Die vegane Ernährung ist am klimafreundlichsten
Die Empörung war groß, als Bündnis 90/Die Grünen vor beinahe zehn Jahren im Vorfeld der Bundestagswahl vorschlugen, einen „Veggietag“ in öffentlichen Kantinen einzuführen, um den Fleischkonsum in Deutschland zu reduzieren. Heute würde das nicht mehr passieren, ist Prof. Dr. Jan Wirsam überzeugt. Vegane Ernährung genieße deutlich größere Akzeptanz. Aus guten Gründen, sagt der Wirtschaftswissenschaftler, zu dessen Fachgebieten auch die pflanzenbasierte Wertschöpfung zählt. Anlässlich des Weltvegantages am 1. November haben wir mit ihm über das Thema gesprochen.
Ihr spontanes Statement zum Weltvegantag?
Prof. Dr. Jan Wirsam: Ein guter Tag. Aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht und aus Gründen der Nachhaltigkeit sollten alle 365 Tage des Jahres Vegantage sein. Denn die vegane Ernährung ist am klimafreundlichsten.
Wie kommen Sie zu dieser Überzeugung?
Ich habe in den letzten vier Jahren mit dem Ernährungswissenschaftler Prof. Dr. Claus Leitzmann 20 Lebensmittelgruppen untersucht, darunter u.a. Getreide, Gemüse, Obst, Gewürze, Fleisch, Fisch, Milch und Eier, die gesamte Palette. Wir haben die Klimabelastungen betrachtet, die CO2-Emissionen, den Wasserbedarf und den Flächenverbrauch. Außerdem haben wir die damit verbundene Kalorienzufuhr berechnet und Ernährungsstile weltweit miteinander verglichen. Wir fanden bestätigt, was in vielen anderen Studien schon erkannt worden ist: Die vegane Ernährung ist am klimafreundlichsten.
Welche weiteren Erkenntnisse haben Sie gewonnen?
Die Klimabelastung durch Fleisch ist ja hinlänglich bekannt. Doch ich konnte große Unterschiede sehen. Ein Rind wird 15 bis 18 Monate gemästet; es braucht also enorm viel Futter und Wasser, ehe es geschlachtet und der Menschen mit Kalorien und Proteinen versorgt werden kann. Anders schaut es bei Schweinen aus, die nur 120 Tage gemästet werden, oder gar bei Geflügel, wo das im Schnitt nur 30-35 Tage dauert. Umweltbelastung und Kosten variieren also erheblich, je nachdem, welches Fleisch produziert und konsumiert wird.
Überrascht hat mich die hohe Klimabelastung, die Milch und Käse verursachen. Das liegt daran, dass es sehr energieintensive Prozesse wie die Ultrahocherhitzung gibt, um Keime abzutöten und die Ware länger haltbar zu machen. Dabei wird sehr viel Energie verbraucht.
Erstaunlich hoch war auch der Anteil der Aqua-Kulturen beim Fisch. Inzwischen stammt jeder zweite Fisch aus einer Aqua-Kultur.
Vegane Ernährung ist also klimafreundlich. Und sonst?
Sie trägt neben der planetaren Gesundheit auch zur menschlichen Gesundheit bei. Es reicht, einen Blick auf die weltweite Entwicklung des Body-Mass-Index, kurz BMI, zu werfen, also die gebräuchlichste Formel zur Bewertung des menschlichen Körpergewichts. In den USA werden 100 Kilogramm Fleisch pro Kopf und pro Jahr verzehrt. Dort hat man ein großes Problem mit Adipositas. In diesem Zusammenhang kann man durchaus von Gesundheitsarmut sprechen.
Vegane Ernährung ist außerdem wirtschaftlicher. Die größere Wirtschaftlichkeit wird leider oft übersehen, tritt aber deutlich zutage, wenn die Absatzmengen stark steigen. Tatsächlich ist es rationaler und effizienter, pflanzliche Produkte zu verarbeiten, weil dabei weniger Energie eingesetzt werden muss. Der Prozess der Fleischherstellung ist hingegen sehr langwierig, ich hatte es ja bereits erwähnt. Der Großteil der Fleischkonzerne verwandelt sich aktuell zu Proteinherstellern und investiert Milliarden in die Verarbeitung pflanzlicher Proteine.
