Tipps gegen Corona-Angst
#1 Angst ist eine nützliche Emotion.
Sie warnt uns vor einer Bedrohung. Sie hilft uns, eine Situation sekundenschnell einzuschätzen und darauf zu reagieren. Wenn die Bedrohung nicht oder nur eingeschränkt zu verändern ist, geht es darum, die Angstreaktion wieder herunter zu regulieren.
Doch was ist Angst überhaupt? Sie ist eine emotionale Reaktion auf eine Bedrohung. Sie hat eine Alarmfunktion. Das heißt: Sie aktiviert Körper und Geist sekundenschnell, um auf eine wahrgenommene Gefahr zu reagieren. Und der Corona-Virus stellt eine ernsthafte Bedrohung für die Gesundheit vieler Menschen und somit unsere Gesellschaft dar. Wie jede Emotion beinhaltet die Angst einfache, impulsive Handlungsanweisungen: Kampf oder Flucht, fight or flight. Also die Bedrohung bekämpfen oder weglaufen. Im Falle von Corona ist dies jedoch nicht realistisch. Wir können uns vor dem Virus nicht verstecken und wir können es nicht auslöschen. Wenn wir das trotzdem „krampfhaft“ weiter versuchen, äußert es sich in irrationalen, übersteigerten Verhaltensweisen. Diese haben den Effekt, die Angst aufrecht zu erhalten und uns weiter im Alarmzustand zu halten. Die eigentliche Bedrohung bleibt davon unberührt. Den Verhaltensreaktionen vorgeschaltet sind automatische Gedanken und Bewertungen, die die Situation als Bedrohung einstufen. Wenn die Bedrohung nicht schnell aus dem Weg zu schaffen ist – was im Falle von Corona zutrifft – geht es darum, unsere körperliche und psychische Alarmreaktion wieder etwas „herunter zu fahren“, um nicht dauerhaft in einer Alarmreaktion zu bleiben. Denn das kann krankmachen. Hier setzen Methoden der Angstregulation an. Das setzt voraus, dass wir eine „Restangst“ akzeptieren und aushalten lernen. Ab morgen stellen wir euch solche Methoden vor, also stay tuned und bleibt gesund!
#2 Informiere dich und verhalte dich entsprechend.
Nicht in übersteigerte, irrationale Verhaltensweisen fallen. Es ist wichtig, sich zu informieren und den Handlungsempfehlungen der Expert_innen zu folgen.
Angst führt ganz automatisch zu zwei möglichen Verhaltensweisen: kämpfen oder fliehen. Mit dem Ziel, die Bedrohung möglichst schnell und effektiv zu beseitigen. Bei übermäßiger Angst können diese Verhaltensweisen übersteigert werden. Was lediglich den Effekt hat, die Angst aufrecht zu erhalten und uns weiter im Alarmzustand zu halten. Achte deshalb bei dem, was du tust, auf Verhältnismäßigkeit. Hamsterkäufe beispielsweise als Ausdruck eines übersteigerten Wunsches, sich gegen das Virus abzusichern oder komplettes Einigeln in die eigenen vier Wände als Ausdruck eines übersteigerten Versuchs, sich vor dem Virus zu verstecken – beide Verhaltensweisen ändern nichts an der tatsächlich existierenden Bedrohung und führen dazu, dass du noch ängstlicher wirst. Verhältnismäßig ist es, den Empfehlungen der Expert_innen zu folgen und sich demenstprechend zu verhalten. Und damit das Risiko von Neuansteckungen zu reduzieren (und nicht auf Null zu reduzieren). Also konkret zu schauen, wie die Geschwindigkeit der Verbreitung des Virus in der Bevölkerung abgebremst werden kann. Dazu zählen Abstand halten, nur noch notwendige Gänge erledigen, nicht in Gruppen versammeln.
#3 Struktur beibehalten.
Plane deine Tage, bleibe bei regelmäßigen Zeiten und sorge für einen ausgewogenen Tag. Dabei kann ein Tages- oder Wochenplan in schriftlicher Form helfen.
