Tüllstoff, leitendes Garn und 200 LEDs
Im Sommer 2016 klingelt Martha Berwangers Telefon. Es ist ein Mitarbeiter von IBM, der fragt, ob sie Interesse hätte, in Zusammenarbeit mit dem globalen IT-Unternehmen ein Kleid mit künstlicher Intelligenz zu entwickeln. Man sei auf der Werkschau auf sie aufmerksam geworden. Bei der Werksschau der HTW Berlin stellen die künstlerischen Studiengänge ihre Projektergebnisse der Öffentlichkeit vor. Martha Berwanger, Modedesign-Studentin im 4. Semester, hatte dort eine Jacke für Menschen mit Down-Syndrom präsentiert. Diese Jacke fängt mit Hilfe eines Sensors in der Dunkelheit an zu leuchten, um dem Träger/der Trägerin zu mehr Sicherheit zu verhelfen. Menschen mit Down-Syndrom sind nämlich oft unsicher im Straßenverkehr und benötigen daher besondere Rücksicht der anderen Verkehrsteilnehmer_innen.
„Fashiontech“ heißt diese Entwicklung im Modebereich, bei der Elektronik und Hightech-Materialien in Kleidung zusammenwirken, um zum Beispiel Körperfunktionen zu überwachen, Energie zu produzieren oder für bessere Sichtbarkeit zu sorgen. Auch IBM ist in die Branche eingestiegen. Auf der Met Gala 2016, einer Benefizgala zugunsten des Metropolitan Museum of Art in New York, präsentierte der Software-Riese zusammen mit dem Modelabel Marchesa ein Kleid, das je nach Stimmung im Raum die Farbe verändert. Grundlage dafür ist die von IBM entwickelte künstliche Intelligenz „Watson“, die Emotionen aus den Twitter-Posts der Zuschauer herausfiltert und in ein Farbschema übersetzt, das durch Hunderte ins Kleid eingenähte LEDs sichtbar gemacht wird.
Ein ähnliches Kleid mit der gleichen Technik stellt IBM nun auf der Informationstechnik-Messe CeBIT 2017 vor. Diesmal wurde das Kleid aber nicht von einem weltweit agierenden Modeunternehmen, sondern von einer Modedesign-Studentin der HTW Berlin entworfen und hergestellt. „Ich war total überrascht, aber natürlich auch sofort dabei“, erzählt Martha Berwanger über den Anruf von IBM. Sie konzipierte drei unterschiedliche Entwürfe, von denen IBM einen auswählte. Im Februar ging es in die Produktionsphase. „Es war teilweise eine ganz schöne Fummelarbeit“, meint die Studentin. Neben der üblichen Verarbeitung der Stoffe mussten über 200 LEDs in das rosafarbene Tüllkleid im Meerjungfrauenschnitt eingenäht werden. Dazu kamen etwa 180 Meter leitendes Garn, um die Stromverbindung zwischen den Lampen herzustellen. Dank dieses speziellen Garns konnte sie ein hautenges Kleid entwerfen; die sonst üblichen herkömmlichen Kabel tragen zu stark auf und sind nur bei üppigen (Prinzessinnen-)Kleidern verwendbar.
Um die anspruchsvolle Aufgabe zu meistern, hatte Martha Berwanger viel Unterstützung durch Kommilitoninnen. „In den zwei Wochen vor dem Fertigstellungstermin haben wir die meiste Zeit zu zehnt an dem Kleid gearbeitet“, erzählt die Studentin. Besonders schwierig war die technische Integration der LEDs in das Kleid. Glücklicherweise stand ihnen dabei der Freund einer Mitbewohnerin zur Seite, der sich mit der Installation der Lampen auskannte. Zuletzt nähten sie noch eine kleine Tasche für eine Powerbank ein, die die LEDs mit Strom versorgt.
„Das Projekt war wahnsinnig interessant, ich konnte sehr viel lernen“, meint Martha Berwanger. Auf der CeBIT in Hannover wird das Kleid nicht nur zu sehen sein, sondern auch mehrmals täglich von einem Model präsentiert. Auch Martha Berwanger wird zeitweise vor Ort sein. Danach wird sie aber erstmal wieder andere Projekten angehen. Denn auch in ihrer Bachelorarbeit möchte sich die Modedesign-Studentin wieder Menschen mit Down-Syndrom widmen. Aufgrund ihrer besonderen Körpermaße haben diese oft Schwierigkeiten, passende Kleidung zu finden. Angedacht ist, ein Brautkleid und einen Hochzeitsanzug für ein Paar mit Down-Syndrom zu entwerfen. Doch wer weiß, vielleicht klingelt irgendwann wieder ihr Telefon…