Sag mir, wo die Venen sind…
Wenn Axel Hagen aus den Fenstern seines Labors im vierten Stock blickt, dann sieht er unter sich die Spree vorbeifließen. Auf der Oberfläche gleiten gelegentlich Schiffe vorbei und Wasservögel schaukeln in den Wellen ihres Fahrwassers. Meist aber schaut der promovierte Chemiker konzentriert auf Bildschirme und eine von ihm selbst entwickelte Apparatur. Für das Verfahren, mit dem sie arbeitet, wurde der HTW Berlin kürzlich das Patent zugesprochen. Als Erfinder ist Dr. Axel Hagen in der Patentschrift eingetragen. „Das, was die Anwälte in die Patentschrift geschrieben haben, verstehe ich selbst nicht alles“, gibt er zu. Dafür kann er umso besser erklären, was es mit seiner Erfindung auf sich hat.
Sie steckt in einem würfelförmigen Kasten von etwa 50 cm Kantenlänge und umfasst im Wesentlichen eine Kamera, eine Linienlichtquelle und einen Verfahrschlitten. Dieser Apparat ermöglicht es, Dinge sichtbar zu machen, die im Körpergewebe verborgen liegen und daher mit bloßem Auge nicht zu sehen sind. Tumore, Lymphknoten oder Blutgefäße zum Beispiel.
Wie Mediziner ins Innere des menschlichen Körpers schauen
Wollen Mediziner_innen Krankheiten wie Rheuma, Krebs oder Schilddrüsenanomalien diagnostizieren, setzen sie bisher meist bildgebende radiologische Verfahren ein. Beim Röntgen und bei der Computertomografie etwa werden Patienten ionisierender Strahlung ausgesetzt. Stoffwechselvorgänge hingegen lassen sich im Bild darstellen, indem den Patienten kleine Mengen radioaktiver Substanzen verabreicht werden. Beide Diagnoseverfahren sind bestens erforscht, können jedoch auch gewisse Risiken bergen — sie können bei häufiger Anwendung beispielsweise das Erbgut verändern.
Bei dem gewebeoptischen Verfahren, das Axel Hagen entwickelt hat, besteht diese Gefahr nicht. Es kombiniert zwei Bildgebungsverfahren in völlig neuer Weise: das Lichtschnittverfahren und die laminare optische Tomographie (LOT). Beim Lichtschnittverfahren wird ein Körperteil (beispielweise eine Hand) mit einer projizierten Lichtlinie gescannt und gleichzeitig das Bild dieser Projektion mit einer Kamera unter einem fest vorgegebenen Winkel erfasst, so dass über einfache trigonometrische Beziehungen ein 3D-Bild erzeugt werden kann.
Was sich unter der Hautoberfläche befindet, darüber sagt dieses 3D-Bild noch nichts aus. Diese Information liefert dann die laminare optische Tomographie. Sie macht sich zunutze, dass Licht von menschlichem Gewebe je nach Beschaffenheit in unterschiedlicher Weise gestreut und/oder absorbiert wird. Gesundes Gewebe liefert andere Bilder als Tumore oder Knochen.
Jedes der beiden Verfahren für sich erzeugt unterschiedliche Bilder des Untersuchungsgegenstandes. Axel Hagen hat lange experimentiert bis es ihm gelungen ist, beide Verfahren so aufeinander abzustimmen, dass verwertbare Bilddaten dabei herauskommen. In Axel Hagens Apparatur wirken beide Verfahren zusammen und ermöglichen so Bilder, die im wahrsten Sinne des Wortes einen völlig neuen „Blick unter die Haut“ möglich machen. Unter anderem lassen sich so Blutgefäße viel besser erkennen, was beispielsweise für die Rheumafrüherkennung ausgenutzt werden kann.
„Bei Verdacht auf Rheuma etwa ließe sich durch ein Screening der Hände herausfinden, inwieweit bei befallenen Gelenken eine Gefäßneubildung (Neoangiogenese) bereits vorangeschritten ist– ein typisches Zeichen bei einigen Rheumaarten. Und auch, ob ein Schlaganfall droht oder ein Tumor wächst, lässt sich so überwachen“, beschreibt er die medizinischen Einsatzmöglichkeiten. Je eher man Erkrankungen richtig diagnostiziert, umso eher können Ärzte und Therapeuten mit der passenden Behandlung beginnen.
Axel Hagen hofft, dass sein Verfahren in absehbarer Zeit alternativ oder ergänzend zu den etablierten bildgebenden Diagnoseverfahren angewendet werden kann. „Die bisher erzielten Ergebnisse sind äußerst vielversprechend. Messzeit und apparativer Aufwand sind geringer als bei anderen Verfahren“. Der Erfinder ist optimistisch, dass der 3D-Scanner bald in Serie produziert werden kann. Kontakte zu interessierten Unternehmen aus der Medizintechnik gibt es schon. Sollte sich das Gerät verbreiten, könnte das vielen Patient_innen die mitunter belastenden Begleiterscheinungen anderer bildgebender Diagnoseverfahren ersparen oder diese minimieren.