Struktur gibt uns das Gefühl, den Überblick zu haben und Dinge vorhersehen zu können. Das reduziert Angst. Gerade verlieren wir rasch und umfassend unsere gewohnte Struktur. Umso wichtiger ist es, uns selbst eine bestimmte Struktur beizubehalten bzw. zu geben. Überlege dir, wie viel Zeit du täglich für die Arbeit und/oder das Studium von zu Hause aufbringen kannst und willst. Geistige Tätigkeiten sollten sich nie über mehr als 6-8 Stunden pro Tag erstrecken, länger kannst du nicht effektiv arbeiten. Diese Arbeitszeit sollte durch regelmäßige Pausen unterbrochen werden. Lege am besten Zeitabschnitte fest, in denen du arbeiten willst und definiere deine Arbeitsaufgaben so konkret wie möglich. Das gibt dir gleichzeitig die Möglichkeit, Fortschritte zu sehen, was sehr motivierend sein kann. Außerdem motivieren uns kleine Belohnungen, die Arbeits-/Lernerfolge verstärken können. Das kann auch ein innerliches „Das hast du gut gemacht“ sein oder ein Stück der Lieblingsschokolade. Wichtig: Nimm dir nicht zu viel vor! Es ist eine außergewöhnliche Situation, in der du nicht von dir erwarten kannst, hundertprozentig leistungsfähig zu sein. Für deine freie Zeit ist es ebenfalls hilfreich, ein bisschen zu planen, damit du sie auch wirklich zum Auftanken nutzen kannst. Dazu findest du im nächsten Beitrag Anregungen. Wichtig: Begrenze Medienzeit.
#4 Tue dir etwas Gutes.
Je höher unsere Grundanspannung, umso leichter können uns Ereignisse aus der Bahn werfen. Daher ist es sinnvoll, etwas für die eigene Grundentspannung zu tun.
Überlege dir, welche Aktivitäten dir zuvor Spaß gemacht haben und welchen du jetzt nachgehen kannst (zum Beispiel malen, Handarbeiten/Heimwerkern/kreatives Gestalten, lesen, bestimmte Spiele spielen, Musik machen, schreiben usw.). Dabei solltest du keine Angst vor Langeweile haben – wenn wir durch diese durchgehen, entstehen die kreativen Ideen! Möglichkeiten, die sonst für eine angenehme Zerstreuung gesorgt haben, wie Kino, Theater, Konzerte etc. sind leider derzeit nicht möglich. Daher gibt es bereits zahlreiche kulturelle Angebote online (twitter.com/streamkultur). Nutze die zahlreichen Apps und Videos, die jetzt angeboten werden, um sich Sport- und Bewegungsprogramme nach Hause zu holen. Du darfst und sollst aber auch an die frische Luft gehen und dich – natürlich in angemessenem Abstand zu anderen – bewegen und Sport treiben! Physisch ist es zwar wichtig, soziale Kontakte zu meiden, schreiben und telefonieren ist aber erlaubt! Du kannst die technischen Möglichkeiten kreativ nutzen, um mit deiner Familie und Freund_innen im Kontakt zu bleiben. Gerade weil wir aktuell dazu gezwungen sind, unseren Aktivitätsradius einzuschränken, können wir wieder mehr bei uns ankommen und Dinge tun, die wir sonst vielleicht vernachlässigen. All diese Dinge tun deiner körperlichen und psychischen Gesundheit gut und erhöhen damit auch deine Widerstandsfähigkeit.
Psychologische Beratung
Die Diplom-Psychologin Hanna Dobrovoda arbeitet in der Psychologischen Beratung der HTW Berlin. Wer Unterstützung braucht, kann sie gern kontaktieren: Hanna.Dobrovoda@HTW-Berlin.de.
#5 Erste Hilfe bei Angstgefühlen.
Natürlich kann die Angst einen trotzdem manchmal überwältigen. Wende Atem-, Entspannungs- oder Meditationstechniken an, um Episoden extremer Angst erträglicher zu machen.
Das Gute an Episoden extremer Angst ist, dass diese wieder vorbeigehen, in der Regel nach 15 bis 30 Minuten. Solche Angstattacken sind extrem unangenehm, aber nicht gefährlich. Es kann helfen, in solchen Situationen bestimmte Atemtechniken anzuwenden, sogenannte gedankliche Distanzierungstechniken und/oder Entspannungs- und Meditationstechniken. Diese Techniken machen zwar die Angst nicht weg, aber leichter erträglich. Einige Übungen findest du in unserer Story! Solche Übungen findest du auch in zahlreichen Apps, Online-Programmen und Videos.
Wenn du dich akut überfordert fühlst, kannst du dich telefonisch zwischen 16 und 24 Uhr an den Berliner Krisendienst wenden, wo du sofort Beratung von Fachleuten erhälst. Auf der Webseite www.berliner-krisendienst.de findest du die richtige Telefonnummer für deinen Stadtbezirk.
#6 Zuverlässige Informationen statt Angstgedanken.
Irrationale Befürchtungen können durch gezieltes Informieren relativiert werden. Gleichzeitig ist es wichtig, sich nicht ständig und auf allen Kanälen zu informieren, sondern auch bewusst abzuschalten. Auch der Austausch mit Familie und Freund_innen kann helfen, um Sorgen zu hinterfragen.
