In drei Stunden das Virus identifizieren…
Das Projekt „COVID-SpiNGS“ wird die Menschheit nicht vor der Dynamik der Corona-Pandemie retten. Da macht sich Prof. Dr.-Ing. Piotr Dabrowski keine Illusionen. Doch Viren wie Covid 19 könnten in nicht allzu ferner Zukunft sehr viel gezielter bekämpft werden. Daran arbeitet der Bioinformatiker der HTW Berlin gemeinsam mit der Universität Freiburg und dem Forschungs- und Entwicklungsdienstleister Hahn-Schickard. Das Ziel: Nasenabstriche oder Speichelproben in herkömmlichen Arztpraxen untersuchen zu können und binnen zwei bis drei Stunden Klarheit darüber herzustellen, um welches Virus bzw. welche Virusvariante es sich handelt. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aus dem Förderprogramm „Industrielle Gemeinschaftsforschung“ gefördert.
Mutationen erkennen, Infektionswege verfolgen
Wenn man Mutationen schnell erkennt, könnte man Aussagen beispielsweise darüber treffen, wer wen angesteckt hat, also den Infektionsweg rekonstruieren. Und man könnte erkennen, welche neuen Virusvarianten gerade auf dem Vormarsch sind. „Dadurch würde eine evidenzbasierte Gesundheitspolitik möglich“, sagt Prof. Dr.-Ing. Dabrowski. Man könnte Maßnahmen ergreifen, die mit geringstmöglichen Einschränkungen den größtmöglichen Effekt erzielen. Wer würde sich dies im Augenblick nicht wünschen?
Derzeit hilft nur ein PCR-Test im Labor
Derzeit kann nur ein PCR-Test Gewissheit darüber geben, ob sich ein Mensch mit dem Corona-Virus infiziert hat bzw. mit welcher Variante. Allerdings muss dieser PCR-Test im Labor durchgeführt werden, denn bei der dafür nötigen Extraktion der Virus-RNA, also des Genoms, herrscht akute Ansteckungsgefahr. Selbst das Genom selber, ohne umhüllendes Viruspartikel, kann ansteckend sein. Labore und Forschungseinrichtungen müssen daher hohe Sicherheitsstandards einhalten. Für die Detektion neuer Varianten ist zudem eine Sequenzierung mit relativ teuren, empfindlichen und wartungsintensiven Zusatzgeräten nötig.
Doch es gibt neue Geräte
Technische Innovationen eröffnen freilich inzwischen neue Optionen. Im Projekt „COVID-SpiNGS“ wird mit dem Gerät „MinION“ gearbeitet. Es ist etwa so groß wie eine schmale Streichholzschachtel und hat sich im Zusammenhang mit der Ebola-Pandemie bereits in mobilen Diagnostikzentren in Afrika bewährt. Als derzeit einziges tragbares Gerät ermöglicht es die Sequenzierung von DNA und RNA in Echtzeit. „Das Gerät ist in punkto Preis, Robustheit und Größe wirklich für den Einsatz in Arztpraxen geeignet“, sagt Prof. Dr.-Ing. Dabrowksi.
Kein Sicherheitslabor mehr nötig
Die Probenaufbereitungstechnologie der Partner erlaubt zudem die mobile RNA-Extraktion ohne Sicherheitslabor. Die sogenannte SpinDisk, auf der komplette Laborprozesse in kleinen Kanälen einer CD-artigen Scheibe abgebildet werden können, ist nämlich völlig abgeschlossen. Das bedeutet: Die potenziell ansteckende Virus-RNA kann nicht austreten und niemandem gefährlich werden.
Analyse-Algorithmen müssen entwickelt werden
Der wissenschaftliche Part von Prof. Dr.-Ing. Dabrowski ist es, die zu diesen innovativen Technologien passenden Analyse-Algorithmen zu entwickeln und zu testen. Das ist im Projektzeitraum bis 2023 zu schaffen, ist er zuversichtlich. Sein Team hat er inzwischen zusammengestellt, was nicht einfach war, denn Bioinformatiker_innen sind Mangelware. Mit herkömmlichem Informatik-Know how ist es nicht getan, sondern man braucht viel biologisches Verständnis.
Nicht größer als ein Reisekoffer
Die Vision aller am Forschungsprojekt Beteiligten: Die Entwicklung eines Geräts in der Größe eines Reisekoffers, mit Laborgeräten und Rechentechnik, das nicht mehr als 20.000 bis 30.000 Euro kostet. Mit ihm wäre der bislang nur im Labor mögliche, teure und komplexe Prozess der Entschlüsselung des Virusgenoms direkt in der Arztpraxis realisierbar. Im Projekt entstehen soll ein funktionsfähiger Prototyp. In die eigentliche Produktentwicklung müssten später Unternehmen einsteigen.
Bei Bedarf ein Update der Software
Die avisierten Geräte würden nicht nur den Umgang mit einer Pandemie erleichtern, weil viel mehr Diagnosekapazitäten zur Verfügung stünden. Dies allein wäre schon viel wert. Vielmehr würde die Sequenzierung für die RNA jedes Virus funktionieren. „Wenn also das nächste Virus vor der Tür steht, wäre die technische Infrastruktur bereits vorhanden und ein Software-Update würde genügen, um die Bekämpfung zu starten“, sagt Prof. Dr.-Ing. Dabrowski.
Rüstzeug für die nächste Pandemie
Gerade diese Möglichkeit hält der Bioinformatiker für besonders bedeutsam. Denn nach der Pandemie ist vor der Pandemie, ist seine feste Überzeugung. Gefährliche Viren, die von Wildtieren auf den Menschen überspringen, dürften in dem Maße immer öfter auftauchen, in dem Menschen zunehmend in die Lebensräume von Wildtieren eindringen und diese zerstören. Angesichts der globalen Vernetzung können sie sich zudem rasend schnell verbreiten. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts „COVID-SpiNGS“ werden dazu beitragen, dieser Gefahr besser zu begegnen.