Studierende gestalten die Energiewende

Prof. Dr. Kathrin Goldammer ist seit April 2025 Honorarprofessorin im Bachelor- und Masterstudiengang Regenerative Energien. Unter ihrer Anleitung haben in diesem Sommersemester drei Studierendengruppen jeweils eine eigene Studie zu aktuellen Themen der Energiewende erarbeitet. In dem offenen Studienprojekt in Kooperation mit dem Reiner-Lemoine-Institut (RLI) entstehen teils auch Open Source Software und Datenbanken. Wir stellen die drei Projekte und ihre bisherigen Ergebnisse vor. 

Transparenz für Deutschlands Netzausbau – Studierende entwickeln bundesweite Übersichtskarte

Eine digitale Karte, die die Netzausbaupläne deutscher Stromverteilnetzbetreiber (VNBs) erstmals bundesweit visualisiert: Daran arbeitete die erste Projektgruppe in den vergangenen Wochen. Ziel ist, schwer zugängliche technischen Daten so aufzubereiten, dass sie verständlich und gezielt nutzbar werden, etwa für Forschung, Planung oder die öffentliche Diskussion zur Energiewende.

Die Grundlage bilden die Ausbaudaten der Netzbetreiber, die alle zwei Jahre auf der Plattform VNBdigital veröffentlicht werden. Diese beinhalten unter anderem Informationen darüber, welche Leitungen oder Anlagen gebaut oder erneuert werden sollen, in welchem Zeitraum die Maßnahmen umgesetzt werden, und auf welcher Spannungsebene die Arbeiten stattfinden. Die Studierenden extrahieren diese Inhalte mithilfe künstlicher Intelligenz, strukturieren sie systematisch und verknüpfen sie mit geografischen Informationen (GIS-Daten). So entsteht eine interaktive Karte, die sichtbar macht, wie sich das Stromnetz in Deutschland verändern wird.

Ein zentrales Problem: Zwar stellen viele Netzbetreiber ihre Daten öffentlich zur Verfügung – allerdings meist in unübersichtlichen Tabellen und ohne einheitliche Standards. Ein klarer Überblick fehlt bislang. Genau hier setzt das Projekt an. Doch der Weg zur fertigen Karte ist nicht ohne Herausforderungen: Die Plattform VNBdigital macht keine Angaben zur Lizenzierung der veröffentlichten Daten. Deshalb hat das studentische Team alle rund 80 deutschen Netzbetreiber kontaktiert, um eine explizite Zustimmung zur Nutzung und Visualisierung einzuholen. Ziel ist es, die gesammelten Informationen unter einer offenen, nicht-kommerziellen Lizenz aufzubereiten und – sofern möglich – öffentlich bereitzustellen. Neben rechtlichen Fragen stellt auch die Datenverarbeitung eine große Hürde dar. Manche Netzbetreiber veröffentlichen ihre Pläne in Formaten, die sich kaum automatisiert auslesen lassen – oft mit zehntausenden Einzelmaßnahmen. Eine manuelle Auswertung wäre kaum zu bewältigen.

„Deshalb setzen die Studierenden auf den Einsatz künstlicher Intelligenz, um relevante Informationen zuverlässig zu erkennen und effizient weiterzuverarbeiten. Dabei ist ihnen nicht nur der technische Aspekt wichtig, sondern auch der Aufbau eines vertrauensvollen und offenen Dialogs mit den Netzbetreibern“, erläutert Prof. Dr. Kathrin Goldammer. Die Veröffentlichung der fertigen Datenbank sowie der digitalen Karte ist in naher Zukunft geplant, vorausgesetzt, eine ausreichende Zahl von Netzbetreibern erteilt ihre Zustimmung zur Nutzung der Daten.

Wie können Binnenhäfen klimaneutral werden?