Prüfe die Fakten: Gehöre ich zu einer Risikogruppe? Was wird von offizieller Seite konkret empfohlen? Was kann jemandem wie mir nach aktuellem Wissensstand schlimmstenfalls passieren? Was kann ich konkret tun, um mich zu schützen? Die meisten Menschen sind nach so einem Faktencheck orientiert und somit beruhigt. Und leg das Smartphone auch mal zur Seite, mach die Corona-Nachrichtensendung im Fernseher aus und schalte bewusst ab.
#7 Weg vom Schwarz-Weiß-Denken.
Auf viele Fragen gibt es keine eindeutigen Antworten. Wenn wir bereit sind, das zu akzeptieren, können wir versuchen, in Wahrscheinlichkeiten oder in Graustufen zu denken. Das eröffnet uns viel mehr Möglichkeiten als nur zwei!
Wenn wir Angst haben, neigen wir dazu, in Schwarz-Weiß-Kategorien zu denken – 0 oder 1, ganz oder gar nicht, ja oder nein. Solche automatischen Gedanken und Bewertungen, die eine Situation als Bedrohung einstufen, sind unseren Verhaltensreaktionen vorgeschaltet. Diese sind sekundenschnell, reduziert auf das Wesentliche und kaum bewusst. Macht auch Sinn, wenn man vor einer Bedrohung steht: Da ist es wenig hilfreich, lange abzuwägen, wie gefährlich etwas ist und was man alles tun könnte, sondern es geht um blitzschnelle Entscheidungen. Diese Art zu denken funktioniert jedoch nicht bei komplexen Problemen bzw. reduziert diese zu sehr. So eben auch bei Corona – denn auf viele Fragen gibt es keine eindeutigen Antworten und es fällt uns schwer, das zu akzeptieren. Wenn du dir das bewusst machst, kannst du versuchen, in Graustufen statt in Schwarz-Weiß zu denken oder in Wahrscheinlichkeiten.
#8 Das halb volle oder halb leere Glas.
Beobachte deine Gedanken! Fokussierst du dich eher auf die Einschränkungen und Erschwernisse, die dir die Krise bringt? Oder kannst du auch etwas Gutes in dieser Situation entdecken?
Viele fühlen sich zum Beispiel irgendwie entschleunigter, berichtet Dipl.-Psych. Hanna Dobrovoda von der Psychologischen Beratung der HTW Berlin und gibt daher diesen Tipp gegen Corona-Angst. Sich selbst auf Minimalbetrieb zu fahren, kann auch entlastend sein. Prioritäten sortieren sich neu. Das Chaos um uns herum kann uns Angst machen, gibt uns aber auch mehr Freiheiten.
#09 Beziehungen pflegen.
Angst gefährdet Beziehungen und führt zur Eskalation von Konflikten. Wenn ihr euch eurer Ängste bewusst seid, einige Kommunikationsregeln beachtet, klare Absprachen trefft und weiterhin gemeinsame Aktivitäten plant, kann eure Bindung in der Krise noch stärker werden.
Die derzeitige Krise stellt auch unsere Beziehungen vor Herausforderungen. Viele Paare müssen momentan auf engstem Raum die meiste Zeit des Tages miteinander auszukommen. Das birgt natürlich Konfliktpotential. Vereinfacht gesagt, reagieren wir bei Konflikten wie in Angstsituationen: entweder versuchen wir zu fliehen (tatsächlich oder nach innen) oder wir gehen in den Gegenangriff. Denn jeder Beziehungskonflikt löst Angst aus. Typischerweise entwickeln sich in Konflikten relativ rasch bestimmte Muster bei den Partnern: meist geht ein Partner in den Gegenangriff, während der andere sich immer mehr zurückzieht. Beide Reaktionen erhöhen beim jeweils anderen die Angst und so entwickelt sich ein sich selbst verstärkender Teufelskreis der Eskalation. Diesen können nur beide zusammen unterbrechen. Man kann sich zum Beispiel ein Stopp-Signal überlegen, den Streit unterbrechen und sich erst einmal beruhigen. Konstruktive Problemlösungen sind an einem solchen Punkt nicht möglich, stattdessen geht es um die Regulation der Gefühle. In solchen Situationen, aber auch sonst, ist es wichtig, sich gegenseitig zu versichern, dass man füreinander da ist. Das kann man mit Worten, kleinen Aufmerksamkeiten füreinander und Gesten tun. Redet über eure Ängste und Verunsicherungen, über eure typischen Reaktionen auf Angst. Etabliert gemeinsame Aktivitäten und Rituale in euren Alltag. Und lasst euch gleichzeitig den Raum, den jede_r braucht. Klare Absprachen sind jetzt besonders wichtig. Aber auch Pläne für die „Zeit danach“ können jetzt geschmiedet werden. Herausforderungen sind immer auch die Chance zu wachsen.