Nehmen Sie Veränderungen in der Gesellschaft wahr?
Auf jeden Fall. Demnächst stellen beispielsweise alle Schulen in Freiburg auf vegetarische Ernährung um. Auch das Angebot in den Berliner Mensen ist heute ein anderes als vor zehn Jahren. Das Thema pflanzenbasierte Ernährung - das ist ja nicht dasselbe wie vegetarische Kost - kommt mehr und mehr in der Mitte der Gesellschaft an. Es wird zwar noch nicht in der Breite akzeptiert, aber auch hier findet ein Wandel statt, bei Verbraucher*innen genauso wie im Handel und in der Gastronomie. Das Unternehmen Rügenwalder Mühle macht heute mit pflanzenbasierten Produkten bereits mehr Umsatz als mit tierischen Produkten.
Wie ernähren wir uns in Zukunft?
Auf diese elementare Frage müssen wir mit Blick auf unsere Klimabilanz eine gute Antwort geben. Wir brauchen bessere Anreizsysteme für eine nachhaltigere und gesündere Ernährung der Menschheit. In den letzten Jahrzehnten ist politisch zu wenig passiert. Ich denke da auch an die Umgestaltung des Subventionssystems der Europäischen Union durch die gemeinsame Agrarpolitik.
Wer muss handeln?
Politik, Handel und Industrie sowie Verbraucher*innen sind die wichtigsten Akteure. Die Politik kann schnelle Veränderungen hervorrufen, wenn sie es denn will. Nur ein Beispiel: Kuhmilch hat einen ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent, wohingegen Hafer-, Mandel und Sojamilch mit 19 Prozent besteuert werden: eine klare staatliche Benachteiligung. Bei der Mehrwertsteuer sollte man mittelfristig auch auf Klimaauswirkungen achten.
Industrie und Handel orientieren sich an Gewinnmargen. Das kann sich zu Gunsten von pflanzenbasierten Produkten auswirken. Über den betriebswirtschaftlichen Aspekt hatte ich ja schon gesprochen. Bei Fleisch und Milch ist die Gewinnmarge inzwischen gering, bei pflanzenbasierten Lebensmitteln noch deutlich höher. Auch deshalb hat der Handel diese Produkte so bereitwillig ins Sortiment aufgenommen.
Bei Verbraucher*innen kann die Umstellung schnell gehen. Pflanzenbasierte Burger, um ein Beispiel zu nennen, werden gerne gekauft, wenn sie schmecken. Und wenn der Preis stimmt sowie Verpackung und Marke gefallen.
Welche Folgen hätte ein veganer Lebensstil?
In der Landwirtschaft überwiegend positive: Über 90 Prozent des in Brasilien und Argentinien angebauten Mais wird an Tiere verfüttert. Würden dort pflanzenbasierte Produkte angebaut, käme man mit weniger Flächen aus und müsste nicht so viele Wälder abholzen. Auch in anderen Ländern wäre eine Abnahme von Monokulturen von Vorteil, weil Mischkulturen der Bodenfruchtbarkeit nutzen. In der Futtermittelindustrie würde es hingegen Verluste geben. Sie ist derzeit geprägt von wenigen Profiteuren, die auch einen großen Einfluss auf Politik haben. Dort müsste man neue Ertragsmodelle entwickeln. Aber: Es geht in Summe nicht um sehr viele Arbeitsplätze.
Wie schnell werden sich Veränderungen ergeben?
Das kommt auf die Rahmenbedingungen an. Die Bevölkerung wächst weltweit und der Fleischkonsum nimmt deshalb zu, auch wenn das pflanzenbasierte Lebensmittelsegment gleichzeitig an Bedeutung gewinnt. Doch ich bin optimistisch. Die Politik scheint sich Schritt für Schritt zu bewegen, Handel und Gastronomie ebenso. Jetzt werden die Weichen für die Zukunft gestellt.