Umweltfreundlicher Strom direkt von der Fassade

Solarmodule auf Dächern und Wiesen gibt es viele in Deutschland; ganz anders verhält es sich mit Gebäudefassaden, die umweltfreundlichen Strom aus Sonnenlicht gewinnen. Leider, sagt Prof. Dr. Susanne Rexroth. Denn Hauswände böten ein enormes Potenzial, das derzeit kaum genutzt wird. Mit ihrem Forschungsprojekt „StaGiMo“ will die Architektin und Professorin im Studiengang Regenerative Energien gemeinsam mit Partnern einen Beitrag dazu leisten, dass sich das mittelfristig ändert. Finanziell gefördert wird es vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.

Das Flächenpotenzial ist groß

Glaubt man dem in Dresden ansässigen Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung und dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg, dann ist das Flächenpotenzial für Photovoltaik an Fassaden in Deutschland doppelt so groß wie das der Dächer. Auch wenn es sich bei den am Beispiel von Dresden „gebäudescharf“ ermittelten 12.000 Quadratkilometern Fassadenfläche gegenüber knapp 6000 Quadratkilometern Dachflächen um ein theoretisches Potenzial handelt, und die neue Erhebungsmethodik noch gewisse Unschärfen enthält, wie die Autoren selbst einräumen und auch Prof. Dr. Rexroth weiß, hat die 2020 erstellte Studie der HTW-Wissenschaftlerin doch Auftrieb gegeben. Bis dato war man nämlich davon ausgegangen, dass es sich genau umgekehrt verhält.

Jeder Quadratmeter sollte genutzt werden

Auf ein paar Quadratkilometer hin oder her komme es auch gar nicht an, sagt Prof. Dr. Rexroth. Vielmehr müsse man mit Blick auf den Klimawandel und das erklärte Ziel der Bundesregierung, bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen, auf Hochtouren daran arbeiten, möglichst viele Flächen zu nutzen, die sich für die Gewinnung von umweltfreundlicher Energie eignen. Dies sei umso wichtiger, als dass das am 24. Juni 2021 beschlossene  novellierte Klimaschutzgesetz sogar eine Solarpflicht für Neu- und bei Umbauten vorsieht. In Berlin gilt es ab Januar 2023 und eröffne gerade bei fensterlosen Fassaden von Baumärkten, Shoppingmalls und ähnlichen Gebäuden viele Optionen, sagt Prof. Dr. Rexroth.

Im Fokus: vorgehängte, hinterlüftete Fassaden

Was genau wollen die Akteure dazu beitragen? Sie konzentrieren sich im Projekt „StaGiMo“ auf die derzeit erfolgreichsten Fassadensysteme, die sogenannten vorgehängten, hinterlüfteten Fassaden. Das HTW-Team, zu dem auch die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen Ingo Wiederoder und Svenja Gutt zählen, will vor allem herausfinden, ob es einen idealen Hinterlüftungsraum gibt, vor dem die Fassadenmodule Sonnenlicht bestmöglich verwerten. Der gängige Abstand zwischen Modul und Fassade beträgt vier Zentimeter, doch diese Distanz ist bauphysikalisch optimiert und nicht energetisch. Das HTW-Team will eine Antwort auf die Gretchenfrage: Welcher Hinterlüftungsquerschnitt lässt die Fassadenmodule optimal arbeiten, sorgt also für eine maximale Energieausbeute? Denn der Wirkungsgrad der Module lässt nach, wenn diese zu warm werden.

Ingenieurwissenschaftliche Analyse auf Testständen

Zur ingenieurwissenschaftlich fundierten Antwort werden zwei Teststände beitragen, deren Bauteile Ingo Wiederoder schon beschafft hat. Beim Aufbau auf dem Campus Wilhelminenhof wird er selbst Hand anlegen. „Erinnert mich alles ein wenig an Fischertechnik“, lässt er den Blick zwischen den vielen Kisten in seinem Büro schweifen. Dem wetterunabhängigen Indoor-Prüfstand bietet die Laborhalle des Fachbereichs 1 Platz. Allerdings wird Strom statt Sonnenschein fließen, das Wirkungsprinzip eines PV-Moduls quasi rückwärts vollzogen. Solche Bedingungen sind zwar nicht realistisch, die Versuche aber wichtig, um Strömungen genau zu messen. Auf die Erkenntnisse sind selbst die Hersteller gespannt. Für den zweiten Prüfstand aus den gleichen Modulen ist eine eingezäunte Freifläche direkt an der Spree vorgesehen. Dort geht es dann so stürmisch, sonnig oder regnerisch zu wie im richtigen Leben einer Fassade …

