Mixed Reality und KI im Einsatz für die Feuerwehr
Wasser marsch! Es gibt sicher wenige Menschen, die diese Ansage nicht mit der Feuerwehr in Verbindung bringen. Weniger bekannt sein dürfte, dass die Feuerwehrlöschpumpe, die das Wasser fördert, mit viel Wissen und Erfahrung bedient sein will. Worauf genau zu achten ist, lernen sogenannte Maschinist*innen in eigenen Lehrgängen. Diese Schulungen müssen zum einen organisiert werden; zum anderen kosten sie Zeit, Geld und sie sind mit logistischem Aufwand verbunden. „Das lässt sich effizienter bewerkstelligen“, sagt Prof. Dr.-Ing. Carsten Busch. Sein Ansatz: Alle Handgriffe und Szenarien für den Einsatz der Pumpe mit Hilfe von Mixed Reality und Künstlicher Intelligenz (KI) anschaulich vermitteln und dadurch einfacher zugänglich machen. Den passenden Prototypen entwickeln der Wissenschaftler und sein Team im Projekt „MRFireMACHINIST“. An ihrer Seite: die Freiwillige Feuerwehr Luckenwalde und das Entwicklerteam der mixed.world GmbH mit Sitz in Oberschöneweide. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt aus dem Programm: „WIR! – Wandel durch Innovation in der Region“ gefördert.
Ein Lehrgang dauert 35 Stunden
35 Stunden dauert der Lehrgang für einen Maschinisten bzw. eine Maschinistin, also den Mann oder die Frau an der Pumpe. So viel Zeit muss sein; die Teilnehmer*innen müssen Einiges über Druckschläuche, Drehzahl und Ventile lernen, über Stromerzeugung und Hydraulik. Denn erstens funktioniert die Pumpe nicht von alleine, sondern nur mit Hilfe von Über- und Unterdruck; zweitens kommt das Wasser nicht einfach aus dem Hahn, sondern muss - je nach Situation vor Ort - aus offenen Gewässern, Hydranten oder dem Fahrzeugtank angesaugt werden.
Die Pumpe will mit Erfahrung bedient sein
Das Heikle daran: „Wenn der Maschinist oder die Maschinistin das Verhältnis von Über- und Unterdruck mit Hilfe der Messinstrumente nicht perfekt austariert, dann geht die Pumpe kaputt“, beschreibt Alexander Kramer, der das Projekt zusammen mit Prof. Dr.-Ing. Busch leitet. „Das könnte fatal sein für die Löschaktion“, weiß André Schulz, seit vielen Jahren mit Einsätzen der Feuerwehr vertraut und derzeit Sachbearbeiter für den vorbeugenden Brandschutz in Luckenwalde. „Verluste im Maschinenpark kann und will sich keine Feuerwehr leisten“, ergänzt sein Kollege Paul Wegener. Er ist speziell für das Forschungsprojekt zuständig, hat aber als Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr ebenfalls viel Praxiserfahrung.
Im Fokus: tragbare Feuerlöschpumpen
Apropos Maschinenpark: Im Forschungsprojekt konzentriert man sich aus guten Gründen auf tragbare Feuerlöschpumpen. Bei ihnen ist die Pumpe auf einem kleinen Motor montiert und kann aus dem Feuerwehrauto zum Einsatzort getragen werden. Tragbare Feuerlöschpumpen gehören zur Mindestausstattung der Brandenburger Feuerwehren und sind vor allem in kleinen Ortsfeuerwehren sehr häufig im Einsatz. Die Luckenwalder Feuerwehr selbst verfügt über sechs Exemplare. Kostenpunkt pro Stück: etwa 15.000 Euro. Damit rückt die Truppe beinahe täglich zu einem ihrer jährlich 600 Einsätze aus. Darüber hinaus nutzt sie die Pumpen für die Prüfung von Brunnen oder eben für die Schulung der Maschinist*innen.
