Carbon kann die Ökobilanz von Bauwerken verbessern
„Beton. Es kommt darauf an, was man daraus macht.“ So lautete der Slogan der Bauindustrie in den 70ern. 50 Jahre später ist das zwar noch richtig: „Beton ist ein guter Baustoff und er ist kostengünstig“, sagt Max Gerber, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der HTW Berlin. Richtig ist aber auch, dass weltweit zu viel Kohlendioxid in die Luft gepustet wird, der Klimawandel voranschreitet und die Bauindustrie daran maßgeblichen Anteil hat. „Beinahe ein Fünftel der weltweiten CO2-Emissionen gehen auf das Konto der Industrie, angeführt von der Stahl- und der Zementindustrie; diese beiden Branchen sind ihrerseits für die Hälfte des industriellen CO2-Ausstoßes verantwortlich“, rechnen Sarah Vonk und Max Gerber in ihrem Beitrag in der Zeitschrift der Baukammer Berlin vor (Ausgabe 01/2021). Statt Stahlbeton könnte ein umweltverträglicherer „Carbon-Verbund-Beton“ zum Einsatz kommen. Ob das in der Praxis wirklich möglich ist, prüfen Prof. Dr.-Ing. Andreas Heuer, Prof. Dr.-Ing. Alexander Taffe und ihre beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter in einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit dem Praxispartner, der Betonwerk GmbH Milmersdorf. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aus dem Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand gefördert.
Kohlenstofffasern statt Stahl
Bei Carbonbeton wird die sogenannte „Bewehrung“ aus Stahl durch Matten oder Stäbe aus Kohlenstofffasern ersetzt. Mitunter ist deshalb auch von „Textilbeton“ die Rede. Zumindest in der Wissenschaft ist das innovative Material nicht neu. Die Carbonbeton-Technologie wurde 2017 sogar mit dem Green Product Award ausgezeichnet. Doch in der Praxis zum Einsatz kommt sie bis dato kaum, sagt Max Gerber. Der Master-Absolvent des Studiengangs Bauingenieurwesen der HTW Berlin kennt nur wenige Prototypen von Bauwerken aus Carbonbeton, die auch größere Lasten aushalten. Genau diese Herausforderung haben das HTW-Team und der mittelständische Kooperationspartner im Blick. Im Forschungsprojekt nehmen sie Fertigteildecken für den Geschosswohnungsbau unter die Lupe. Fertigteildecken, wie sie seit knapp 30 Jahren nahezu unverändert in der Betonwerk GmbH im uckermärkischen Milmersdorf hergestellt werden.
Vorteile nicht in allen Bereichen
Der Wechsel von Stahlbeton zu Carbonbeton könnte eine beträchtliche Materialersparnis bringen sowie den Energiebedarf und den CO2-Ausstoß deutlich senken. Beides würde die Ökobilanz der Bauteile verbessern, selbst wenn für die Herstellung von Carbon derzeit noch Erdöl genutzt wird. Doch so leicht wird der Wechsel von dem einen zum anderen Material nicht sein, wissen die HTW-Forscher nach diversen praktischen Versuchen in den gut ausgestatteten Laboren des Studiengangs Bauingenieurwesen. „Unser Maximalziel, die Fertigteildecken aus Stahlbeton komplett durch solche aus Carbonbeton zu ersetzen, werden wir wahrscheinlich nicht erreichen“, weiß Max Gerber nach zwei Jahren Forschung. Denn nicht in allen Bereichen, wie dem Verformungsverhalten oder dem Brand- und Schallschutz, bietet der Baustoff Vorteile. Aber es sei grundsätzlich gelungen ein funktionierendes Fertigteil zu entwickeln und durch neue Ansätze einen effizienteren Materialeinsatz zu ermöglichen, das Bauteil also umweltfreundlicher zu gestalten. Beispielsweise kam ein neuartiger Schichtaufbau als Kombination aus einem hochfesten Hightech Beton mit einem einfachen, deutlich weniger zementhaltigen Kernbeton zum Einsatz.
Belastungstest beim Unternehmenspartner
Den Abschluss des Projekts bildet ein Belastungstest, für den eigens verschiedene Varianten als große Prototypen der neuen Fertigteilelemente direkt im Betonwerk Milmersdorf gegossen, ausgeschalt und dann aufgestellt werden. Für die Labore des Studiengangs auf dem Campus Wilhelminenhof wären die sieben Meter langen und ein Meter breiten Teile zu groß. Mit Messuhren werden die Wissenschaftler deren Verformung aus der Ferne überwachen. Denn das Problem bei Decken aus Carbonbeton ist nicht die Tragfähigkeit, sondern die Tatsache, dass sie sich stärker durchbiegen als Stahlbeton. „Das macht Menschen natürlich Angst“, lächelt Max Gerber, auch wenn kein Sicherheitsrisiko besteht.
Kein Ersatz, aber ein optimiertes Produkt
Fazit des mehr als zweijährigen Forschungsprojekts: Carbonbeton wird den Stahlbeton nicht im großen Stil ersetzen können. „Zumindest ist das zum gegenwärtigen Zeitpunkt wirtschaftlich nicht abzubilden“, resümiert Max Gerber. Doch die Ausgangsstoffe lassen sich definitiv effizienter einsetzen und die Fertigteilbetondecken optimieren, weshalb nicht zuletzt das Betonwerk Milmersdorf nunmehr besser aufgestellt ist und mehr Aufträge annehmen kann. Max Gerber wird sich als wissenschaftlicher Mitarbeiter dem nächsten Projekt zuwenden: Wie lassen sich faserverstärkte Kunststoffe alter Windenergieanlagen in Beton nutzen? Denn dieser Baustoff liegt dem studierten Bauingenieur eben am Herzen.