Das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 betrifft die gesamte deutsche Infrastruktur, gerade auch die sehr energieintensiven Binnenhäfen. In Berlin stellt die BEHALA mit dem Westhafen den größten Hafen der Stadt. Im Rahmen des Studienprojekts arbeitete eine neunköpfige Studierendengruppe an einem skalierbaren Konzepts zur Klimaneutralität von Binnenhäfen am Beispiel des Berliner Westhafens. Die meisten bisherigen Vorhaben zur Energiewende bei der BEHALA beziehen sich auf den Sektor Verkehr, diesen betrachteten die Studierenden jedoch ausdrücklich nicht, sondern konzentrierten sich auf die Schwerpunkte Photovoltaik, Wärmeversorgung und Enegierspeicherung.

Die fachliche Betreuung übernahm Moritz Schiel, wissenschaftlicher Mitarbeiter am RLI. Zum Projektstart besichtigten die Studierenden das Gelände des Westhafens und erhielten Einblicke in logistische und energetische Rahmenbedingungen. Auf Basis verfügbarer Daten – darunter ein Lageplan des Areals und Angaben zum jährlichen Umschlag von rund 4,5 Millionen Tonnen – sowie fundierter Annahmen zu Verbrauch, Erzeugungspotenzialen und Einsparoptionen haben die Studierenden ein umfassendes Energiemodell erstellt. Geplant ist, das entwickelte Konzept in das bestehende Open Plan Tool des RLI zu integrieren. Dieses wird künftig auch anderen Binnenhafenbetreibern ermöglichen, eigene Spezifikationen einzugeben und so individuelle Potenziale zur Treibhausgasminderung sichtbar zu machen.

Beim Team Wärmeversorgung war die größte Herausforderung eine repräsentative Einschätzung zur Gesamtheit der Gebäude zu treffen, sowohl bezüglich des Wärmebedarfs als auch zum Einsparpotential durch Dämmung. Ein Binnenhafen wie der Westhafen besteht aus Lagerhallen, Silos, Bürogebäuden (teils unter Denkmalschutz), mit jeweils spezifischen Wärmeanforderungen. Die Hafenbetreiber agieren bei einem Großteil der Gebäude nur als Vermieter und haben keinen konkreten Einblick auf die Energieflüsse der einzelnen Gebäude oder dürfen Zahlen aus Gründen des Datenschutzes nicht kommunizieren. Die Studierenden gingen daher von standardisierten Werten für die jeweiligen Gebäudekategorien aus, aufgeteilt nach Alter und Nutzung. Über eine Maske sollen Hafenbetreibende künftig ihre Daten im Open Plan Tool einpflegen können, um daraus den Wärmebedarf zu berechnen und damit dann beispielsweise Wärmepumpensysteme zu dimensionieren.

Das Team Photovoltaik stand zu Beginn vor vielen offenen Fragen: Wie hoch ist der Stromverbrauch im Westhafen? Welche Gebäude befinden sich dort? Und vor allem: Eignen sich die Gebäude überhaupt für die Installation von PV-Anlagen? Auch hier mussten die Studierenden teils mit Annahmen arbeiten. Bei der Recherche stießen sie auf eine Studie des Deutschen Nachhaltigkeitskodex aus dem Jahr 2022. Zwar bezieht sich diese nicht direkt auf den Westhafen, sondern auf drei andere Berliner Häfen, dennoch konnten sie auf Grundlage der Flächenverhältnisse den Stromverbrauch pro Quadratmeter abschätzen und ein näherungsweise realistisches Lastprofil für den Westhafen ableiten. Aktuell sind nur zwei Gebäude mit PV-Anlagen ausgestattet. Da das Projektziel die Entwicklung eines übertragbaren Planungstools für verschiedene Hafenstandorte ist, entschieden sich die Studierenden dennoch dafür, exemplarisch einige Dachflächen mit PV-Modulen zu belegen – unabhängig von der Umsetzbarkeit auf dem Gelände des Westhafens.