Der erste Schritt: Digitalisierung der Schulungsunterlagen
Von diesen handfesten Aktivitäten scheint es ein weiter Weg zu sein, zu virtueller Realität und Künstlicher Intelligenz. Doch der Eindruck täuscht. „Für die gewünschte Weiterentwicklung der Maschinisten-Lehrgänge sind moderne Technologien hervorragend geeignet“, sagt Selina Wernike, wie Judith Rickert wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt. Das Team wird in einem ersten Schritt die schriftlichen Schulungsunterlagen der Luckenwalder Feuerwehr digitalisieren und auf dieser Grundlage ein Schulungskonzept entwickeln. Ehe es Künstliche Intelligenz ins Boot holen kann, muss ein Kompetenzmodell für den Mann und die Frau an der Pumpe erarbeitet werden. Was soll er oder sie eigentlich wissen und was genau können? Davon wird die spätere Interaktion zwischen Teilnehmer*in und KI abhängen. Je nach individuellem Know-how wird nämlich die nächste Etappe der Schulung entweder anspruchsvoller oder sie geht einen Schritt zurück und Wiederholung ist angesagt.
Virtuelle Bedienung der Pumpe dank Mixed Reality
Der Clou: Alles findet nicht vor einem Exponat im Schulungszentrum oder am Bildschirm statt. „Wir entwickeln stattdessen eine Mixed-Reality-Umgebung, in der die angehenden Maschinist*innen die Pumpe virtuell bedienen können“, erklärt Prof. Dr.-Ing. Busch. Möglich machen das MR-Brillen und der digitale Zwilling einer Pumpe. Diesen Zwilling zu erstellen und auch virtuell bedienbar zu machen, ist der Part der Kooperationspartnerin mixed.world.
Die Simulation hat viele Vorteile
„Eine wunderbare Aufgabe“, findet Fabian Quosdorf, der mixed.world 2021 zusammen mit Robert Meyer gegründet hat, nach längerer Berufstätigkeit und einem Studium der Internationalen Medieninformatik und Angewandte Informatik an der HTW Berlin. Denn er hat ein Faible für Echte-Welt-Probleme und ist davon überzeugt, dass die Maschinisten-Schulung von der Simulation verschiedener Einsatzszenarien erheblich profitiert. „Man kann beispielsweise Tag und Nacht durchspielen sowie verschiedene Wetterlagen“, gibt er Einblick in seine Überlegungen. Selbst Geräusche werden dazugehören. Denn Maschinist*innen können hören, wenn eine tragbare Feuerlöschpumpe nicht rund läuft und zu Bruch zu gehen droht. Vorausgesetzt, sie haben gelernt, worauf zu achten ist…
Weniger Lärm, weniger Sprit, weniger Aufwand
Womit schon einige der Vorzüge der MR-Schulung benannt wären. André Schulz und Paul Wegener kennen noch weitere. Den geringeren logistischen Aufwand, weil für die Einweisung in die tragbare Feuerlöschpumpe keine Teststrecke mit Wasserversorgung und Allem Drum und Dran aufgebaut werden muss. Kraftstoff wird eingespart, Emissionen werden reduziert. Übrigens auch Lärm, der die Schulungs-Teilnehmer*innen an der Pumpe genauso stresst wie die Nachbarschaft in Luckenwalde. Eine virtuelle Schulung kann auf verschiedene Typen von Pumpen eingehen, mehr Szenarien durchspielen und dank KI besser auf den individuellen Kenntnisstand eingehen. Zu guter Letzt: Sie wird Ressourcen sparen. Ein wichtiger Punkt, denn zum einen zählt gerade bei ehrenamtlich tätigen Feuerwehrleuten jede Stunde. Zum anderen geht die Zahl der verfügbaren Ausbilder*innen stetig zurück.
Ein funktionstüchtiger Prototyp bis 2028
Die Arbeitspakete sind geschnürt und alle Beteiligten zuversichtlich, dass sie gemeinsam einen funktionstüchtigen Prototyp entwickeln, der bis März 2028 funktioniert. Auch dank regelmäßiger Evaluationen durch die Profis in Luckenwalde, weil mit ihrer Beteiligung schon während des Projekts erkennbar wird, wo eventuell Barrieren entstanden sind oder noch nicht alle Chancen genutzt werden.
Leichtere und bessere Ausbildung
Gewiss werden Maschinist*innen auch in Zukunft noch regelmäßig an echten tragbaren Feuerlöschpumpen eingewiesen werden. Auch das Projektteam nahm höchstpersönlich an einer Schulung in Luckenwalde teil, um eine reale Vorstellung davon zu bekommen, was beim Einsatz der Pumpe genau passiert. „Doch unsere simulative Trainingsumgebung wird die Ausbildung bei der Feuerwehr erleichtern und ihre Qualität verbessern“, freut sich Prof. Dr.-Ing. Busch. Wenn das kein echter Mehrwert von Angewandter Forschung ist!