen Anteil an Praxiskooperationen im Studiengang haben.
Der Studiengang wirbt mit interaktiven Lern- und Lehrmethoden. Wie sehen die bei Ihnen konkret aus?
Freiheit: In meiner Vorlesung stelle ich pro Woche zunächst ein bestimmtes Problem und das dazu passende Programmierkonzept vor, mit dem die Lösung für die Problemfrage gefunden werden kann. Seit Corona nutze ich dafür keine Powerpoint-Folien mehr, sondern ein interaktives Skript – das im Grunde eine Website ist. Dieses Skript ist die „Wissensbasis“. Es ist immer verfügbar, auch und besonders in asynchronen Selbstlernphasen, und es enthält viele Code-Beispiele, Bilder und Videos, sodass das Wissen sehr anschaulich vermittelt wird. Nach meinem Input schließt sich direkt eine Übungsphase an, sodass Fragen, zu denen ich die Teilnehmerinnen immer sehr ermutige, unmittelbar beantwortet werden können – gerne auch durch andere Studierende, um die Kommunikation untereinander zu fördern.
Auch beim Programmieren wird zusammengearbeitet. Entweder, eine Teilnehmerin schreibt vorne am Beamer-PC und alle anderen erarbeiten gemeinsam die Lösung, oder es bilden sich Paare für das „Pair-Programming“, bei dem alle zehn Minuten zwischen Tippen und Denken gewechselt wird. Lediglich die wöchentliche Aufgabe soll jede Studentin selbstständig lösen, wobei es auch hier Hilfestellung durch ein Frage-Antwort-Forum und ein Tutorium gibt.
Also halten Sie sich nach dem Input eher zurück und lassen die Gruppe agieren? In welcher Rolle sehen Sie sich als Lehrperson in Ihrer Veranstaltung?
Freiheit: Als Lehrender biete ich größtmögliche Unterstützung für den Lernprozess. Ich wähle die Themen aus, bereite sie umfangreich und aus mehreren Perspektiven auf und unterbreite ein permanentes Unterstützungsangebot. Das gelingt einerseits durch die Bereitstellung des Skriptes und andererseits durch die Moderation des Diskussionsforums. Vor allem aber empfinde ich eine hohe Verfügbarkeit als unerlässlich und selbstverständlich. Die Studentinnen wissen, dass ich immer für sie ansprechbar bin – natürlich auch während der Übungsphasen. Das gehört für mich zum respektvollen Miteinander und es zeigt, dass Fragen absolut erwünscht sind.
Wie geben Sie den Studierenden Feedback zum Lernfortschritt?
Freiheit: Die Lösungen der Wochenaufgabe müssen in Moodle hochgeladen werden. Außerdem muss jede Studentin drei fremde Lösungen begutachten. Feedback kommt also auch von den anderen Teilnehmerinnen. Dieses sogenannte Peer-Review hilft gleichzeitig auch derjenigen, die das Feedback erstellt, einen Einblick in andere Lösungswege zu bekommen. Zudem beginnt jede Vorlesung mit einem kurzen Blitzlicht zur aktuellen Aufgabe, bei dem Probleme besprochen und Fragen geklärt werden. Dabei ist es mir sehr wichtig, dass Fragen auch beantwortet werden, wenn sie zum wiederholten Mal gestellt werden – dafür wurde ich von Teilnehmerinnen sogar schon kritisiert. Aber es geht mir eben nicht darum, so schnell wie möglich so viel wie möglich zu lernen, sondern darum, dass das Gelernte wirklich gut verstanden wird.
Wenn Sie den Fokus auf Qualität statt Quantität legen: Wie schaffen Sie es, dass am Ende des Semesters inhaltlich nichts „fehlt“?
Freiheit: Da bin ich in einer komfortablen Lage: Die IT ist so ein dynamisches Fachgebiet, dass mein Anspruch nicht darin bestehen kann, jedes Programmierkonzept, das gerade existiert, zu vermitteln. Das ändert sich viel zu schnell! Ich möchte meine Studentinnen viel mehr befähigen, sich selbst neue Konzepte erarbeiten zu können. Das ist auch ein wesentlicher Aspekt der späteren beruflichen Tätigkeit. Mein Skript muss ich dadurch allerdings jedes Semester aufs Neue überarbeiten. Mein Wunsch für die Zukunft wäre, dass die Lehrveranstaltung sich noch mehr zu einem Flipped-Classroom-Konzept entwickelt, sodass die Studentinnen sich die Inhalte vorher erarbeiten, sich gegenseitig erklären und ich noch mehr zum Berater werde.
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