Das Team Energiespeicherung beschäftigte sich mit Strom- und Wärmespeichern, denn diese spielen auf dem Weg zur Klimaneutralität von Binnenhäfen eine zentrale Rolle. Die Speicherung des Stroms erfolgt mit Batteriespeichern, die Speicherung von Wärme mit den thermischen Speichern der Wärmepumpen. Die jeweiligen Speichertypen werden zum Beispiel genutzt, um kurzzeitige Lastspitzen abzufangen, überschüssige Energie vom Tag für die Nacht zu speichern oder sogar Energie über längere Zeiträume zu bevorraten – etwa Überschüsse aus dem Sommer für den Winter. Diese unterschiedlichen Einsatzszenarien bestimmen maßgeblich die Auslegung der Speichergröße. Für eine saisonale Überbrückung über Wochen und Monate sind sehr große Speicher oder spezielle Technologien wie die Umwandlung von Strom in Wasserstoff nötig. Die Studierenden arbeiten daran, wie die Auslegung gestaltet werden kann, um erneuerbare Energie effizienter nutzen zu können.

Blackout-Gefahr? Warum Regelenergie unser Sicherheitsnetz ist

Regelenergie ist eine Art Reserve, die einspringt, wenn plötzlich zu viel oder zu wenig Strom vorhanden ist. Das dritte Studierendenprojekt beschäftigte sich mit der Frage, wann und warum sie im deutschen Stromnetz gebraucht wird. Das Ziel der Studierenden ist, ein interaktives Tool zu entwickeln, das diese Daten sichtbar macht und hilft, die Stabilität und Flexibilität des Netzes besser zu verstehen. Besonders interessierte die Studierenden der Zusammenhang zwischen erneuerbarer Energie wie Wind und Solarstrom und dem Einsatz von Regelenergie. Gibt es bestimmte Muster bei der Aktivierung und wie verändern sich diese je nach Tageszeit und Jahreszeit?

Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der Entwicklung der Preise für Regelenergie, zum Beispiel bei starkem Wind oder sehr heißen Tagen. Dazu haben die Studierenden offizielle Netzdaten aus dem deutschen Regelleistungsmarkt (regelleistung.net & netztransparenz.de) ausgewertet, Heatmaps und Zeitreihen verglichen und untersucht, wie sich Abrufe je nach Technologie und Einflussfaktoren verändern. Außerdem haben sie die Regelenergie mit dem Einspeiseverhalten von Solar- und Windkraftanlagen verglichen.

Die bisherigen Auswertungen zeigen, dass der Abruf von Regelenergie einem klaren Tagesrhythmus folgt. Besonders morgens und abends wird oft zusätzliche Energie benötigt, also genau dann, wenn viele Menschen aufstehen, kochen, arbeiten oder nach Hause kommen. Interessant ist, dass sich dieser Rhythmus im Laufe des Jahres verändert. Im Sommer liegen die Spitzen der Stromnachfrage weiter auseinander, im Winter rücken sie näher zusammen. Es entsteht so etwas wie eine Energiewelle, die sich mit den Jahreszeiten verschiebt. Auch die Preise für Regelenergie zeigen große Schwankungen. Besonders bei Extremwetterlagen wie starker Hitze oder Windstille kommt es zu deutlichen Ausschlägen. Diese ersten Ergebnisse machen deutlich, wie stark das Stromsystem von Wetter und Tagesverlauf beeinflusst wird.

Die Energiewende bringt viele neue Herausforderungen mit sich, vor allem, weil Strom aus Wind und Sonne nicht jederzeit gleichmäßig zur Verfügung steht. Wenn der Wind ausbleibt oder plötzlich sehr viel Solarstrom eingespeist wird, muss das Stromnetz schnell reagieren, um stabil zu bleiben und Stromausfälle zu vermeiden. Die Analyse der Studierenden ziegt, wie komplex und dynamisch diese Reaktionen im Alltag wirklich sind. Wer diese Abläufe besser versteht, kann einschätzen, wo technische Flexibilität nötig ist, und wie Stromnetze in Zukunft widerstandsfähiger gemacht werden können. Damit liefert das Projekt Einblicke für alle, die an der Gestaltung eines zukunftsfähigen Energiesystems beteiligt sind. Das betrifft nicht nur Fachleute aus der Energiewirtschaft, sondern auch Netzbetreiber*innen, politische Entscheidungsträger*innen und zukünftige Energiemanager*innen. Ein stabiles Stromnetz ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass eine nachhaltige Energieversorgung langfristig funktionieren kann.