Zahlenreihen und Simulationen

Das ausgeklügelte Konzept für die geplanten Messungen steht, man hofft auf ausführliche Zahlenreihen. Moritz Andrejewski, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter im Team von Prof. Dr. Jens Fortmann und Prof. Dr. Horst Schulte, hat es erarbeitet. Die Daten werden darüber hinaus in Form von Simulationen überprüft und automatisiert ausgewertet. Svenja Gutt nimmt parallel bereits bestehende Fallbeispiele von Gebäudefassaden genauer unter die Lupe. Zu den ausgewählten Objekten gehört auch Gebäude H auf dem Campus Wilhelminenhof der HTW Berlin selbst, in dessen Fassade Photovoltaik integriert wurde. Weitere Objekte befinden sich im benachbarten Helmholtz-Zentrum in Adlershof und in Stuttgart. Dabei ist es hilfreich, dass zu allen Gebäuden technische Daten und umfangreiche Unterlagen zur Fassadenkonstruktion, zur Leitungsführung, zur Befestigung der Module, zum baurechtlichen Genehmigungsprozess und zum Brandschutz-Konzept vorliegen.

Brandschutz: ein Kapitel für sich

Überhaupt der Brandschutz: die entsprechenden Auflagen will sich Prof. Dr. Rexroth im Projekt noch einmal ganz genau anschauen. Schließlich seien es nicht zuletzt die Brandschutzsachverständigen, die über die Realisierung einer Fassade mit gebäudeintegrierte Photovoltaik entscheiden.

Uni Siegen macht bautechnische Härtetests

Während das HTW-Team misst, simuliert und tüftelt, unterziehen die Wissenschaftler*innen der kooperierenden Universität Siegen die Fassadenmodule bautechnischen Härtetests. Dafür haben sie eigens Prüfkörper in der geforderten Größe bestellt. In vorgegebenen Testverfahren wird nun verglichen, ob sich die PV-Module wie die normierten Prüfkörper verhalten. Wenn ja - wovon alle auch nach bisherigen Erfahrungen ausgehen - wäre das ein Impuls, um die bisherigen Testverfahren zu "verschlanken" und mit den Tests aus den elektrotechnischen Prüfungen zu verschmelzen.

Innovative Partner mit im Projektboot

Mit im Projektboot ist auch das in Berlin ansässige Deutsche Institut für Bautechnik, das jährlich ca. 2.500 allgemeine bauaufsichtliche Zulassungen erteilt. Der TÜV Rheinland Energy unterstützt das Team bei der Entwicklung von Prüfmethoden und Fachregeln sowie deren Bekanntmachung bei Entscheidungsträgern. Hinzu kommen mit der Sunnovation und der Novotegra zwei innovative und im Bereich Solartechnik ausgewiesene Unternehmen, die Technik und Know-how gleichermaßen einbringen. Die Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie wirkt als erfahrener Praxispartner mit und wird die Erkenntnisse schließlich in Gestalt von Seminaren und Handouts in Fachkreisen verbreiten.

Module von deutschen Herstellern

Gearbeitet wird im Projekt übrigens nicht mit billigen chinesischen Solarmodulen, sondern mit Bauteilen eines deutschen Herstellers. „Das sind wir dem Ministerium schuldig", sagt Prof. Dr. Rexroth. Es will schließlich die heimische Industrie fördern. Bei dem unterstützenden Partner handelt es sich um das Unternehmen Avancis mit Sitz im sächsischen Torgau, das Solar-Module aus CIGS-Zellen herstellt und selbst Forschung betreibt.

Schlussbericht bis Ende 2023

Bis Ende 2023 wollen die StaGiMo-Akteur*innen ihren Schlussbericht vorlegen. Ziel ist es, eine geeignete Prüfmethode für Fassadenmodule sowie Fachregeln zum standardisierten Einbau von PV-Modulen in Fassade und Dach vorzuschlagen.

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